Gicht
- Autor(en): Etzel Gysling
- pharma-kritik-Jahrgang 38
, PK1014, Online-Artikel
Redaktionsschluss: 18. April 2017
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2016.1014
Die Gicht ist eine Erkrankung, deren Behandlung sich im Laufe der letzten Jahrzehnte wenig gewandelt hat. Jedenfalls haben sich gemäss einer neuen Übersicht zur Behandlung der Gicht, erschienen im «Australian Prescriber» im August 2016 (1), gegenüber dem Text, den wir vor rund 10 Jahren veröffentlicht haben (2), kaum Veränderungen ergeben. Neu ist das Urikostatikum Febuxostat (Adenuric®), das in pharma-kritik bereits ausführlicher besprochen wurde (3).
Anhand einer Zusammenfassung des erwähnten australischen Artikels sollen hier dennoch die wichtigsten Punkte erläutert werden. Für weitere Einzelheiten sei auf die erwähnten pharma-kritik-Texte verwiesen.
- Die Häufigkeit der Gicht hat in neueren Jahren zugenommen, möglicherweise im Zusammenhang mit der Zunahme von Begleiterkrankungen wie Übergewicht, Diabetes und Hypertonie. Es erkranken jedoch nur rund 10% der Personen mit einer Hyperurikämie (d.h. Plasmawerten über 0,36 mmol/l bei Frauen bzw. über 0,42 mmol/l bei Männern) an einer Gicht.
- Es gibt nach wie vor keine genügende Evidenz, wonach eine Hyperurikämie ohne Gicht behandelt werden sollte (4).
- Die Harnsäure-Plasmaspiegel können bei einem Gichtanfall normal sein; die Diagnose beruht auf dem Nachweis von Mononatrium-Uratkristallen in der Gelenkflüssigkeit (oder in einem Tophus).
- Man sollte auch an sekundäre Ursachen einer Hyperurikämie denken: von Bedeutung sind insbesondere eine Niereninsuffizienz sowie neoplastische Erkrankungen.
- Die Harnsäure-Spiegel steigen unter der Therapie mit verschiedenen Medikamenten (besonders mit Diuretika) an; Tabelle im früheren pharma-kritik-Text: http://pkweb.ch/2oUFCW1.
- Einzelne Medikamente – Losartan (Cosaar® u.a.), Atorvastatin (Sortis® u.a.) und Fenofibrat (Lipanthyl®) – haben eine schwache Harnsäure-senkende Wirkung.
- Die meisten Gichtanfälle betreffen ein Gelenk (am häufigsten das Grosszehengrundgelenk) und klingen ohne Behandlung innerhalb von 1 bis 2 Wochen ab.
- Ein Gichtanfall wird in der Regel mit einem nicht-steroidalen Entzündungshemmer behandelt; wahrscheinlich bestehen bei adäquater Dosierung keine grossen Unterschiede zwischen den verschiedenen Substanzen dieser Gruppe.
- Der Gichtanfall kann auch mit niedrigen Dosen von Colchicin (Einzeldosen von 0,5 mg) behandelt werden; die australische Arbeit empfiehlt, innerhalb von drei Tagen nicht mehr als 1,5 mg zu geben (1). Colchicin ist sowohl ein Substrat als auch ein Hemmer von mehreren Zytochromen (besonders CYP3A4) und von P-Glykoprotein, weshalb verschiedene Interaktionen möglich sind.
- Orale Kortikosteroide sind eine Option (5), wenn andere Medikamente kontraindiziert sind. Dabei werden meistens niedrige Dosen (20 mg Prednisolon täglich, für wenige Tage) verordnet.
- Eine Langzeitbehandlung soll erwogen werden, wenn zwei oder mehr Gichtanfälle jährlich auftreten, Tophi vorhanden sind, eine fortgeschrittene Niereninsuffizienz oder eine Urolithiasis vorliegt.
