Lercanidipin

Lercanidipin (Zanidip®), ein Dihydropyridin-Kalziumantagonist, wird zur Behandlung der essentiellen Hypertonie empfohlen.

Chemie/Pharmakologie

Lercanidipin ist ein Dihydropyridin mit ausgeprägten lipophilen Eigenschaften.(1) Das Medikament wird als Razemat angewendet; für die blutdrucksenkende Wirkung ist das S-Enantiomer verantwortlich. In Tierversuchen hat Lercanidipin typische kalziumantagonistische Eigenschaften gezeigt, d.h. es hemmt das Einströmen von Kalziumionen durch die Zellwand von glatten Muskelzellen. So wirkt es gefässerweiternd und senkt den peripheren Gefässwiderstand. Gemäss Daten aus In-vitro- Versuchen wirkt sich Lercanidipin selektiv auf Gefässmuskelzellen aus und beeinflusst Muskelzellen im Darm oder in der Blase wenig. In Tierversuchen hatte Lercanidipin auch eine geringere negativ-inotrope Wirkung als mehrere andere Dihydropyridin- Kalziumantagonisten. Ebenso fand sich nur ein geringer Einfluss auf die Aktivität des Sympathikus (Herzfrequenz, Noradrenalinspiegel). Auf die Lipidwerte und den Blutzucker übt Lercanidipin keinen nennenswerten Einfluss aus.(1)

Pharmakokinetik

Lercanidipin wird gastrointestinal praktisch vollständig resorbiert, jedoch in hohem Ausmass präsystemisch metabolisiert («first pass»). Wird das Medikament nüchtern eingenommen, so beträgt die Bioverfügbarkeit 3 bis 4%, bei Einnahme nach dem Essen durchschnittlich etwa 10%. Maximale Plasmaspiegel werden 2 bis 3 Stunden nach der Einnahme erreicht. Lercanidipin hat eine nicht-lineare Kinetik – höhere Dosen erzeugen überproportional höhere Spiegel. Die Plasmahalbwertszeit beträgt 8 bis 10 Stunden. Da sich die Substanz in der Lipidschicht der Zellmembran anreichert, dauert ihre Wirkung aber länger an, so dass mit einer Dosis pro Tag eine 24-Stunden- Wirkung auf den Blutdruck erreicht wird.

Für den Metabolismus von Lercanidipin ist im wesentlichen das Isoenzym CYP3A4 verantwortlich. Gemäss den Resultaten von Studien mit humanen Lebermikrosomen kann Lercanidipin in hohen Dosen CYP3A4 und CYP2D6 hemmen. Die Metaboliten sind inaktiv und werden etwa zur Hälfte mit dem Urin und mit dem Stuhl ausgeschieden.(2)

Bei älteren Leuten und bei Personen mit einer leichten Beeinträchtigung der Leber- oder Nierenfunktion ist die Pharmakokinetik nicht wesentlich verändert. Höhere Spiegel und eine entsprechend ausgeprägtere blutdrucksenkende Wirkung werden bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz beobachtet;(2) auch bei Leberinsuffizienz ist mit einer verstärkten Wirkung zu rechnen.

Klinische Studien

Die antihypertensive Wirkung von Lercanidipin wurde in zahlreichen, vorwiegend kurzdauernden Studien dokumentiert. Das Medikament ist in einzelnen Ländern (z.B. Deutschland) schon seit mehreren Jahren im Handel, in den USA jedoch bisher nicht zugelassen.

In der Regel wurden Personen mit einer leichten bis mittelschweren arteriellen Hypertonie (d.h. mit einem diastolischen Blutdruck zwischen 95 und 115 mm Hg) in die Studien aufgenommen, vereinzelt auch solche mit höheren Blutdruckwerten. Lercanidipin wurde täglich einmal verabreicht, meistens initial in einer Dosis von 10 mg. Nach einigen Wochen war eine Steigerung der Tagesdosis auf 20 mg (zum Teil auch auf 30 mg) möglich. Die Blutdruckmessung erfolgte normalerweise etwa 24 Stunden nach der vorausgehenden Dosis.

