Prostatakarzinom

Übersicht

Das Prostatakarzinom ist der häufigste bösartige Tumor beim Mann. Bei 40% der Männer entwickelt sich im Laufe des Lebens ein mikroskopisch diagnostizierbares Prostatakarzinom; bei 10% wird das Karzinom manifest und 3% sterben daran - das Prostatakarzinom zeichnet sich also durch eine sehr grosse Variabilität aus, was den Verlauf anbelangt. Die Ätiologie ist unbekannt; diskutiert werden genetische Faktoren, Ernährungsgewohnheiten und Umwelteinflüsse. Männer, die nahe Verwandte mit einem Prostatakarzinom haben oder die viel tierisches Fett und wenig Gemüse essen, scheinen ein höheres Risiko zu tragen. Androgene fördern das Wachstum des Prostatagewebes; welchen Einfluss sie auf die Entstehung des Karzinoms haben, weiss man aber nicht. Ob zwischen der benignen Prostatahyperplasie und dem Prostatakarzinom ein Zusammenhang besteht, ist ebenfalls unklar; es ist möglich, dass die beiden Krankheiten ähnliche Ursachen haben, hingegen ist die Hyperplasie nicht ein direkter Vorläufer des Karzinoms.

Das Prostatakarzinom verursacht zu Beginn oft keine Beschwerden, so dass Symptome auf ein fortgeschrittenes Stadium hindeuten. Erstsymptome sind - ähnlich wie bei der benignen Prostatahyperplasie - obstruktive oder irritative Beschwerden des unteren Harntraktes.

Die Prostata lässt sich anatomisch in eine periphere Zone, posterolateral gelegen und zwei Drittel des Organs ausmachend, in eine Übergangszone und in eine zentrale Zone unterteilen. Über 70% der Karzinome gehen von der peripheren Zone aus (während die benigne Prostatahyperplasie in der Übergangszone entsteht).

Das Prostatakarzinom breitet sich zunächst in das periprostatische Weichteilgewebe aus. Später wächst es in Nachbarorgane wie Samenblasen und Rektum ein. Metastasen finden sich am häufigsten in den Lymphknoten und im Knochen, kommen aber auch in Lungen, Leber, Harnblase, Nebennieren oder Hoden vor.

Es werden vier Primärtumor-Stadien unterschieden: ein Stadium T1, das einem lediglich histologisch nachweisbaren Karzinom entspricht, ein Stadium T2, das einen aufs Organ begrenzten Tumor bedeutet, ein Stadium T3, bei dem der Tumor die Organgrenzen überschritten hat, sowie ein Stadium T4, bei dem der Tumor in andere Nachbarorgane als die Samenblase eingebrochen ist. Neben dem Tumorstadium ist der Differenzierungsgrad ein wichtiger Prognosefaktor. Beim System nach Gleason wird der Differenzierungsgrad in den beiden repräsentativsten Teilen des Biopsiematerials je mit einem Wert zwischen 1 und 5 bezeichnet; diese beiden Zahlen zusammengezählt, ergibt den Gleason-Score: 2 bis 4 bedeutet gut differenziert, 5 bis 7 mässig differenziert und 8 bis 10 undifferenziert.(lit)

