Oberflächliche Thrombophlebitis

Eine oberflächliche Thrombophlebitis an den Beinen kann als selbstlimitierende und benigne Erkrankung angesehen werden, aber auch als ein gefährlicher Zustand, der mit einer tiefen Beinvenenthrombose (TVT) und Lungenembolien (LE) vergesellschaftet ist (1,2).

Die oberflächliche Thrombophlebitis wurde bisher nur einmal in unseren Publikationen erwähnt, nämlich im Rahmen einer Zusammenfassung einer Studie über die Wirkung von Enoxaparin (Clexane®) (3). Hier folgt nun eine Zusammenfassung einer Übersichtsarbeit aus dem «Drug and Therapeutics Bulletin» (DTB), die 2017 erschienen ist (4)

Kontext

Im DTB wird statt von Thrombophlebitis von einer oberflächlichen Beinvenenthrombose (OBVT) gesprochen, weil die Entzündung in den meisten Fällen eine Folge der Thrombosierung und nicht die Ursache dafür sei. Typisch sei das Auftreten eines warmen, schmerzhaften, erythematösen und palpierbaren Strangs entlang dem Verlauf einer oberflächlichen Vene. Eine Varikose ist der Hauptrisikofaktor, in 80-90% der Fälle vorhanden. Die meisten dieser Fälle heilen ab, ohne dass medizinische Hilfe aufgesucht wird.

Andere Risikofaktoren sind dieselben wie für die tiefe Beinvenenthrombose: Alter, Geschlecht, Übergewicht, Krebs, frühere Thrombosen, Schwangerschaft, orale Kontrazeptiva und Hormonersatztherapie, chirurgische Eingriffe und Autoimmunerkrankungen.

Die Häufigkeit einer OBVT wird mit 0,64 auf 1000 Personen pro Jahr beziffert, diejenige einer TVT mit 1,0 und die Häufigkeit einer LE mit 0,6 auf 1000 Personen (5). Die Mortalität der OBVT beträgt weniger als 1% gegenüber 9-17% für die LE.

Thromboembolische Erkrankungen

Eine Studie aus dem Jahr 2010 fand bei 844 Patientinnen und Patienten mit OBVT initial bei 25% Zeichen einer TVT oder LE, und 10% erlitten eine solche Komplikation in den ersten drei Monaten trotz Antikoagulation (6). Besonders betroffen waren Männer, Leute über 75 und solche mit TVT in der Anamnese, Krebs, Hospitalisation und dem Fehlen einer Varikose. Wegen der Assoziation von OBVT und TVT und LE wird diskutiert, ob alle Betroffenen einer Ultraschall-Untersuchung zugewiesen werden sollten - Richtlinien dazu gebe es laut DTB nicht.

Erkranken Personen an einer OBVT, so ist ihr Risiko einer gefährlicheren thromboembolischen Komplikation 6-mal grösser, wenn jemand früher schon eine OBTV hatte. Das Risiko einer solchen Komplikation ist 9-mal grösser, wenn  «moderate Risikofaktoren» (Rauchen, Übergewicht) bestehen, aber 31-mal grösser mit «harten Risikofaktoren» (nach Operationen, Hospitalisationen, Immobilisierung im Gips, oder Krebs). Am meisten gefährdet sind Frauen unter oraler Kontrazeption, Hormonersatztherapie, während der Schwangerschaft oder nach einer Geburt (1).

Behandlung der OBVT

Es nicht völlig klar, wie man eine OBVT am besten behandelt. Neuere Guidelines empfehlen eine Behandlung, welche sowohl die lokalen Symptome mildert als auch die Ausdehnung ins tiefe Beinvenensystem verhindert (7-9). Neben lokal oder systemisch angewandten Entzündungshemmern und Kompressionsstrümpfen werden teilweise auch Antikoagulantien eingesetzt. Die meisten dieser Interventionen sind jedoch spärlich dokumentiert; insbesondere fehlt oft der Nachweis einer Auswirkung auf Komplikationen (TVT, LE).