Im Vergleich mit anderen Kalziumantagonisten erwies sich Lercanidipin als ungefähr gleich stark blutdrucksenkend. Beispielsweise wurden in einer Doppelblindstudie 250 Personen mit einer leichten bis mittelschweren Hypertonie mit Lercanidipin (10 mg/Tag), Felodipin (10 mg/Tag, Plendil® u.a.) oder mit einer retardierten Form von Nifedipin (30 mg/Tag, Adalat® u.a.) behandelt. War die Blutdrucksenkung nach 4 Wochen noch ungenügend, so wurde die Tagesdosis verdoppelt. Nach 8 Wochen Behandlung fanden sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den verschiedenen Gruppen.(3)

Die grösste bisher veröffentlichte Doppelblindstudie wurde bei 828 Personen im Alter von mindestens 60 Jahren durchgeführt; initial lagen die systolischen Blutdruckwerte zwischen 161 und 210 mm Hg, die diastolischen zwischen 96 und 115 mm Hg. Lercanidipin wurde während mindestens 6 Monaten mit Amlodipin (Norvasc® u.a.) und Lacidipin (Motens®) verglichen. Mit den drei Kalziumantagonisten wurde eine vergleichbare Blutdrucksenkung erreicht. Obwohl die initiale Dosis gesteigert werden konnte, mussten bei rund einem Viertel aller Behandelten im Laufe der Studie zusätzliche Antihypertensiva – Atenolol (Tenormin® u.a.) oder Enalapril (Reniten® u.a.) sowie eventuell Diuretika – hinzugefügt werden. Eine Normalisierung des Blutdrucks (<140/90 mm Hg) innerhalb von sechs Monaten gelang in allen drei Behandlungsgruppen bei etwa der Hälfte der Patientinnen und Patienten.(4)

In einer anderen Studie erhielten 222 ältere Personen mit einer isolierten systolischen Hypertonie während 4 bis 6 Monaten doppelblind entweder Lercanidipin (10 mg einmal täglich) oder Lacidipin (2 mg einmal täglich). Nach 8 Wochen konnte die Tagesdosis verdoppelt werden. Beide Medikamente senkten den systolischen und den diastolischen Blutdruck im Liegen und im Stehen. Mit 24-Stunden-Messungen konnte ein während des ganzen Tages anhaltender Effekt dokumentiert werden. Am Studienende liess sich kein signifikanter Unterschied zwischen den zwei Gruppen feststellen.(5)

Lercanidipin wurde ausserdem mit verschiedenen anderen Antihypertensiva verglichen. In einer Doppelblindstudie wurden 465 Personen während 16 Wochen mit einer leichten bis mittelschweren Hypertonie mit Lercanidipin (10 mg einmal täglich) oder mit Losartan (Cosaar®, 50 mg einmal täglich) behandelt. Auch in dieser Studie konnte die Tagesdosis nach 8 Wochen verdoppelt werden. Bei rund zwei Dritteln der Behandelten wurde mit der einen oder anderen Monotherapie eine genügende Blutdrucksenkung erreicht; in der Lercanidipin- Gruppe betrug der durchschnittliche Blutdruck am Studienende 148/91 mm Hg, in der Losartan-Gruppe 144/92 mm Hg.(6) In anderen, kleineren Studien erwies sich Lercanidipin auch als ähnlich antihypertensiv wirksam wie Captopril (Lopirin® u.a.), Atenolol und Hydrochlorothiazid (Esidrex®).(1)

In einer offenen Studie, in der auch Personen mit einem Typ-2- Diabetes behandelt wurden, konnte mit Lercanidipin (10 mg/ Tag) in dieser Subgruppe (n=1269) innerhalb von 3 Monaten nur bei 16% eine Normalisierung des Blutdrucks erreicht werden. (7) Ein ähnliches Resultat fand sich in einer kleinen Doppelblindstudie bei Diabeteskranken mit eingeschränkter Nierenfunktion. (8)

Gemäss einigen Studien kann Lercanidipin auch als zusätzliches Mittel verwendet werden, wenn die primäre antihypertensive Behandlung z.B. mit einem Diuretikum oder einem Betablocker nicht genügt. Studien, in denen die Auswirkungen von Lercanidipin auf klinische Endpunkte (z.B. Schlaganfälle) untersucht worden wären, liegen nicht vor.

Unerwünschte Wirkungen

Grundsätzlich verursacht Lercanidipin die gleichen unerwünschten Wirkungen wie andere Dihydropyridin- Kalziumantagonisten. Die Angaben zur Häufigkeit von Nebenwirkungen divergieren sehr stark. Die Angabe in Arzneimittel- Kompendium der Schweiz, «bei ungefähr 1,8% der behandelten Patienten» würden unter Lercanidipin Nebenwirkungen auftreten, dürfte jedenfalls einem Druckfehler entsprechen.

