Behandlung des Reizdarmsyndroms

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Das Reizdarmsyndrom (RDS) ist gekennzeichnet durch chronische funktionelle Bauchbeschwerden wie krampfartige, brennende oder stechende Schmerzen, Druck- und Völlegefühl, Blähungen, Flatulenz und Stuhldrang. Je nach Symptomen kann man von einem RDS mit Obstipation (RDS-O), mit Durchfall (RDS-D) oder einem Mischtyp (RDS-M) sprechen. Zur Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie sind zahlreiche Fragen offen (1). So orientiert sich die Behandlung relativ unspezifisch an den Beschwerden. Dazu ist vor kurzem eine Übersicht in der unabhängigen Zeitschrift «The Medical Letter» erschienen, die im Folgenden zusammengefasst und ergänzt wird (2).

Diät

Neben einer sorgfältigen Information über die Ungefährlichkeit des RDS stehen – besonders in leichteren Fällen – diätetische Massnahmen im Vordergrund. Bei vielen Betroffenen werden die Beschwerden von bestimmten Nahrungsmitteln ausgelöst, wie z.B. von Milchprodukten, Zwiebeln, Bohnen, Kohl oder scharfen Gewürzen. In den letzten Jahren wurde eine besondere Diätbehandlung des RDS (sogen. «Low-FODMAP»-Diät, siehe Tabelle 1) propagiert. Trotz Hinweisen, dass eine «Low-FODMAP»-Diät das RDS-Beschwerdebild günstig beeinflussen mag, konnten aktuelle Meta-Analysen deren Wirksamkeit bisher nicht etablieren, da bisher kaum grössere randomisierte Studien durchgeführt worden sind (3).  Auch ist zu bedenken, dass eine längerfristige strikte Einhaltung dieser Diät zu nutritionellen Defiziten und möglicherweise ungünstigen Veränderungen der Darmflora führt. Grundsätzlich sind deshalb individuelle Lösungen – z.B. das Weglassen einzelner «irritierender» Nahrungselemente – gefragt, was oftmals hilfreich ist.

Behandlung der Bauchschmerzen

Parasympatholytika wie Scopalamin (z.B. Buscopan®), Metixen (in Spasmo-Canulase®) und Clidinium (in Librax®) lindern die Reizdarmbeschwerden durch ihre anticholinergische krampflösende Wirkung auf die glatte Muskulatur des Darmes. Mebeverin (Duspatalin®) und Pinaverium (Dicetel®) sind weitere Spasmolytika, die direkt oder als Kalziumantagonist die glatten Muskelzellen entspannen.  Spasmolytika können bei Bedarf oder, bei postprandialen Symptomen, regelmässig zu den Mahlzeiten eingenommen werden. In hohen Dosen können Parasympatholytika verschwommenes Sehen, Verwirrung, Mundtrockenheit, Urinretention, Herzklopfen und Obstipation verursachen. Vorsicht ist deshalb bei Patienten mit RDS-O geboten.

Pfefferminzöl (z.B. Colpermin®) entfaltet seine krampflösende Eigenschaft durch Blockierung der Kalziumkanäle auf den glatten Muskelzellen des Magen-Darmtraktes. In einer kleinen Studie mit 90 Teilnehmenden waren nach 8 Wochen dreimal täglicher Einnahme von Colpermin® signifikant mehr Personen schmerzfrei als unter Placebo (43% gegenüber 22%) (4). Das Medikament kann vereinzelt zu Magenbrennen führen. Die optimale Darreichungsform und Dosierung für Pfefferminzöl ist nicht etabliert.

Obwohl der Text im «Medical Letter» Antidepressiva als mögliche Behandlungsoption nennt, kann diese «Off-Label»-Anwendung nicht als gut dokumentierte Therapie eines RDS gelten. Die vorhandenen Studien sind aus methodologischer Sicht nicht von genügender Qualität; entsprechende Meta-Analysen haben auch zu widersprüchlichen Resultaten geführt (5,6). Dabei ist auch zu beachten, dass sowohl die trizyklischen Antidepressiva als auch die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer verschiedene (auch gastro-intestinale) Nebenwirkungen verursachen können.

Die Darmflora kann das RDS beeinflussen, namentlich durch Veränderungen der Darmschleimhaut und -permeabilität oder über die intestinale Fermentierung und Gasbildung. Probiotika können deshalb, wie in dieser Zeitschrift vor kurzem zusammengefasst, gastro-intestinale Symptome vorteilhaft beeinflussen (7). Für die in der Schweiz verfügbaren Präparate sei auf die dort in einer Tabelle zusammengestellten Angaben verwiesen (http://pkweb.ch/2jU4ZAq ). Eine Meta-Analyse, die 24 randomisierte Studien bei Personen mit einem RDS umfasste, lässt schliessen, dass Probiotika das Gesamtbeschwerdebild, Schmerzen, Blähungen und Flatulenz günstig beeinflussen. Ungewissheit besteht hinsichtlich der optimalen Wahl und der Dosierung der Bakterienstämme. Probiotika können anderseits Gasbildung, Durchfall, Blähungen und Singultus verursachen, Sympotome, die aber meistens nur leicht ausgeprägt und vorübergehend sind. 

RDS mit Obstipation

Zur Behandlung der Obstipation steht eine ausführlichere neue Übersicht in dieser Zeitschrift zur Verfügung (8). Hier soll lediglich der Einfluss der Laxantien auf das Beschwerdebild des RDS genauer beleuchtet werden.

