Deferasirox

Synopsis

Deferasirox (Exjade®) wird zur oralen Behandlung der transfusionsbedingten Eisenüberladung empfohlen.

Chemie/Pharmakologie

Deferasirox, chemisch ein Bishydroxyphenyltriazol, ist ein Eisenchelator. Als ein tridentater (dreizähniger) Ligand hat es drei polare Bindungsstellen, die sich zangenförmig um ein Eisenion gruppieren. Jeweils zwei Deferasirox-Moleküle bilden mit einem dreiwertigen Eisenion (Fe3+) einen Komplex. Deferasirox hat eine hohe Selektivität, da die Affinität gegenüber dreiwertigem Eisen viel stärker ist als gegenüber zweiwertigem und anderen bivalenten Metallionen wie beispielsweise Kupfer oder Zink.

Bei einer Eisenüberladung (Hämosiderose) wird überschüssiges Eisen, sobald es nicht mehr durch Ferritin gebunden werden kann, in freier Form in Leber, Herz , endokrinen Drüsen und an anderen Orten abgelagert und führt zur Organschädigung. Mit Hilfe von Chelatoren wie Deferasirox kann Eisen aus dem Gewebe mobilisiert und ausgeschieden werden. Ursache einer Eisenüberladung ist entweder eine verstärkte Eisenresorption im Magen-Darm-Trakt wie bei der Hämochromatose oder eine vermehrte exogene Zufuhr, typischerweise durch wiederholte Bluttransfusionen, wie sie bei chronischen Anämien stattfinden.(1)

Pharmakokinetik

Nach oraler Einnahme von Deferasirox werden nach 1,5 bis 4 Stunden maximale Plasmaspiegel erreicht. Die biologische Verfügbarkeit beträgt 70%. Gleichzeitig eingenommene Nahrung erhöht – auch abhängig vom Fettgehalt – die Resorption. Deferasirox wird in der Leber zu mehreren Metaboliten umgewandelt. Der Abbau erfolgt hauptsächlich über eine direkte Glukuronidierung, nur etwa 8% werden vorgängig via Zytochrome oxidiert. Die Glukuronidierung findet über verschiedene Isoenzyme der UDP-Glukuronosyltransferase statt, die Oxidation vor allem über CYP1A2, zum Teil auch über CYP2D6.

Die Metaboliten werden zu 80 bis 90% über Galle und Stuhl eliminiert, wobei ein enterohepatischer Kreislauf besteht. Die Halbwertszeit bewegt sich zwischen 8 und 16 Stunden. Der Metabolismus von freiem und von komplexgebundenem Deferasirox scheint grundsätzlich gleich zu sein. Bei kleinen Kindern ist die Fläche unter der Konzentrations- Zeit-Kurve (AUC) um durchschnittlich 50% geringer als bei Erwachsenen. Bei Leber- oder Niereninsuffizienz ist die Pharmakokinetik von Deferasirox nicht untersucht.(1,2)

Klinische Studien

Innerhalb von klinischen Studien haben gut 700 Personen mit einer transfusionsbedingten Eisenuberladung Deferasirox erhalten; etwa 40% davon waren Kinder im Alter zwischen 2 und 16 Jahren. Der grosste Teil der Behandelten litt an einer ¥â-Thalassaemia major (derjenigen Krankheit, bei der die Auswirkungen einer Eisenuberladung am besten untersucht sind). Andere Anamieformen bzw. Grundkrankheiten, bei denen Deferasirox zum Einsatz kam, waren beispielsweise Sichelzellanamie, myelodysplastisches Syndrom, Diamond-Blackfan-Syndrom und aplastische Anamie. Die Wirksamkeit von Deferasirox wurde in erster Linie anhand der Eisenkonzentration in der Leber erfasst (als kritische Schwelle, oberhalb der die Morbiditat und Mortalitat zunehmen, gelten 7 mg/g Trockengewicht). Fur die Messung der Lebereisenkonzentration wurde mehrheitlich eine Biopsie durchgefuhrt; zum Teil wurde sie auch nicht-invasiv uber die nur in ganz wenigen Zentren verfugbare SQUID-Technik (Superconducting Quantum Interference Device) bestimmt, bei der die magnetische Suszeptibilitat von Ferritin und Hamosiderin ermittelt wird.(3)

