Ein Gelatine/Xyloglucan-Kombinationspräparat

Unter dem Namen Utipro plus® ist ein Medizinalprodukt mit folgenden Bestandteilen erhältlich: Gelatine, die mit Xyloglucan (Hemicellulose) vernetzt ist, Propolis und ein Extrakt aus Hibiscus sabdariffa. Das Präparat enthält verschiedene Exzipientien. Es wird zur «Kontrolle und Prävention» von Harnweginfektionen durch E. coli oder andere gramnegative Bakterien empfohlen.

Chemie/Pharmakologie

Harnwegsinfekte werden meistens durch Keime verursacht, die aus der eigenen mikrobiellen Flora des Darmes oder der Anogenitalregion stammen. Als Hauptbestandteil von Utipro plus® soll die mit Xyloglucan vernetzte Gelatine mechanisch im Darmlumen wirken, indem sie einen Biofilm bildet. Dieser Biofilm soll den Kontakt der Bakterien mit der Darmschleimhaut unterbinden und so zu einer verringerten Vermehrung und fäkalen Ausscheidung dieser Erreger führen. Im Tierversuch bei Ratten konnte eine solche Wirkung für E. coli und verschiedene Enterokokken nachgewiesen werden.(1) Nun verspricht man sich eine analoge Wirkung beim Menschen, indem so das Risiko für eine Übertragung der entsprechenden Keime auf die Harnwege reduziert werden soll.

Den ergänzenden Inhaltsstoffen Propolis und Hibiskus-Extrakt wird eine ansäuernde Wirkung auf den Urin zugeschrieben. Bei einem infizierten Urin, der Nitrit enthält, kann die Senkung des pH-Wertes zur Bildung von Stickstoffmonoxid (NO) führen, welches antibakterielle Eigenschaften aufweist.(2)

Pharmakokinetik

Die mit Xyloglucan vernetzte Gelatine wirkt mechanisch im Darm und wird nicht resorbiert. Zur Pharmakokinetik von Propolis und Hibiskus-Extrakt liegen keine Angaben vor.

Klinische Studien

In einer ersten Doppelblindstudie wurde das Präparat bei Symptomen einer akuten Blasenentzündung untersucht. Aufgenommen wurden 60 Erwachsene mit Symptomen eines akuten Harnwegsinfektes, die noch nicht länger als 72 Stunden gedauert hatten, sowie einem positiven Uristix (positiver Nachweis von Nitrit oder Leukozytenesterase). Sie erhielten für 5 Tage alle 12 Stunden nach dem Zufall entweder eine Kapsel mit 125 mg vernetzter Gelatine, 100 mg Propolis und 100 mg Trockenextrakt aus Blütenkelchen von Hibiscus sabdariffa oder Placebo. Ausschlusskriterien waren Fieber >37,5°C, Rückenschmerzen, Antibiotikabehandlung in den vorhergehenden 48 Stunden, Fehlbildungen des Urogenitaltraktes, Immunschwäche sowie Schwangerschaft und Stillzeit. Primärer Endpunkt war der Anteil Personen, bei denen eine antibiotische Behandlung notwendig wurde. In der aktiven behandelten Gruppe war dies viel seltener der Fall (bei 3 von 30 Personen) als in der mit Placebo behandelten Gruppe (10 von 30 Personen). Dies entspricht einem relativen Risiko von 0,3 (95%-Vertrauensintervall 0,09-0,98). Auch die Selbsteinschätzung der Betroffenen bezüglich der vier Symptome Dysurie, Harndrang, suprapubische Schmerzen und Geruchsveränderungen des Urins verbesserte sich nach 5 Tagen aktiver Behandlung stärker als unter Placebo.(3)