Diagnostik

Die einfachste Methode bei der Prostatakarzinom-Diagnostik ist die Rektaluntersuchung mit dem Finger. Grosse Bedeutung hat auch die Bestimmung des prostataspezifischen Antigens (PSA), das in den Prostataepithelzellen synthetisiert wird und in geringen Mengen in den Blutkreislauf gelangt. Da das PSA sowohl von gutartigen wie bösartigen Zellen gebildet wird, ist es nicht tumorspezifisch (obschon Karzinomzellen am meisten PSA sezernieren). Eine Konzentration von 2,54,0/ml gilt als normal. Mit steigendem PSA-Wert erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass ein Prostatakarzinom vorliegt. Bis zu 75% der Männer mit erhöhtem PSA-Wert haben allerdings kein Karzinom, sondern eine andere Prostataerkrankung wie zum Beispiel eine benigne Prostatahyperplasie (und umgekehrt weisen bis zu 25% der Männer, bei denen sich histologisch ein Karzinom nachweisen lässt, einen normalen PSA-Wert auf). Auch nach Prostatitis, Eingriffen an der Prostata, Zystoskopie, Rektoskopie oder akutem Harnverhalten kann der PSA-Wert mehrere Wochen lang erhöht sein; hingegen wird der PSA-Spiegel von einer Rektaluntersuchung nicht beeinflusst. Um falsch positive Resultate zu verringern, existieren neben der einfachen PSA-Bestimmung verschiedene Testmodifikationen (z.B. Bestimmung des freien PSA im Verhältnis zum eiweissgebundenen PSA). Damit erhöht sich zwar die Spezifität, aber auch das Risiko, einen Tumor zu verpassen, weshalb diese Tests nicht generell propagiert werden können.(2) Falls Rektaluntersuchung oder PSA-Messung einen abnormen Befund ergeben haben, soll mit Hilfe einer transrektalen Sonografie eine Biopsie durchgeführt werden.

Für das Staging stützt man sich primär auf den Tastbefund, auf den PSA-Wert und den Gleason-Score. Ein PSA-Wert unter 10/ml und ein Gleason-Score von höchstens 6 bedeuten ein geringes Risiko, dass der Tumor die Organgrenzen überschritten hat, so dass sich weitere Untersuchungen erübrigen. In den anderen Fällen ist eine Suche nach Lymphknoten- oder Knochenmetastasen in Erwägung zu ziehen.

Das PSA wird auch verwendet, um den Verlauf des Karzinoms nach Therapie zu verfolgen. Nach einer radikalen Prostatektomie sollte das PSA im Blut verschwinden; ein erneuter Nachweis zeigt einen Rückfall an. Nach Radiotherapie sinkt der PSA-Wert langsam; liegt der Nadir über 0,5ng/l oder wird mehrmals ein angestiegener Wert gemessen, ist ein Rückfall anzunehmen.

Screening

Einige der einschlägigen Fachgesellschaften sprechen sich für ein Prostatakarzinom-Screening bei asymptomatischen Männern im Alter von 50 bis 70 Jahren aus, darauf bauend, dass sich über 70% der so entdecktenTumoren in einem potentiell heilbaren Stadium befinden.(3) Am besten eignet sich dazu die PSA-Messung; kombiniert mit einer Rektaluntersuchung, verbessert sich die Trefferquote. Kritische Stimmen befürchten jedoch, dass durch das Screening gewissermassen zuviele Karzinome entdeckt werden, indem man auch auf die relativ gutartigen Karzinome stösst, die womöglich keiner Behandlung bedürften. Ferner ist noch nicht gezeigt, dass ein Screening die Mortalität senkt - als bester Beweis, dass dieser Aufwand von Nutzen ist (es sind zwei grosse Studien im Gang, die dieser Frage nachgehen). Deshalb erscheint einstweilen ein durchgehendes Screening nicht sinnvoll, sondern sollte nach Abwägen der Vor- und Nachteile individuell, zusammen mit der betroffenen Person entschieden werden.



Behandlung

Man kennt grundsätzlich drei Behandlungsstrategien: erstens das sogenannte "Watchful waiting", bei dem keine spezifische Therapie erfolgt und man abwartet, bis Symptome auftreten, zweitens die lokalen Therapien (Prostatektomie, Radiotherapie u.a.) und drittens die systemischen Behandlungen (hormonelle Therapien, Zytostatikatherapie). Welche gewählt wird, hängt vom Tumorstadium sowie vom Alter und dem übrigen Gesundheitszustand des Patienten ab. Die Prostatektomie oder Radiotherapie werden beim organbegrenzten Prostatakarzinom durchgeführt, wobei allerdings durch keine kontrollierte Untersuchung gezeigt ist, dass damit die Mortalität beeinflusst wird. Mit anderen lokalen Behandlungen - Kryotherapie, Lasertherapie, Hyperthermie-Behandlung und photodynamischer Behandlung - wird ein Schrumpfen des Tumorgewebes erreicht; diese Methoden können erhebliche lokale Probleme verursachen und sind wenig geprüft. Die systemischen Therapien kommen vor allem bei fortgeschrittenen oder metastasierenden Tumoren zum Einsatz.

