Desloratadin und Levocetirizin: Zwei neue Antihistaminika
- Autor(en): Urspeter Masche
- pharma-kritik-Jahrgang 23
, Nummer 17, PK280
Redaktionsschluss: 5. April 2002
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2001.280 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Synopsis
Desloratadin (Aerius®) und Levocetirizin (Xyzal®) sind zwei neue Antihistaminika, die zur Behandlung der allergischen Rhinitis und chronischen Urtikaria empfohlen werden.
Desloratadin
Chemie/Pharmakologie
Desloratadin ist der Hauptmetabolit von Loratadin (Claritine®), das zur Gruppe der neueren, nicht-sedierenden Antihistaminika gerechnet wird.(1) Desloratadin hat im Tierversuch eine bis 4mal höhere Affinität zu Histamin-H1-Rezeptoren als Loratadin. Desloratadin bindet sich auch ganz schwach an Histamin-H2-Rezeptoren sowie an muskarinische Rezeptoren. Ferner scheint Desloratadin die Freisetzung von Entzündungsmediatoren wie zum Beispiel Zytokinen zu hemmen. Bei gesunden Freiwilligen konnten unter Desloratadin weder zentralnervöse Wirkungen (Sedation.a.) noch EKG-Veränderungen (Verlängerung der QT-Zeit) oder andere kardiovaskuläre Effekte nachgewiesen werden.(lit)
Pharmakokinetik
Zwei bis sechs Stunden nach oraler Einnahme von Desloratadin misst man maximale Plasmaspiegel. Die Resorption wird durch die Einnahme mit dem Essen nicht beeinflusst. Die biologische Verfügbarkeit ist nicht bekannt. In der Leber wird Desloratadin hauptsächlich in das ebenfalls pharmakologisch aktive 3-Hydroxy-Desloratadin umgewandelt, wobei die beteiligten Enzyme nicht identifiziert sind. 3-Hydroxy-Desloratadin wird an Glukuronsäure gekoppelt und über Urin und Stuhl ausgeschieden. Ein kleiner Prozentsatz von Desloratadin wird unverändert oder in Form von anderen hydroxylierten Metaboliten eliminiert. Die Plasmahalbwertszeit beträgt 2030. Bei Personen mit schwerer Leber- oder Niereninsuffizienz kann die Plasmakonzentration bis auf etwa das 2,5fache ansteigen.(lit)
Klinische Studien
Allergische Rhinitis
In einer Dosisfindungsstudie, über die nur in einer Zusammenfassung berichtet wird, erhielten 1026während zwei Wochen Placebo oder eine von fünf verschiedenen Desloratadin-Dosen (einmal täglich 2,5, 5, 7,5, 10 oder 20). Ausser in der niedrigsten Dosis linderte Desloratadin die Rhinitis-Symptome signifikant besser als Placebo. Aufgrund dieser Studie wurden 5. 7,5/Tag - die sich als gleichwertig gezeigt hatten - als die optimalen Dosen definiert.(3)
Chronische Urtikaria
Unerwünschte Wirkungen
Die häufigsten Nebenwirkungen, die unter Desloratadin beobachtet werden, sind Kopfschmerzen, Mundtrockenheit, Schwindel, Müdigkeit und Schläfrigkeit. Abgesehen von einer Person, bei der eine Verlängerung des QTc-Intervalls von 431465 festgestellt wurde, rief Desloratadin in den klinischen Studien keine nennenswerten EKG-Veränderungen hervor.(3)
Dosierung, Verabreichung, Kosten
Desloratadin (Aerius®) ist kassenzulässig und als Tabletten zu 5 erhältlich. Es wird einmal pro Tag eingenommen. In der Schweiz ist die saisonale allergische Rhinitis (Heuschnupfen) die einzige offizielle Indikation; in anderen Ländern gilt auch die chronische Urtikaria als Indikation. Bei Leber- und Niereninsuffizienz ist Vorsicht geboten, da mit einem Anstieg der Plasmaspiegel zu rechnen ist. Zur Anwendung bei Kindern und bei schwangeren und stillenden Frauen gibt es keine Daten; bei Jugendlichen sind die klinischen Erfahrungen sehr limitiert.
Die Tageskosten von Desloratadin betragen, je nach Packungsgrösse, 1.20 bis 1.55. Andere neuere Antihistaminika sind ähnlich teuer. Am wenigsten kostet Loratadin (Claritine®): vergleicht man jeweils die kleinste bzw. die grösste Packung miteinander, ist es etwa 20% billiger als Desloratadin.
Levocetirizin
Chemie/Pharmakologie
Levocetirizin ist das R-Enantiomer von Cetirizin (Zyrtec®), das als Razemat aus einem links- und einem rechtsdrehenden Stereoisomer besteht. Cetirizin ist der Hauptmetabolit von Hydroxyzin (Atarax®) und gehört wie das oben erwähnte Loratadin zu den sogenannten Zweitgenerations-Antihistaminika.(8) Von den beiden Cetirizin-Stereoisomeren bindet sich Levocetirizin stärker an die H1-Rezeptoren als Dextrocetirizin und scheint im Wesentlichen für die Wirkung von Cetirizin verantwortlich zu sein.