Fondaparinux

Fondaparinux (Arixtra®), ein injizierbares Pentasaccharid, führt ähnlich wie neuere direkte orale Antikoagulantien zur Inaktivierung des Faktors Xa. In einer Doppelblindstudie bei rund 3000 Personen mit einer OBVT wurde Fondaparinux mit Placebo verglichen. Für 45 Tage wurde mit Fondaparinux (2,5 mg/Tag s.c.) oder Placebo behandelt. Lokale oder systemische Entzündungshemmer und Plättchenhemmer waren bei allen gestattet (aber nicht vorgeschrieben). Am wirksamsten war die aktive Substanz in der Verhinderung der Ausbreitung der OBVT (NNT=32). Im Vergleich mit Placebo konnte Fondaparinux auch eine Komplikation (TVT, LE) verhindern; die entsprechende NNT betrug 88 (10).

Heparine

Studien zur Therapie mit niedermolekularem oder unfraktioniertem Heparin (in verschiedenen Dosen) lassen kaum zuverlässige Schlussfolgerungen zu. Gemäss einer aktuellen Cochrane-Analyse müssen dazu weitere Studien durchgeführt werden (11).

Orale Entzündungshemmer

Gemäss der erwähnten Cochrane-Analyse finden sich sechs Studien, in denen orale nicht-steroidale Entzündungshemmer mit Placebo verglichen wurden. Die aktiven Medikamente reduzierten das Risiko für eine weitere Ausdehnung und ein Wiederauftreten der OBVT signifikant (Relatives Risko 0,46; 95%-Vertrauensintervall 0,27-0,78). Aber sie verkürzten die Zeit nicht, während der lokale Symptome bestanden und verhinderten auch das Auftreten von TVT und LE nicht. 

Lokale Therapie

In einer Studie mit 20 Teilnehmenden wurde nach der Applikation eines Diclofenac-Gels (Voltaren® u.a.) im Vergleich mit Placebo eine statistisch signifikante Besserung der lokalen Symptome gefunden (12). Daten zu anderen Wirkungen (Verhinderung der Ausdehnung der OBVT, das Auftreten von TVT und LE) fehlen.

Kompressionsstrümpfe

Einige Guidelines empfehlen Kompressionsstrümpfe zur Linderung der lokalen Symptome; Kompressionsgrad und Anwendungsdauer sind aber nicht bestimmt. Meistens wird die Kompressionsklasse II verschrieben. In einer randomisierten Studie mit 80 Teilnehmenden brachte jedoch das Tragen von Kompressionsstrümpfen der Klasse II keinen Nutzen gegenüber keiner Kompression (13). Studien, in denen die Wirkung von Kompressionsstrümpfen allein im Vergleich mit Kompression + Antikoagulation untersucht wurde, konnten hinsichtlich TVT und PE keinen signifikanten Nutzen der kombinierten Therapie nachweisen.

Rivaroxaban

Rivaroxaban (Xarelto®, 10 mg/Tag per os) wurde in einer offenen Studie mit Fondaparinux (2,5 mg/Tag s.c.) bei 472 Personen mit einer OBVT verglichen. Der primäre Endpunkt war zusammengesetzt aus den Todesfällen, symptomatischen TVT oder LE und der symptomatischen Ausdehnung oder dem Wiederauftreten der OBVT. Dieser Endpunkt wurde in der Fondaparinux-Gruppe seltener erreicht als unter Rivaroxaban (NNT=100). Gemäss einer Nicht-Unterlegenheits-Analyse war jedoch Rivaroxaban statistisch nicht weniger wirksam als Fondaparinux (14). In der Schweiz sind offiziell keine Antikoagulatien in dieser Situation zugelassen.

Guidelines

Das schottische «Intercollegiate Guidelines Network» empfiehlt bei der OBVT Kompressionsstrümpfe und eventuell ein niedermolekulares Heparin für 30 Tage oder Fondaparinux für 45 Tage in prophylaktischer Dosierung (8). Wenn Heparine oder Fondaparinux kontraindiziert sind, können nicht-steroidale Entzündungshemmer oral gegeben werden.

Falls eine OBVT bis zur Einmündung der Saphena in die Femoralis reicht, wird von Fachleuten eine 6- bis 12-wöchige Antikoagulation empfohlen. In den USA schlägt das «College of Chest Physicians» eine prophylaktische Antikoagulation mit Fondaparinux für 45 Tage vor, wenn sich die Thrombose auf 5 cm oder mehr ausdehnt. Als Alternative kann für 45 Tage ein niedermolekulares Heparin in prophylaktischer Dosis gegeben werden (7).