Abwartende Haltung ("Watchful waiting")

Das "Watchful waiting" stellt eine Option dar, wenn keine Hinweise für ein fortgeschrittenes Karzinom bestehen (niedriger PSA-Spiegel, Stadium T1) und wenn es sich um einen älteren Patienten handelt, dessen Lebenserwartung höchstens 10 beträgt. Beispielsweise fallen viele Tumoren darunter, die bei einer Prostatahyperplasie-Operation entdeckt werden; es wird angenommen, dass diese Tumoren meistens langsam wachsen, so dass nur ein kleiner Prozentsatz im Laufe der nächsten fünf bis zehn Jahre wesentlich fortschreitet. In einer Metaanalyse sind sechs unkontrollierte Studien zusammengefasst, in denen insgesamt 828änner mit einem organbegrenzten Prostatakarzinom primär nicht behandelt wurden und nur bei Fortschreiten der Krankheit eine - hormonelle - Therapie erhielten; das durchschnittliche Alter betrug knapp 70 Jahre. Nach zehnjäriger Beobachtungszeit waren bei Patienten mit einem gut differenzierten Tumor bei 19% Metastasen aufgetreten und 13% waren am Tumor gestorben; bei den mässig differenzierten Tumoren waren es 42% bzw. 13% und bei den undifferenzierten 74% bzw. 66%.(lit)

Chirurgische Therapie

Hauptindikation für die radikale Prostatektomie ist das organbegrenzte Prostatakarzinom (Stadium T1 und T2) bei Männern mit einer Lebenserwartung von mindestens 10. Die beiden wichtigsten Verfahren sind die retropubische und die perineale Prostatektomie, die als gleichwertig betrachtet werden. Der retropubische Zugang ist die häufiger gewählte Technik, weil gleichzeitig die regionären Lymphkonten entfernt werden können und weil es einfacher ist, potenzerhaltend zu operieren. Seit einigen Jahren wird die Prostatektomie auch laparoskopisch durchgeführt; noch ist aber nicht klar, ob diese Methode eine ebenso gute Tumorkontrolle ermöglicht wie die herkömmlichen Verfahren.(5) Eine Prostatektomie bedeutet einen grösseren chirurgischen Eingriff mit den entsprechenden Risiken. Nach der Operation ergibt sich in rund einem Drittel der Fälle, dass der Tumor ein höheres Stadium hat als ursprünglich angenommen. Unter den langfristigen Komplikationen sind die Urininkontinenz und die erektile Dysfunktion hervorzuheben. Etwa 10 bis 20% der Männer müssen mit einer zumindest leichten Inkontinenz und wahrscheinlich weit über 50% mit einer erektilen Dysfunktion rechnen.(1,6) Der Krankheitsverlauf nach Prostatektomie lässt sich anhand einer Zusammenfassung von Beobachtungsstudien abschätzen, die bei Männern mit einem Prostatakarzinom im Stadium T1 oder T2 stattgefunden haben (n=2758). Nach zehn Jahren waren unter den Patienten mit einem differenzierten Tumor bei 13% Metastasen diagnostiziert worden, 6% waren gestorben; bei den mässig differenzierten Tumoren waren es 32% bzw. 20%, bei den undifferenzierten Tumoren 48% bzw. 23%.(lit)

