Massvoller Einsatz von Protonenpumpenhemmern

Als 1989 in der «pharma-kritik» Omeprazol vorgestellt wurde, lautete der Kommentar (1): «Omeprazol, das sich durch ein völlig neuartiges Wirkungsprinzip (Protonenpumpenhemmung) auszeichnet, ist bei Ösophagitis und peptischen Ulzera rascher wirksam als die H2-Blocker und vermag offensichtlich auch in einzelnen sonst therapierefraktären Fällen eine «Heilung» herbeizuführen. Da die Ulkuskrankheit und noch mehr die Refluxösophagitis zu Rezidiven neigen, ist  wie bei den H2-Blockern  eine chronische Verabreichung vorprogrammiert. Unsere Kenntnisse über mögliche Risiken einer langfristigen Einnahme von Omeprazol sind aber noch ungenügend.»

Omeprazol (Antramups® und Generika) wurde zu einem «Blockbuster» und zum ersten Wirkstoff einer neuen Klasse, deren Vertreter keine grossen pharmakokinetischen und pharmakodynamischen Unterschiede aufweisen (2). Protonenpumpeninhibitoren (PPI) werden bei peptischer Ulkuserkrankung, Beschwerden infolge von gastroösophagealem Reflux und bei Dyspepsie eingesetzt sowie, in der Kombinationstherapie mit Antibiotika, zur Eradikation von Helicobacter pylori. Auch rezeptfrei erhältliche Päparate zur kurzzeitigen Behandlung von Refluxsymptomen sind im Handel.

In Deutschland hat die Verschreibung von PPI in der Zeit von 2001 bis 2010 um das 5-Fache zugenommen (3). Wie beurteilen Experten heute die Auswirkungen einer langfristigen Einnahme?

Schlussfolgerungen aus klinischen Studien

In einem kürzlich publizierten Beitrag im kanadischen «Therapeutics Letter» (3) wurden Empfehlungen zur Langzeittherapie mit Protonenpumpenhemmern («proton pump inhibitors», PPI) zusammengefasst. 

Basierend auf einer Serie von im «Therapeutics Letter» zuvor publizierten Übersichtsartikeln, in denen die auf randomisierten klinischen Studien basierende Evidenz zu den PPI behandelt wurde, ergeben sich folgende Schlussfolgerungen:
  • Bei einer Therapiedauer von 8-12 Wochen sind PPI wirksam gegen gastroösophagealen Reflux und peptische Ulkuserkrankung.
  • Wirksam behandelte Personen benötigen keine chronische Verabreichung von säurehemmenden Medikamenten.
  • Langdauernde Verabreichung von PPI ist angemessen bei rezidivierender, schwerer erosiver Ösophagitis.
  • Unter den verschiedenen PPI war keines in der Behandlung des gastroösophagealen Reflux oder der Symptome einer peptischen Ulkuserkrankung dem anderen überlegen.
  • Die unerwünschten Wirklungen der PPI wurden in keiner langdauernden randomisierten Studie speziell untersucht.
Nebenwirkungen der PPI hängen unter anderem mit einer erhöhten Infektanfälligkeit, sekundärer Hypergastrinämie, verminderter Aufnahme von Mikronährstoffen oder Überempfindlichkeitsreaktionen zusammen (4). Das Wissen über unerwünschte Wirkungen einer Langzeiteinnahme von PPI beruht vorwiegend auf Beobachtungsstudien. Darin wurde über vielfältige, teilweise gravierende Risiken berichtet, unter anderem Enteritiden (insbesondere C. difficile), spontane bakterielle Peritonitis, Frakturen, Hypomagnesiämie, akute interstitielle Nephritiden, Eisenmangel, Vitamin-B12-Mangel, Magenpolypen und Magenkrebs.  

Verpflichtung zum Absetzen?

In Studien in englischsprachigen Ländern stellte man fest, dass bei 40-65% der hospitalisierten Personen unter Langzeittherapie mit PPI und 40-55% der Behandelten in der ambulanten Grundversorgung kein dokumentierter Grund zur Einnahme eines PPI bestand (5). Die Autoren des «Therapeutics Letter» weisen darauf hin, dass bei fehlender Evidenz für einen Nutzen der Langzeiteinnahme Kosten und mögliche Gefahren eine Verpflichtung bedeuten, ein Absetzen nach Möglichkeit zu prüfen. Eine Cochrane-Review stellte fest, dass die Datenlage zu den Langzeitauswirkungen des Absetzens einer PPI-Behandlung ungenügend sei (6). 