Von den drei Hauptstudien, die sich alle uber ein Jahr erstreckten, ist bislang nur eine -die grosste -in vollem Umfang publiziert. Sie umfasste 553 Kinder und Erwachsene mit einer ¥â-Thalassamie, die pro Jahr mindestens 8 Transfusionen benotigten und eine mittlere Lebereisenkonzentration von knapp 14 mg/g aufwiesen. Randomisiert, aber offen gefuhrt verabreichte man Deferasirox oder Deferoxamin (Desferal¢ç). Defepharma- kritik, Jahrgang 28, Nr. 6/2006 Fur den personlichen Gebrauch - Kopieren nicht gestattet 23 rasirox wurde 1-mal pro Tag eine halbe Stunde vor dem Fruhstuck verabreicht, Deferoxamin an 5 Tagen pro Woche als subkutane Infusion wahrend 8 bis 12 Stunden. Die Einzeldosis lag bei Deferasirox zwischen 5 und 30 mg/kg und bei Deferoxamin zwischen 20 und 60 mg/kg; sie richtete sich nach der Lebereisenkonzentration bei Studienbeginn sowie in der Deferoxamin-Gruppe auch nach jener Menge, die allenfalls bereits vorgangig verabreicht worden war.

Das Therapieergebnis wurde am Verlauf der Lebereisenkonzentration gemessen: bei einem Ausgangswert von 2 bis 10 mg/g wurde ein Endwert zwischen 1 und 7 mg/g als erfolgreiches Resultat eingestuft, bei einem Ausgangswert von 10 mg/g oder daruber eine Abnahme um mindestens 3 mg/g. Dieser Endpunkt wurde unter Deferasirox von 53%, unter Deferoxamin von 66% der Behandelten erreicht. Im Vergleich zu Deferoxamin war die Erfolgsquote unter Deferasirox gleich hoch (59%), wenn die Lebereisenkonzentration zu Studienbeginn mindestens 7 mg/g, jedoch nur etwa halb so hoch (40% gegenuber 83%), wenn sie weniger als 7 mg/g betragen hatte. Dieser Unterschied wird darauf zuruckgefuhrt, dass Deferasirox bei den Fallen mit einer geringen Eisenuberladung (bzw. niedriger Lebereisenkonzentration) vermutlich unterdosiert wurde. Der Effekt auf den Lebereisengehalt war in beiden Gruppen dosisabhangig; er fiel bei Deferasirox im Durchschnitt um 2,4 mg/g, bei Deferoxamin um 2,9 mg/g. Parallel zum Lebereisengehalt veranderte sich auch der Ferritinspiegel im Serum.(4)

Auch in einer der beiden anderen, nur in Zusammenfassungen veroffentlichten Studien wurde Deferasirox mit Deferoxamin verglichen, und zwar bei Patienten und Patientinnen mit Sichelzellanamie, wobei sich die beiden Substanzen ebenfalls als ahnlich wirksam zeigten.(3)

Unerwünschte Wirkungen

Bei etwa einem Viertel der Behandelten ruft Deferasirox gastroinestinale Beschwerden wie Bauchschmerzen, Durchfall, Übelkeit und Erbrechen hervor. Als andere häufige Nebenwirkungen beobachtete man Fieber, Kopfschmerzen, Hautausschläge, Husten, Rhinopharyngitis, Gelenk- und Rückenschmerzen sowie – möglicherweise als Ausdruck einer gewissen Nephrotoxizität – einen Anstieg des Kreatininspiegels. Ferner traten Einzelfälle von Transaminasenanstieg, Hörstörungen und Augenlinsentrübungen auf, die vermutlich auf Deferasirox zurückzuführen sind.(2,3)

Interaktionen

Es sind noch keine relevanten Interaktionen dokumentiert. Deferoxamin ist ein schwacher Zytochromhemmer; davon ist CYP2C8 am meisten betroffen, so dass eine Interaktion mit CYP2C8-Substraten wie zum Beispiel Repaglinid (NovoNorm ®) oder Paclitaxel (Taxol® u.a.) nicht ausgeschlossen werden kann.