Radiotherapie

Die Radiotherapie wird ebenfalls bei organbegrenztem Prostatakarzinom eingesetzt, als Alternative für Patienten, die keine Operation wünschen oder bei denen eine Operation nicht in Frage kommt. Bei der externen Radiotherapie wird während mehrerer Wochen von aussen bestrahlt; hohe Strahlendosen (über 72Gy) scheinen dabei das Rückfallrisiko zu senken.(8) Bei der interstitiellen Radiotherapie (auch als Brachytherapie bezeichnet) werden radioaktive Isotope (Iod-125, Palladium-103) in die Prostata implantiert; obschon bei gut differenzierten Karzinomen den bisherigen Standardbehandlungen möglicherweise ebenbürtig, ist die interstitielle Betrahlung noch zu wenig erprobt, um uneingeschränkt als Alternative gelten zu können.(9) Wichtige Nebenwirkungen der Radiotherapie sind Zystitis und Proktitis, die meistens vorübergehend sind; unter den Komplikationen, die bleiben können, fallen vor allem erektile Dysfunktion und Urininkontinenz ins Gewicht. Aus indirekten Vergleichen lässt sich schliessen, dass die Prognose nach einer Radiotherapie - zumindest in den ersten zehn Jahren - ähnlich ist wie diejenige nach Prostatektomie.(1,6)

Die Radiotherapie hat zudem eine wichtige Bedeutung zur Schmerzlinderung bei Knochenmetastasen. Dazu gehört auch die Gabe von Radioisotopen (Samarium-153, Rhenium-186), die bei sonst nicht beherrschbaren diffusen Schmerzen helfen können.

Hormonelle Therapie

Das Prostatakarzinom ist ein androgenabhängiger Tumor und kann durch eine Verminderung des Testosteronspiegels - den Androgenentzug - oder durch eine Blockade von Androgenrezeptoren am Wachstum gehemmt werden. Die hormonelle Behandlung ist die Therapie der Wahl bei fortgeschrittenen und metastasierenden Prostatakarzinomen, mit einer Ansprechrate von 80 bis 90%. Eine Heilung kann indessen nicht erwartet werden, weil die Tumoren auch androgenunabhängige Zellklone enthalten.

Die hormonelle Behandlung findet auch Interesse als adjuvante oder neoadjuvante Therapie, da Resultate von mehreren Studien annehmen lassen, dass damit mittelfristig das Risiko einer Tumorprogression vermindert werden kann.(6,10) Obschon ein Überlebensvorteil bei einer adjuvanten oder neoadjuvanten Hormontherapie nicht definitiv dokumentiert ist, gibt es Fachleute, die eine solche Behandlung als Kombination zur Radiotherapie fast als obligat betrachten.

Die hormonellen Therapien, vor allem der Androgenentzug, führen zu typischen Nebenwirkungen wie Hitzewallungen, erektile Dysfunktion, Libidoverlust und Abnahme der Knochendichte.

Die bilaterale Orchiektomie gilt als Goldstandard der hormonellen Therapien und ist eine billige, einfache Methode. Durch die Orchiektomie sinkt der Testosteronspiegel innerhalb weniger Stunden um etwa 90%. Dieser rasche Wirkungseintritt kann hilfreich sein bei Notfallsituationen, zum Beispiel wenn der Tumor irgendwo eine Obstruktion hervorgerufen hat. Die Hauptnachteile der Orchiektomie sind, dass sie irreversibel ist und vielfach aus psychologischen Gründen abgelehnt wird.

Östrogene - am bekanntesten ist Fosfestrol (Honvan®), das zu Diäthylstilböstrol metabolisiert wird - hemmen die Sekretion von LHRH im Hypothalamus und von LH in der Hypophyse, was sekundär zu einer Senkung des Testosteronspiegels führt. Östrogene werden wegen ihrer kardiovaskulären Gefahren (z.B. erhöhtes Thromboembolierisiko) höchstens noch als "Second-line"-Therapie verschrieben.

Die Gonadotropin-Agonisten Goserelin (Zoladex®), Buserelin (Suprefact®), Leuprorelin (Lucrin®) und Triptorelin (Decapeptyl®) sind potente Derivate des LHRH. Sie werden alle vier bis zwölf Wochen subkutan gespritzt. Zu Beginn einer Behandlung kommt es zu einem Anstieg der LH- und Testosteronspiegel. Nach wenigen Wochen sinkt der Testosteronspiegel auf ähnlich tiefe Werte wie nach einer Orchiektomie. Der initiale Anstieg des Testosteronspiegels kann eine Verschlechterung von Tumorsymptomen hervorrufen, weshalb Gonadotropin-Agonisten über die ersten vier Wochen mit einem Antiandrogen kombiniert werden sollten.