In einer zweiten Doppelblindstudie wurde die Wirkung des Gelatine/Xyloglucan-Präparates auf das Rezidivrisiko von Harnwegsinfekten untersucht. 78 erwachsene Frauen mit einem auf Ciprofloxacin (Ciproxin® u.a.) sensiblen Harnwegsinfekt erhielten für 5 Tage parallel zur Behandlung mit Ciprofloxacin (500 mg/Tag) zusätzlich zweimal täglich das oben beschriebene Kombinationspräparat oder Placebo. Unmittelbar anschliessend wurde die Behandlung mit täglich 1 Kapsel des Kombinationspräparates oder Placebo weitergefihrt. Eine entsprechende «Kur» mit dem Gelatine/Xyloglucan-Präparat oder Placebo wurde in den folgenden zwei Monaten jeweils für 15 Tage wiederholt. Primärer Endpunkt war die Zahl symptomatischer Harnwegsinfekte über den Zeitraum von 6 Monaten. Die Originalarbeit nennt dazu keine Fallzahlen, sondern berichtet lediglich von einer (scheinbar signifikant, nämlich um 19%) kleineren Zahl von Infektrezidiven unter dem Kombinationspräparat. Um tatsächlich ein aussagekräftiges Resultat zu finden, hätten allerdings gemäss den in der Publikation enthaltenen statistischen Erwägungen 108 Frauen in die Studie aufgenommen werden müssen.(4)

Ausserdem liegt aus dem Jahr 2010 eine kleine Doppelblindstudie aus Frankreich vor, in deren Rahmen ein Hibiscus-sabdariffa-Monopräparat zur Prophylaxe von Harnwegsinfekten untersucht worden war. 40 erwachsene Frauen mit mindestens 4 Episoden eines unkomplizierten Harnwegsinfektes im vorangehenden Jahr erhielten über ein halbes Jahr täglich entweder 2 Kapseln eines Hibiskusextraktes (Dosis nicht genau spezifiziert) oder Placebo. Nach drei Monaten unterschieden sich die beiden Gruppen nicht, nach sechs Monaten waren unter der aktiven Behandlung weniger Harnwegsinfekte aufgetreten (absolute Risikoreduktion der Inzidenz von Harnwegsinfekten: -0,75 unter Placebo gegenüber -1,81 unter Hibiskusextrakt; Resultat knapp statistisch signifikant).(5)

Unerwünschte Wirkungen

Im Rahmen der ersten der oben erwähnten Studien traten bei zwei von 30 Personen unerwünschte Wirkungen auf, welche auf die Behandlung zurückgeführt wurden. Eine Person klagte über Durchfall, eine andere über Bauchschmerzen. In der zweiten Studie wurde der Blutdruck kontrolliert, da dem Extrakt aus Hibiscus sabdariffa eine blutdrucksenkende Wirkung nachgesagt wird – es konnte allerdings keine Auswirkung auf den Blutdruck festgestellt werden; über andere unerwünschte Wirkungen wurde nicht berichtet.(3,4)

Gemäss Packungsbeilage soll das Medikament bei Überempfindlichkeit auf Gelatine oder andere Inhaltsstoffe nicht eingenommen werden. Diesbezüglich scheint Propolis der heikelste Bestandteil zu sein, sind doch mehrere schwere allergische Reaktionen und auch vereinzelte Fälle von akuter Niereninsuffizienz nach Einnahme dieses Bienenproduktes beschrieben worden.(6)

Interaktionen

Hinsichtlich der mit Xyloglucan vernetzten Gelatine sind keine Interaktionen dokumentiert, auf Grund der Wirkungsweise ist allerdings eine verminderte Resorption von anderen Medikamenten oder Mikronährstoffen im Darm denkbar.