In der Guideline der «British Society of Haematology» wird eine therapeutische Antikoagulation empfohlen, wenn eine OBVT bis zu 3 cm an die sapheno-femorale Einmündung heranreicht (9). Personen mit Risikofaktoren für Progression, TVT oder Rezidive sollte eine prophylaktische Therapie mit einem niedermolekularen Heparin oder Fondoparinux offeriert werden. Fehlen spezielle Risiken, so kann für 30 bis 45 Tage mit einem nicht-steroidalen Entzündungshemmer behandelt werden.

In einem internationalen «Consensus Statement» aus dem Jahre 2013 wird Fondaparinux (2,5 mg/Tag s.c.) oder ein niedermolekulares Heparin in mittlerer Dosierung für mindestens 30 Tage empfohlen (15). Therapeutische Dosen sollen eingesetzt werden, wenn sich die OBVT in die Nähe der Einmündung der V. Saphena in die V. poplitea oder V. femoralis ausdehnt. Lokale Behandlungen mit Heparinoiden, nicht-steroidalen Entzündungshemmern und Kompressionsstrümpfe seien nur bei OBVT unterhalb des Knies in einem varikösen Bereich angemessen.

Schlussfolgerungen des DTB

Oberflächliche Beinvenenthrombosen sind häufig und heilen oft spontan. Sie können aber auch zu TVT und LE sich ausweiten, insbesondere bei rezidivierenden OBVT.

Bei welchen Patientinnen und Patienten sonographisch eine TVT ausgeschlossen werden sollte, ist nicht genau definiert, aber sicher bei einer OBVT im proximalen Bereich der V. saphena indiziert.

Es besteht kein Konsens über die beste Therapie, aber orale Entzündungshemmer und Kompressionsstrümpfe werden zur Schmerzstillung und Abschwellung gegeben. Die meisten Guidelines empfehlen prophylaktische Dosen von Fondaparinux oder niedermolekularen Heparinen, insbesondere bei Personen mit einem höheren Risiko für eine TVT oder LE. Diese sollten spezialärztlich betreut werden, denn die Erfassung und Behandlung thromboembolischen Komplikationen sie schwierig.

Kommentar

Diese Übersicht im DTB stützt sich auf publizierte, gut durchgeführte Studien, besonders auf eine Review der Cochrane Library. Daher kommen z.B. Stützstrümpfe nicht so gut weg, da das Studium ihres Nutzens schwierig und nicht häufig durchgeführt wird. Kompressionsstrümpfe sind aber aus patho-physiologischen Gründen wohl trotzdem indiziert, verhindern sie doch die Stauung, ein wichtiger Auslöser für eine Thrombose (Virchow). Sie sollten bei rezidivierenden OBVT auch prophylaktisch getragen werden. Mir scheint auch wichtig, dass bei rezidivierenden OBVT nicht nur intensiver nach thromboembolischen Komplikationen gesucht wird, sondern auch nach malignen oder autoimmunen Krankheiten. Ansonsten glaube ich, dass – neben der Kompression – die Schmerzstillung und das Suchen nach Risikofaktoren für eine Beteiligung der tiefen Venen das Wichtigste ist.

Standpunkte und Meinungen

  • Datum des Beitrags: 27. April 2019 (10:26:12)
  • Verfasst von: Dr.med. Hans Gasser, Hausarzt (Höchst)
  • Thrombophlebitis an den OE-Vorgehensweise?
    Wie ist das Procedere an den OE ( zB Vena cephalica; Vena axillaris)?

    Antwort:

    Der Text, der hier für pharma-kritik zusammengefasst wurde, befasst sich nur mit der Thrombophlebitis an den unteren Extremitäten. Die Frage, wie man vorgehen sollte, wenn an den oberen Extremitäten eine tiefe Thrombophlebitis auftritt, wird z.B. in einem aktuellen Buchkapitel besprochen: https://pkweb.ch/2XOWRW6 (Empfohlen wird eine mindestens dreimonatige Antikoagulation).

    Bei einer oberflächlichen Thrombophlebitis an den oberen Extremitäten besteht gemäss einer Cochrane-Übersicht aus dem Jahr 2015 (https://pkweb.ch/2XU3erj) keine zufriedenstellende Evidenz, welches die beste Behandlung wäre (Lokal entzündungshemmend? Antikoagulieren? Nicht-steroidale Entzündungshemmer systemisch?).  

    EG
Oberflächliche Thrombophlebitis (16. April 2019)
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pharma-kritik, 40/No. online
PK1064
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