Alle drei Behandlungsarten - die Orchiektomie, Diäthylstilböstrol und Gonadotropin-Agonisten - sind gemäss einer Metaanalyse von zehn kontrollierten Studien gleich wirksam; dasselbe gilt für die einzelnen Gonadotropin-Agonisten. Das progressionsfreie Intervall betrug im Median 12bis 24Monate.(11)

Antiandrogene blockieren die Androgenrezeptoren in den Zielorganen. Man unterscheidet zwischen steroidalen und nicht-steroidalen Antiandrogenen. Prototyp der steroidalen Antiandrogene ist Cyproteronacetat (Androcur®), das neben der antiandrogenen auch gestagene und leichte glukokortikoide Wirkungen besitzt. Unter Cyproteronacetat sinken die Plasmaspiegel von LHRH, LH und Testosteron ab. Nebenwirkungen sind Gewichtszunahme, Haarverlust, Hemmung der Nebennierenrindenfunktion, Thromboembolien, Leberfunktionsstörungen, Gynäkomastie, Libidoabnahme und erektile Dysfunktion. Zu den nicht-steroidalen Antiandrogenen gehören Flutamid (Flucinom®) und Bicalutamid (Casodex®); bei ihnen steigen die LHRH-, LH- und Testosteronkonzentrationen an. Es können eine Gynäkomastie und Hitzewallungen auftreten; sexuelle Störungen sind seltener als bei Cyproteronacetat. Unter Flutamid beobachtet man relativ häufig Diarrhoe.(6)

Als Monotherapie sind Antiandrogene etwas weniger wirksam als die Orchiektomie oder als Gonadotropin-Agonisten.(11)

Eine gewisse Rolle können Antiandrogene bei einer Kombinationstherapie spielen. Eine Orchiektomie oder eine Behandlung mit Gonadotropin-Agonisten lässt die Androgenproduktion der Nebennieren unbeeinflusst, die ungefähr 5% ausmacht. Durch eine Kombination mit einem Antiandrogen - der maximalen Androgenblockade - soll jegliche Androgenwirkung unterbrochen werden, was aber lediglich mit einem minimen, kaum bedeutsamen Vorteil verbunden ist: in einer Metaanalyse betrug die Fünfjahresüberlebenswahrscheinlichkeit bei fortgeschrittenem Prostatakarzinom mit der Kombination 25,4%, nach Orchiektomie bzw. unter Gonadotropin-Agonisten 23,6%.(12)

Eine systematische Übersicht der Cochrane-Datenbank, in der teilweise dieselben Studien berücksichtigt sind, liefert ein ähnliches Bild: mit einer Kombinationstherapie erreicht man einen leichten Überlebensvorteil, der indessen erst nach fünf Jahren signifikant wird. Die "Number Needed to Treat" (NNT) betrug 333 nach einem Jahr, 31 nach zwei Jahren, 21 nach fünf Jahren (Anzahl Patienten, die zusätzlich mit einem Antiandrogen behandelt werden müssen, damit ein weiterer Patient zum besagten Zeitpunkt noch lebt). Der marginale Vorteil der Kombinationstherapie wird indessen mit vermehrten Nebenwirkungen, einer dadurch eingeschränkten Lebensqualität sowie mit erhöhten Kosten erkauft.(lit)