In einer kanadischen Richtlinie (5) wird «deprescribing of PPIs» folgendermassen definiert: Dosisreduktion, Wechsel zu intermittierender Einnahme bzw. Einnahme bei Bedarf, Wechsel zu einem H2-Rezeptor-Antagonisten oder komplettes Absetzen der Behandlung. Für einen Vergleich zwischen diesen Vorgehensweisen fanden die Autorinnen und Autoren keine Evidenz; sie empfehlen ein ausschleichendes Absetzen der PPI bei Erwachsenen, bei denen nach mindestens vierwöchiger Behandlung die Symptomatik verschwunden ist (mit Ausnahme von Personen mit Barrett-Ösophagus, schwerer Ösophagitis oder einer Vorgeschichte mit Ulkusblutungen).

Einnahme nach Bedarf

In verschiedenen Untersuchungen war eine PPI-Einnahme jeweils bei Bedarf zur Prävention von Sodbrennen wirksamer als Placebo. 
Eine 2016 durchgeführte randomisierte Studie (7) bei Behandelten mit nicht-erosiver Refluxkrankheit zeigte, dass hinsichtlich Bereitschaft zur Fortsetzung der Behandlung eine sechsmonatige On-demand- Erhaltungstherapie mit Esomeprazol (Nexium® und Generika) nicht schlechter abschnitt als eine kontinuierliche Erhaltungstherapie. Obwohl die kontinuierliche Behandlung eine signifikant bessere Symptomkontrolle ergab, erreichte nur der Unterschied in der Ausprägung des Reflux eine klinisch relevante Grösse. 

Abschliessende Empfehlungen im kanadischen Beitrag

In den Schlussfolgerungen des «Therapeutics Letter» wird betont, dass viele Patientinnen und Patienten PPI weit über die empfohlene Dauer hinaus einnehmen und dass die Verschreibung oder Fortführung einer Behandlung nicht ohne klare Indikation und Therapieziel erfolgen soll. Die Autoren schlagen vor, Indikation und die Dauer der Therapie ins Rezept zu notieren, um sicherzustellen, dass sie bei der Abgabe in der Apotheke auch auf dem Etikett aufgedruckt werden. Nach vier Wochen sollte bei Symptomfreiheit erwogen werden, die PPI zu reduzieren oder abzusetzen. Dies kann durch Dosisreduktion oder verlängerte Einnahmeintervalle geschehen; bei Erfolg kann eine Einnahme bei Bedarf oder ein komplettes Absetzen der Therapie geprüft werden. Gute Patienteninformation und eine Strategie zum Umgang mit wiederkehrenden Symptomen steigern den Erfolg.

Schweizer Empfehlungen

Auch in der Schweiz ist ein Hinweis zur Behandlung mit PPI in die Empfehlungen der «smarter medicine»-Initiative eingeflossen. Die Schweizerische Fachgesellschaft für Gastroenterologie nennt in ihrer Top-5-Liste von Interventionen, deren Vermeidung sie empfiehlt (8), auf Platz 1:

«Für die medikamentöse Behandlung der gastroösophagealen Refluxerkrankung (GERD) sollte die säuresupprimierende Therapie (mit Protonenpumpenblockern oder Histamin-2-Rezeptorantagonisten) auf die niedrigste mögliche Dosierung eingestellt werden, die das Erreichen des therapeutischen Ziels noch gewährleistet. Das hauptsächliche Risiko, das mit der Reduktion oder dem Absetzen der säuresupprimierenden Therapie einhergeht, ist eine Verschlechterung der Refluxsymptomatik. Die Entscheidung sowohl bezüglich Notwendigkeit als auch Dosis einer Erhaltungstherapie wird eher durch den Einfluss der Symptome auf die Lebensqualität des Patienten als durch das Ausmass der Krankheitskontrolle bestimmt.»

PPI-induzierte Hypergastrinämie und das Risiko von Magenkrebs

PPI sind die einzige Gruppe von Medikamenten, die in üblicher Dosierung eine langfristige Hypergastrinämie verursachen. Erhöhte Gastrin-Freisetzung ist ein wahrscheinlicher pathogener Faktor für die Entstehung von Magenkarzinomen unter Langzeiteinnahme von PPI (9). Schlussfolgerungen von kürzlich publizierten Studien stärken den Verdacht, dass unter Langzeitbehandlung mit PPI das Risiko von Magenkrebs erhöht sein könnte (10-12).

Standpunkte und Meinungen

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Massvoller Einsatz von Protonenpumpenhemmern (25. September 2018)
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