Faserstoffe sind wirksam zur Behandlung der Obstipation, ihre Rolle zur Linderung des RDS ist hingegen weniger eindeutig. In einer 3-monatigen Studie bei 275 Personen mit einem RDS waren einzig lösliche Faserstoffe (Psyllium, z.B. Metamucil®) dem Placebo überlegen. Nicht-lösliche Faserstoffe (z.B. Weizenkleie) hatten keinen Einfluss auf das RDS. Neuere Meta-Analysen kommen bezüglich des Nutzens der Faserstoffe bei RDS nicht zu einem einheitlich positiven Urteil (4). Eine langsame Dosissteigerung kann zur Reduktion von Nebenwirkungen (Blähungen und leichte Bauchschmerzen) beitragen.

Macrogol (Polyethylenglycol, PEG) wie z.B. Movicol® ist ein osmotisch wirksames Abführmittel, das die Stuhlfrequenz, aber nicht die abdominalen Symptome und das Gesamtbeschwerdebild beeinflusst. Macrogol gilt als unbedenklich für den Langzeitgebrauch.

Linaclotid (Constella®), offiziell zur Behandlung des RDS-O zugelassen, stimuliert via den Guanylatzyklase-C-Rezeptor die intestinale Flüssigkeitssekretion und Darmperistaltik, siehe die ausführliche Darstellung in dieser Zeitschrift. Im Vergleich mit einer Placebobehandlung profitiert gemäss den vorliegenden Studien bestenfalls eine von sieben Personen in Bezug auf eine Linderung der Bauchbeschwerden und der Obstipation (9). Durchfall, Bauchschmerzen und Blähungen sind die häufigsten unerwünschten Wirkungen.

In den USA wird ausserdem Lubiproston (Amitiza®, in der Schweiz nur zur Behandlung der Obstipation zugelassen) zur Behandlung eines RDS-O empfohlen. Die entsprechenden Studien haben jedoch nur bescheidene Resultate ergeben (10).

Die früher erhältlichen Serotonin-Rezeptoragonisten (z.B. Tegaserod, Zelmac®) wurden wegen ihrer kardiovaskulären Risiken zurückgezogen.  

RDS mit Durchfall

Loperamid (z.B. Imodium®), ein synthetisches Opioid, reduziert die Stuhlfrequenz und den postprandialen Stuhldrang. Die Datenlage zur Linderung des Gesamtbeschwerdebildes eines RDS-D ist ungenügend. In therapeutischen Dosen sind keine zentralnervösen Nebenwirkungen zu erwarten. Vorsicht ist geboten bei Personen mit RDS vom Mischtyp, die wechselnd Durchfall und Obstipation aufweisen.

Auf der Basis, dass eine Gallensäure-Malabsorption eine Rolle für das RDS-D spielen könnte, werden Ionenaustauschharze «off label» zur Therapie des RDS-D verschrieben. Colestyramin (Quantalan®), Colestipol (Colestid®), und Colesevelam (in der Schweiz nicht erhältlich) vermögen die Kolon-Transitzeit zu verlangsamen und das RDS-Beschwerdebild zu beeinflussen. Die Daten hierzu sind jedoch limitiert. Unerwünschte Wirkungen in Form von Obstipation, Magenbrennen, Übelkeit, Aufstossen und Blähungen können auftreten und die Resorption von fettlöslichen Medikamenten kann beeinträchtigt sein.

In den USA ist ein Serotonin-Rezeptorantagonist (Alosetron, Lotronex®) zur Behandlung von Frauen mit therapierefraktären RDS-D-Beschwerden erhältlich. Dieses Medikament ist mit den Risiken einer hartnäckigen Obstipation und einer ischämischen Kolitis verbunden. Ein anderer Serotonin-Rezeptorantagonist, Ondansetron (Zofran® u.a.) kann die Stuhlfrequenz reduzieren, hat aber bezüglich Bauchschmerzen keinen erwiesenen Nutzen.

Ausserdem sind in den USA mit Rifaximin (Xifaxan®) und Eluxadolin (Viberzi®, in der Schweiz nicht erhältlich) zwei neuere Medikamente zur Behandlung des RDS-D zugelassen worden. Rifaximin ist ein Rifampicin-Abkömmling, der in der Schweiz als Zusatztherapie in der symptomatischen Behandlung der hepatischen Enzephalopathie zugelassen ist. Seine Wirkung auf die RDS-Beschwerden ist nicht von nachhaltiger Dauer und der Placebowirkung nur wenig überlegen (11). Eluxadolin ist ein gemischter peripherer Opioidrezeptor-Agonist und -Antagonist. In zwei Doppelblindstudien war Eluxadolin bezüglich Symptomlinderung signifikant wirksamer als Placebo; das Medikament ist jedoch wegen seiner Opioid-Eigenschaften problematisch (12). 

Kommentar

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass für die verschiedenen Varianten des Reizdarm-Syndroms relativ wenig zuverlässige medikamentöse Möglichkeiten zur Verfügung stehen. Mit gezielten diätetischen Massnahmen kann aber versucht werden, die Beschwerden zu reduzieren. Sehr restriktive Diäten wie die «Low-FODMAP»-Diät sind bezüglich Nutzen und Risiken zu wenig gut dokumentiert.

Standpunkte und Meinungen

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Behandlung des Reizdarmsyndroms (21. Februar 2017)
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