Chemotherapie

Bei praktisch allen Prostatakarzinomen, bei denen eine Hormontherapie durchgeführt wird, entwickelt sich nach durchschnittlich 1½ bis 3Jahren eine Resistenz durch Proliferation der androgenunabhängigen Zellklone. Eine Resistenz ist dann eingetreten, wenn unter einer hormonellen Therapie ein Anstieg des PSA-Spiegels nachgewiesen wird. Die mediane Überlebenszeit beträgt dann höchstens ein Jahr. Einerseits kann man in dieser Situation versuchen, mit einer Modifikation der Hormontherapie das Fortschreiten der Krankheit nochmals zu verzögern; zum Beispiel gibt es Patienten unter einer maximalen Androgenblockade, die auf das Absetzen des Antiandrogens ansprechen. Auch Östrogene, Medroxyprogesteron (Farlutal®) oder Aminoglutethimid (Orimeten®) können als Palliativbehandlung versucht werden. Andererseits bietet sich eine Zytostatikatherapie an, wobei ein objektiver Rückgang des Tumors bzw. kurzdauernder palliativer Erfolg nur in etwa 10-20% erzielt wird. Keine kontrollierte Studie hat bislang gezeigt, dass eine Zytostatikatherapie - sei es mit einer Einzelsubstanz, sei es als Kombinationstherapie - das Überleben verlängert. Deshalb hat sich auch kein Chemotherapieschema etabliert, und diverse Zytostatika werden verwendet, darunter Anthrazykline, Platinderivate, Vinca-Alkaloide, Taxane oder Etoposid (Vepesid®u.a.). Besondere Erwähnung verdient Estramustin (Estracyt®), eine Substanz, bei der Östradiol mit dem Nitrosoharnstoff Normustin gekoppelt ist und die spezifisch beim Prostatakarzinom wirkt. Estramustin ist heute in den meisten Zytostatika-Kombinationstherapien enthalten, die erprobt werden.(lit)

Andere Substanzen

Bisphosphonate können gemäss einer kürzlich publizierten Studie den Knochenabbau hemmen, der mit einer Behandlung mit Gonadotropin-Agonisten einhergeht.(16) Ob es bei diesem Kollektiv Sinn macht, sich um die Prophylaxe einer manifesten Osteoporose zu kümmern, darf indessen in Frage gestellt werden. Es wird auch berichtet, dass Bisphosphonate beim Prostatakarzinom zur Behandlung von Knochenmetastasen nützlich seien,(17) eine Beobachtung, die allerdings noch kaum durch kontrollierte Studien untermauert ist. Thalidomid, unter anderem ein Hemmer der Angiogenese, scheint beim Prostatakarzinom eine gewisse Wirkung zu besitzen.(18)
Mit Gonadotropin-Antagonisten (z.B. Abarelix) kann ebenfalls eine medikamentöse Kastration erreicht werden, die - was den Testosteronspiegel betrifft - ausgeprägter erscheint als bei Gonadotropin-Agonisten.(19) Resultate von längerdauernden Studien sind aber noch nicht vorhanden. Finasterid (Proscar®), welches das Enzym 5a-Reduktase und damit die Umwandlung von Testosteron in das hauptsächlich wirkende Dihydrotestosteron hemmt, scheint auch eine gewisse Aktivität gegenüber dem Prostatakarzinom zu besitzen. In einer placebokontrollierten Studie ("Prostate Trial") wird momentan geprüft, ob sich Finasterid zur Prävention des Prostatakarzinoms eignet.



Schlussfolgerungen

Das Prostatakarzinom verläuft sehr heterogen; es sterben viel mehr Männer mit einem Prostatakarzinom als an einem Prostatakarzinom; will man die Mortalität beeinflussen, müsste man diejenigen Tumoren früh entdecken und behandeln, die sich aggressiv verhalten. Beim organbegrenzten Prostatakarzinom ist die am meisten durchgeführte Behandlung die radikale Prostatektomie; als Alternative kommt eine Radiotherapie in Betracht. Wenn aufgrund von Alter oder Begleitkrankheiten nicht eine Heilung angestrebt werden muss und man auf eine belastende Therapie verzichten will, ist beim organbegrenzten Prostatakarzinom an eine hormonelle Therapie oder sogar an eine abwartende Haltung ("Watchful waiting") zu denken. Beim fortgeschrittenen Prostatakarzinom sind die Orchiektomie oder Gabe eines Gonadotropin-Agonisten die sinnvollste Massnahme; der Nutzen zusätzlicher Antiandrogene (maximale Androgenblockade) ist wahrscheinlich marginal. Tumoren, die gegenüber der primären hormonellen Behandlung resistent geworden sind, sprechen weder auf Zytostatika noch andere Medikamente gut an, so dass die Palliativbehandlung in den Vordergrund rückt.

Standpunkte und Meinungen

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Prostatakarzinom (8. März 2002)
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