In pharmakologischen Studien bei gesunden Freiwilligen wurde gezeigt, dass eine Einmaldosis von 5 Levocetirizin histamininduzierte Haut- und Nasenschleimhautreaktionen gleich gut blockiert wie 10 Cetirizin und besser als 10 Loratadin.(lit)Pharmakokinetik
Levocetirizin wird nach oraler Einnahme rasch resorbiert, maximale Plasmaspiegel sind nach weniger als einer Stunde erreicht. Die biologische Verfügbarkeit ist nicht genau bestimmt, scheint aber relativ hoch zu sein. Levocetirizin wird zum Grossteil unverändert renal ausgeschieden, der Rest in der Leber über CYP3A4 und andere Zytochrom-Isoenzyme zu mindestens 13 Metaboliten abgebaut. Die Plasmahalbwertszeit liegt zwischen 78.(lit)
Klinische Studien
Zu klinischen Erfahrungen mit Levocetirizin sind bisher nur zwei Untersuchungen veröffentlicht. Eine davon ist eine Doppelblindstudie, die 467 mit Heuschnupfen umfasste. Zwei Wochen lang nahmen sie Placebo oder eine von drei verschiedenen Levocetirizin-Dosen (einmal täglich 2,5, 5 oder 10). Gemäss einer Symptomenskala half Levocetirizin gegen Niesen, Rhinorrhoe sowie Juckreiz in Nase und Augen signifikant besser als Placebo: auf der Neunpunkteskala sank der Wert mit der 2,5-mg-Dosis von 7,8 auf 4,3, mit der 5-mg-Dosis von 7,5 auf 4,1, mit der 10-mg-Dosis von 7,2 auf 3,6 und mit Placebo von 7,9 auf 5,2; dabei liess sich für Levocetirizin eine dosisabhängige Wirkung errechnen. Nach dem Urteil der Untersuchenden ergab sich mit 2,5 Levocetirizin bei 39%, mit 5 bei 35% und mit 10 bei 42% der Behandelten eine gute bis ausgezeichnete Wirkung; unter Placebo waren es 22%.(13)
Unerwünschte Wirkungen
Somnolenz wird als häufigste Nebenwirkung von Levocetirizin angegeben; dies entspricht den Erfahrungen mit Cetirizin, dessen sedierende Effekte vermutlich etwas stärker sind als bei anderen neuen Antihistaminika.(15) Ferner können unter Levocetirizin Kopfschmerzen, Mundtrockenheit, Schwindel oder gastrointestinale Beschwerden vorkommen. Bei Cetirizin, dem Razemat, sind auch einzelne Fälle von schweren Nebenwirkungen wie zum Beispiel Konvulsionen, Leberschädigungen oder anaphylaktische Reaktionen beobachtet worden.
Interaktionen: Wegen der möglichen sedierenden Wirkungen ist in Kombination mit anderen zentral dämpfenden Substanzen (z.B. Alkohol) zu Vorsicht geraten. Ansonsten ist nicht mit relevanten Interaktionen zu rechnen.
Dosierung, Verabreichung, Kosten
Kommentar
Zwar mögen Desloratadin und Levocetirizin gleich wirksam sein wie ihre Muttersubstanzen Loratadin (Claritine®) und Cetirizin (Zyrtec®); gleichwohl muss man Desloratadin und Levocetirizin aus den Rängen fallen lassen - einfach weil sie zu wenig dokumentiert sind. Für keines der beiden "neuen" Mittel sind Vergleiche mit anderen Antihistaminika publiziert. Die Einführung von Desloratadin und Levocetirizin hat wenig mit medizinischen Gründen zu tun. Momentan dominieren Loratadin und Cetirizin den Antihistaminika-Markt - Loratadin ist weltweit eines der umsatzträchtigsten Medikamente überhaupt - und sind in den kleinsten Packungsgrössen rezeptfrei erhältlich. Doch sie werden bald überall den Patentschutz verloren haben, so dass den Originalpräparaten Konkurrenz von Generika droht, die sich unter Umständen auch mit Publikumswerbung in Position bringen werden. Deshalb sollen Desloratadin und Levocetirizin helfen, Marktanteile zu erhalten. Nun lässt sich auch entschlüsseln, wie der Begriff der neuen Ära zu verstehen ist, der in der Werbebroschüre einer der beiden Herstellerfirmen auftaucht - als ein neckischer Hinweis auf ein goldenes Zeitalter, das ein zweites Mal hereinbrechen möge.
Literatur
- 1) Rast HP, Schmidli J. pharma-kritik 1992; 14: 61-4
- 2) McClellan K, Jarvis B. Drugs 2001; 61: 789-96
- 3) http://www.eudra.org/humandocs/PDFs/EPAR/aerius/259500en6.pdf
- 4) Meltzer EO et al. Clin Drug Invest 2001; 21: 25-32
- 5) Ring J et al. Int J Dermatol 2001; 40: 72-6
- 6) Barecki ME et al. Drug Metab Dispos 2001; 29: 1173-5
- 7) Wang EJ et al. Drug Metab Dispos 2001; 29: 1080-3
- 8) Guex AC. pharma-kritik 1989; 11: 77-8
- 9) Devalia JL et al. Allergy 2001; 56: 50-7
- 10) Wang DY et al. Allergy 2001; 56: 339-43
- 11) Clough GF et al. Allergy 2001; 985-8
- 12) Strolin Benedetti M et al. Eur J Clin Pharmacol 2001; 57: 571-82
- 13) Leynadier F et al. Acta Otorhinolaryngol Belg 2001; 55: 305-12
- 14) Klimek L, Hundorf I. Allergologie 2002; 25 (Suppl 1): S1-7
- 15) Mann RD et al. Br Med J 2000; 320: 1184-7
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