Für das Hibiscus-sabdariffa-Extrakt wurde eine hemmende Wirkung auf verschiedene Zytochrome dokumentiert. Interaktionen mit Simvastatin (Zocor® u.a.) und Hydrochlorothiazid (Esidrex®) wurden beschrieben.(7-9)

Dosierung, Verabreichung, Kosten

Die Kombination von mit Xyloglucan vernetzter Gelatine mit Propolis und Hibiskus-Extrakt (Utipro plus®) ist als Kapseln erhältlich. Das Präparat ist zugelassen «zur Kontrolle und Prävention von Harnwegsinfektionen, die durch Krankheitserreger wie E. coli und andere gramnegative Bakterien verursacht werden, die normalerweise an der Entstehung urologischer Infektionen beteiligt sind». Im Arzneimittelkompendium ist die genaue Dosierung der Inhaltsstoffe nicht angegeben. Das in den oben erwähnten Studien verabreichte Präparat stammte von derselben Firma und enthielt 125 mg vernetzte Gelatine, 100 mg Propolis und 100 mg Trockenextrakt aus Blütenkelchen von Hibiscus sabdariffa. Es ist davon auszugehen, dass es sich dabei um dasselbe Produkt handelt.

Es wird empfohlen, bei Auftreten der ersten Symptome einer Harnwegsinfektion zweimal täglich eine Kapsel während 5 Tagen mit ausreichend Wasser zu schlucken. Zur Prävention von wiederkehrenden Infektionen soll an mindestens 15 aufeinanderfolgenden Tagen pro Monat täglich eine Kapsel eingenommen werden, was über mehrere Zyklen hintereinander erfolgen könne. Es wird darauf hingewiesen, dass es sich nicht um ein Antibiotikum handle und somit nicht eine antibiotische Behandlung ersetzen könne, falls eine solche notwendig werde. Die Anwendung in Schwangerschaft und Stillzeit wurde nicht untersucht und wird deshalb nicht empfohlen.

Utipro plus® ist nicht kassenzulässig, eine Packung mit 30 Kapseln kostet CHF 33.80.

Kommentar

Aufgrund der immer drängender werdenden Problematik der Antibiotikaresistenzen ist es zu begrüssen, wenn nach Alternativen zur Antibiotikagabe bei banalen und häufigen Infekten gesucht wird. Besonders hilfreich wäre eine solche bei der Prophylaxe von rezidivierenden Harnwegsinfekten, wo die langfristige Gabe von Antibiotika zwar wirksam, aber nicht unproblematisch ist.(10) Doch leider kann aus den vorhandenen Daten nicht klar geschlossen werden, ob es sich bei Utipro plus® nun wirklich um ein vielversprechendes neues Konzept oder eher um ein gut vermarktetes Placebo handelt. Die wenigen Studiendaten klingen zwar vielversprechend, aber es handelt sich dabei um sehr kleine, methodologisch nicht überzeugende Studien, welche fast alle vom Hersteller des Produktes durchgeführt wurden. Dass ein so mager dokumentiertes Produkt überhaupt eine Zulassung erhalten hat, liegt daran, dass es nicht als Arzneimittel, sondern als Medizinalprodukt zugelassen wurde. Bei den letzteren gelten für die Zulassung nämlich deutlich weniger strenge Bedingungen.

Literatur

  1. 1) Olier M et al. Digestive Disease Week San Diego Convention Center 2016, Abstract Nr. 2439405
  2. 2) Carlsson S et al. Nitric Oxide 2001; 5: 580-6
  3. 3) García-Larrosa A et al. Clin Microbiol 2016; 5: 1
  4. 4) Salvatorelli N et al. Urol Int 2016; 97: 347-51
  5. 5) Allaert FA. Lettre de l’Infectiologue 2010; 25: 1-5
  6. 6) Anon. Rev Prescrire 2010; 30: 190-1
  7. 7) Johnson SS et al. Afr J Tradit Complement Altern Med 2013; 10: 533-40
  8. 8) Showande SJ et al. J Clin Pharm Ther 2017; 42: 695-703
  9. 9) Ndu OO et al. J Med Food 2011; 14: 640-4
  10. 10) Albert X et al. Cochrane Database Syst Rev 2004; 3: CD001209

Standpunkte und Meinungen

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Ein Gelatine/Xyloglucan-Kombinationspräparat (18. Mai 2018)
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pharma-kritik, 40/No. 1
PK1044
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