Der diabetische Fuss
- Autor(en): Renato L. Galeazzi
- pharma-kritik-Jahrgang 38
, PK1000, Online-Artikel
Redaktionsschluss: 12. Oktober 2016
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2016.1000
Mini-Update
Das französische Pendant zu unserer pharma-kritik, «La Revue Prescrire», ist bekannt für seine fundierten Artikel. Diese sind immer klinisch auf die praktizierenden Ärztinnen und Ärzte ausgerichtet und streng evidenzbasiert. In der Rubrik «Strategien» dieser Zeitschrift wurde über die Behandlung der infizierten Fusswunden bei Diabeteskranken berichtet (1). In unserer Zeitschrift haben wir letztmals im Jahre 2003 eine Übersicht zu den Fussulzera bei Diabetes mellitus publiziert (2). Die darin enthaltenen Prinzipien sind noch immer gültig. La Revue Prescrire macht aber immer wieder darauf aufmerksam, dass die Evidenz der in Guidelines vorgeschlagenen Vorgehensweisen und Therapien nicht immer gut ist und dass es zulässig ist, sich auf die Erfahrungen der Ärztinnen und Ärzte zu stützen, sofern diese relevant und umfassend erscheinen. Die Zusammenfassung und ein spezielles Kapitel über die Möglichkeit, eine Infektion klinisch zu diagnostizieren und deren Bedeutung abzuschätzen sind hier so klar und praxisrelevant, dass wir im Folgenden diese beiden Kapitel zusammenfassen.
Infizierte Fusswunden bei Diabetes: klinische Diagnostik
Eine Infektion einer Wunde ist zu vermuten, wenn mindestens zwei der folgenden Zeichen vorliegen:
- Gerötete Wundränder
- Überwärmung
- Druckdolenz (auch nur geringe Empfindlichkeit)
- Schwellung
- Induration
- Eitriger Ausfluss.
Beim Vorliegen einer Neuropathie oder einer Arteriopathie können einige Zeichen fehlen (Schmerz, Rötung). Vorsicht: gerade die Neuropathie ist häufiger mit einer schweren Infektion vergesellschaftet als es sich klinisch vermuten lässt.
Eine oberflächliche Wunde ohne allgemeine Entzündungszeichen und einer Rötung, die 2 cm Durchmesser nicht überschreitet, bedeutet normalerweise eine lokale, nicht schwerwiegende Infektion.
Fehlen allgemeine Entzündungszeichen, so erfordern folgende Befunde eine speziell engmaschige und genaue Überwachung:
- Eine Rötung (oder bei Dunkelhäutigen eine noch dunklere Wundumgebung), welche einen Durchmesser von über 2 cm hat
- Eine Lymphangitis und Dolenz regionaler Lymphknoten
- Eine tiefe Wunde mit abszessartiger Höhlenbildung
- Muskel-, Sehnen, Gelenks- oder Knochenbefall.
Eine schwere Infektion ist – unabhängig vom lokalen Befund – dann zu diagnostizieren, wenn allgemeine Entzündungszeichen bestehen: Körpertemperatur über 38°C unter 36°C, Puls >90/min, Hypotonie, Atemfrequenz >20/min, Verwirrtheit, Erbrechen, Leukozytose >12’000/mm3 oder <4000/mm3.
Schliesslich sind eine hämodynamische Instabilität, eine schwere Blutzuckerentgleisung, eine Azidose, Elektrolytstörungen und eine Niereninsuffizienz Zeichen einer schwersten Entzündungsreaktion.
Ein infektiöser Knochenbefall – eine Osteitis oder eine Osteoarthritis – ist schwierig zu diagnostizieren, verhindert aber oft eine Heilung und führt zu Rezidiven. Klinisches Zeichen einer Osteitis ist ein sichtbarer Knochen. Man kann auch mit einer sterilen, metallenen Knopfsonde testen (kratzendes Geräusch); dieser Sonden-Test ist jedoch oft negativ, obwohl eine Osteitis vorliegt.
Bestätigung einer Infektion
Eine Probenentnahme für eine bakteriologische Untersuchung sollte nur nach einer mechanischen Wundreinigung (Débridement) aus der Tiefe der Wunde vorgenommen werden. Es müssen sowohl aerobe als auch anaerobe Bakterien gesucht werden. Eine einfache radiologische Untersuchung ist wenig ergiebig, da neuropathische Füsse häufig deformiert (Charcot-Fuss) und die Röntgenbilder schwierig zu interpretieren sind. Die beste Sensitivität und Spezifität hat die Magnetresonanzuntersuchung (Kernspintomographie, MRI). Entzündungszeichen im Blut (erhöhte BSR, erhöhtes CRP oder Leukozytose) sind ebenfalls wenig hilfreich; sind sie jedoch pathologisch, so deutet dies auf eine schwere infektiöse Komplikation hin.
Betreuung
Je schwerer und je chronischer die Infektion, desto wichtiger ist eine multidisziplinäre Betreuung: Insbesondere ist eine Neuropathie und eine Arteriopathie zu suchen. Lässt sich eine relevante Stenose nachweisen, so sollte diese unbedingt behandelt werden. Ohne genügende Blutversorgung ist die Therapie des diabetischen Fusses kaum möglich.
Eine Entlastung von Druckstellen und adäquates Schuhwerk sind Voraussetzungen für eine wirksame Therapie, ebenso wie ein guter Wundverband (siehe die Übersicht in unserer Zeitschrift) (3). Liegt eine leichte Infektion vor, können orale Antibiotika wie Co-Amoxiclav (Augmentin® u.a.) oder Clindamycin (Dalacin C® u.a.), allenfalls kombiniert mit Ciprofloxacin (Ciproxin® u.a.) gegeben werden. Bei grossen Wunden sowie chronischen Wunden, die nicht verheilen wollen und bei systemischen Infektzeichen ist eine Hospitalisation, eventuell notfallmässig, nicht zu vermeiden.
Zusammengefasst von Renato L. Galeazzi
Literatur
- 1) Anon. Rev Prescrire 2014; 34: 674-80
- 2) Schwegler B. pharma-kritik 2003; 25: 41-4 (pk83)
- 3) Masche UP. pharma-kritik 2010; 32: 21-8 (pk771)
Standpunkte und Meinungen
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