Enzyminduktoren wie Rifampicin, Phenytoin (Phenhydan ® u.a.) oder Phenobarbital (Luminal® u.a.) induzieren die UDP-Glukuronosyltransferase und dürften auch den Abbau von Deferasirox beschleunigen. Obschon Aluminium (Al3+) von Deferasirox schwächer gebunden wird als Eisen, soll die Kombination mit aluminiumhaltigen Antazida vermieden werden.(2)

Dosierung, Verabreichung, Kosten

Deferasirox (Exjade®) wird als Tabletten zu 125, 250 und 500 mg angeboten. Es ist zugelassen zur Behandlung einer Eisenüberladung bei Kindern und Erwachsenen, die regelmässig Bluttransfusionen benötigen. Eine Therapie mit einem Eisenchelator ist zu erwägen, wenn das Gesamtvolumen der verabreichten Erythrozytenkonzentrate 100 ml/kg erreicht hat oder wenn ein Serum-Ferritinspiegel von über 1000 µg/l eine Eisenüberladung anzeigt. Die Dosis von Deferasirox richtet sich nach dem Ausmass der Eisenüberladung bzw. nach dem Ferritinspiegel, der regelmässig überprüft werden soll; die übliche Anfangsdosis beträgt 20 mg/kg. Deferasirox soll mindestens 30 Minuten vor dem Essen als Suspension in kohlensäurefreiem Wasser oder Orangensaft eingenommen werden. Bei einer Leber- oder Nierenfunktionsstörung darf Deferasirox nur mit Vorsicht eingesetzt werden; auch sind während der Therapie Leber- und Nierenwerte zu kontrollieren. Zur Anwendung in der Schwangerschaft und Stillzeit gibt es keine Daten.

Deferasirox ist kassenzulässig und kostet in einer Tagesdosis von 250 bis 1500 mg – der empfohlenen Menge für eine 12,5 bis 75 kg schwere Person – 902.60 bis 4272.25 Franken pro Monat. Bei Deferoxamin (Desferal®) liegt der reine Medikamentenpreis bei einer Tagesdosis von 500 bis 3000 mg zwischen 358.50 und 2151 Franken pro Monat.

Kommentar

Bei uns sind chronische transfusionsbedürftige Anämien selten, deren Prognose eine aufwendige oder teure Behandlung mit einem Eisenchelator rechtfertigt. Somit ist Deferasirox ein typisches, sich auf ein kleines Einsatzgebiet beschränkendes «Orphan Drug». Im Vergleich zur bisherigen Standardsubstanz Deferoxamin stellt das oral verabreichbare Deferasirox eine Vereinfachung der Therapie dar, was allerdings mit zwei- bis dreimal so hohen Medikamentenkosten erkauft wird. Zudem fehlen bei Deferasirox wichtige Langzeitdaten: einerseits sollte wie bei Deferoxamin gezeigt werden, dass auch – als «harte» Endpunkte – das Risiko von kardialen und anderen Komplikationen der Eisenüberladung günstig beeinflusst werden kann; andererseits müsste noch bestätigt werden, dass eine Behandlung selbst über mehrere Jahre relativ bedenkenlos ist und nicht eine Gefahr zum Beispiel für Nieren, Gehör oder Augenlinsen bedeutet.

Standpunkte und Meinungen

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Deferasirox (22. November 2006)
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pharma-kritik, 28/No. 6
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