In der erwähnten grossen Doppelblindstudie bei 828 älteren Personen wurden unter Lercanidipin bei 26%, unter Amlodipin bei 28% und unter Lacidipin bei 22% unerwünschte Ereignisse oder Symptome beobachtet. Am häufigsten waren periphere Ödeme, wobei diese am häufigsten unter Amlodipin (bei 19%),weniger unter Lercanidipin (9%) und am seltensten unter Lacidipin (4%) vorkamen. Die unter Lercanidipin beobachteten Beinödeme werden als «meistens geringfügig» beschrieben. In Bezug auf andere Symptome (Kopfschmerzen, Müdigkeit, Schwindel, Herzklopfen, Gesichtsrötung) fanden sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den verschiedenen Kalziumantagonisten. (4)

Es ist anzunehmen, dass die unerwünschten Wirkungen von Lercanidipin wie bei anderen Kalziumantagonisten mindestens teilweise dosisabhängig sind.

Interaktionen
Wie die anderen Dihydropyridine ist Lercanidipin ein Substrat des Isoenzyms CYP3A4. CYP3A4-Hemmer (Beispiele: Azol- Antimykotika, verschiedene Makrolide und Proteasehemmer, Grapefruitsaft) können deshalb zu einem starken Anstieg der Lercanidipin-Spiegel führen. CYP3A4-Induktoren wie z.B. Carbamazepin (Tegretol® u.a.) oder Johanniskraut reduzieren dagegen die Wirkung des Medikamentes.

Ob der in vitro nachgewiesenen hemmenden Wirkung von Lercanidipin auf CYP3A4 und CYP2D6 praktische Bedeutung zukommt, ist unklar. Digoxinspiegel können bei gleichzeitiger Lercanidipin-Verabreichung ansteigen, was eventuell mit einer CYP3A4-Hemmung zusammenhängen könnte.

Dosierung, Verabreichung, Kosten

Lercanidipin (Zanidip®) ist als Tabletten zu 10 mg und zu 20 mg erhältlich und in der Schweiz kassenzulässig. Das Medikament wird initial in einer Tagesdosis von 10 mg verabreicht. Die Dosis wird am besten am Morgen genommen; in Deutschland wird empfohlen, Lercanidipin mindestens 15 Minuten vor einer Mahlzeit einzunehmen, um eine durch den Fettgehalt der Mahlzeiten bedingte Variation der Plasmaspiegel zu reduzieren. Frühestens nach 2 Wochen kann die Tagesdosis nötigenfalls auf 20 mg gesteigert werden.

Da entsprechende Daten fehlen, sollen schwangere und stillende Frauen sowie Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren kein Lercanidipin nehmen. Gemäss den Angaben der Hersteller ist das Medikament auch bei fertilen Frauen, die keine Kontrazeption durchführen, kontraindiziert. Weitere Kontraindikationen sind eine instabile Angina pectoris, ein nicht länger als 1 Monat zurückliegender Herzinfarkt, eine unbehandelte Herzinsuffizienz sowie eine fortgeschrittene Leber- oder Niereninsuffizienz.

Die Behandlung mit Lercanidipin kostet – in Abhängigkeit von der Tagesdosis – CHF 23.50 bis 35.40 pro Monat und ist damit 5 bis 10 Franken billiger als die Therapie mit dem vergleichbaren Lacidipin (Motens®). Amlodipin-Generika sind jedoch noch etwas kostengünstiger. Auch Generika anderer Antihypertensiva- Klassen (z.B. ACE-Hemmer, Betablocker) kosten weniger.

Kommentar

Es fällt schwer, einen speziellen Vorteil von Lercanidipin auszumachen. Am ehesten kann es wohl mit Lacidipin verglichen werden, das ebenfalls eine stark lipophile Verbindung ist. Im direkten Vergleich erscheinen die beiden Substanzen sehr ähnlich, wobei Lacidipin offenbar noch etwas weniger typische Dihydropyridin-Nebenwirkungen verursacht. Beinödeme sind jedenfalls unter Lacidipin eher noch seltener als unter Lercanidipin. Unter Amlodipin sind dagegen Ödeme häufiger. Amlodipin verfügt jedoch über ein vergleichsweise sehr beeindruckendes Dossier und für diese Substanz ist auch ein Nutzen in Bezug auf harte klinische Endpunkte nachgewiesen. Wenn tatsächlich eine Hypertonie mit einem Kalziumantagonisten behandelt werden muss, fällt deshalb die Wahl vorzugsweise auf das weit besser dokumentierte Amlodipin. Dass Kalziumantagonisten zumindest bei Personen mit Diabetes nicht die erste Wahl darstellen, ist bereits bekannt.

Standpunkte und Meinungen

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Lercanidipin (6. Juni 2005)
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pharma-kritik, 26/No. 16
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