- Grundsätzlich soll mit der Langzeitbehandlung ein Harnsäure-Wert von 0,36 mmol/l oder weniger erreicht werden. Neben der medikamentösen Behandlung wird empfohlen, sich um eine Gewichtsabnahme zu bemühen, Alkoholmissbrauch sowie individuell identifizierte auslösende Lebensmittel zu vermeiden.
- Mit dem Start einer Urat-senkenden Therapie steigt das Risiko von Gichtanfällen; deshalb sollte für mindestens sechs Monate eine Anfallsprophylaxe (in der Regel mit einem nicht-steroidalen Entzündungshemmer) durchgeführt werden.
- Allopurinol entspricht, trotz gewissen Nachteilen, dem Goldstandard einer Harnsäure-senkenden Behandlung. In der australischen Übersicht wird – bei normaler Nierenfunktion – eine Anfangsdosis von 100 mg/Tag empfohlen. Die Dosis soll nur langsam, jeweils um 50 mg alle 2-4 Wochen, gesteigert werden. (In der Schweiz sind allerdings keine 100-mg-Tabletten erhältlich, die zum Teilen vorgesehen sind.) Offenbar werden jedoch schliesslich nicht selten Tagesdosen über 300 mg benötigt, um die genannten Harnsäure-Spiegel zu erreichen. Eine Allopurinol-Behandlung kann auch während eines Gichtanfalls begonnen werden (6). Beträgt die Kreatinin-Clearance weniger als 30 ml/min, sollen zunächst nur alle 48 Stunden 50 mg verabreicht werden. (Auch eine Verabreichung von 100 mg alle 72 Stunden ist möglich; der aktive Metabolit hat eine relativ lange Halbwertszeit.)
- Unerwünschte Wirkungen von Allopurinol sind oft gastro-intestinaler Natur (Übelkeit, Erbrechen). Das Medikament soll sofort abgesetzt werden, wenn ein Exanthem auftritt. Das gefährliche (aber seltene) Überempfindlichkeits-Syndrom tritt häufiger auf, wenn mit einer höheren Dosis gestartet und die Dosis rasch gesteigert wird (7).
- Der neuere Xanthinoxidase-Hemmer Febuxostat ist ähnlich gut wirksam wie Allopurinol, jedoch gesamthaft noch weniger umfassend dokumentiert (3). Die Anfangsdosis (40 mg/Tag) entspricht ungefähr einer Allopurinol-Dosis von 300 mg. Das Medikament gilt als kontraindiziert bei Personen mit Herzinsuffizienz oder koronarer Herzkrankheit und ist sehr viel teurer als Allopurinol.
- Urikosurika spielen eine untergeordnete Rolle in der Gichttherapie. In der Schweiz ist einzig Probenecid (Santuril®) erhältlich. Das Medikament kommt als alternative Option in Frage, soll aber bei Personen mit einer Nephrolithiasis-Anamnese vermieden werden.
Literatur
- 1) Finch A, Kubler P. Aust Prescr 2016; 39: 119-21
- 2) Flückiger A. pharma-kritik 2006; 28: 49-52 (pk164)
- 3) Gysling E. pharma-kritik 2016; 38: 29-31 (pk1002)
- 4) Graf SW et al. Int J Rheum Dis 2015; 18: 341-51
- 5) Janssens HJ et al. Lancet 2008; 371: 1854-60
- 6) Taylor TH et al. Am J Med 2012; 125: 1126-34
- 7) Graham GG et al. Br J Clin Pharmacol 2013; 76: 932-8
Standpunkte und Meinungen
- Datum des Beitrags: 26. April 2017 (16:06:47)
- Verfasst von: Dr.med. Peter Stark, Hausarzt in Zürich (Zürich)
- Teilbare 100mg Allopurinol-Tbl.
Die Tabletten des Sandoz-Genericums Allopurinol 100mg (Allopur Sandoz) sind teilbar und eignen sich zum Start einer Allopurnol-Therapie, v.a. bei Niereninsuffizienz. Freundliche Grüsse und besten Dank für Ihre Arbeit!
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