Nebenwirkungen aktuell
- Autor(en): Etzel Gysling
- pharma-kritik-Jahrgang 20
, Nummer 15, PK390
Redaktionsschluss: 29. Mai 1999 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Metformin
Metformin, das neben Buformin (Silubin® retard) das einzige heute noch in der Schweiz verfügbare Biguanid ist, wird als gute Alternative zu anderen oralen Antidiabetika angesehen.
Ausführliche Informationen zu Metformin finden sich z.B. in folgenden Texten:
Bell PM, Hadden DR. Endocrinol Metab Clin North Am 1997; 26: 523-37
Davidson MB, Peters AL. Am J Med 1997; 102: 99-110
Mehnert H. Internist 1998; 39: 222-8
Markenname: Glucophage®
Laktatazidose
Eine 76jährige Frau, die seit Jahren an einem Typ-2-Diabetes, Hypertonie und koronarer Herzkrankheit mit Herzinsuffizienz litt, wurde wegen zunehmender Müdigkeit, Kurzatmigkeit und anhaltend erhöhten Blutzuckerspiegeln ins Spital eingewiesen. Zwei Monate vor Spitaleintritt war eine Behandlung mit Metformin begonnen worden, die bis zu einer Tagesdosis von 2,5 g gesteigert worden war. Ferner erhielt sie Glipizid (Glibenese®), Digoxin, Prazosin (Minipress®), Furosemid (Lasix® u.a.) und Acetylsalicylsäure (Aspirin® u.a.).
Beim Eintritt wurde ein tachykardes Vorhofflimmern mit einer Frequenz von 100/Min, ein Blutdruck von 176/100 mm Hg, eine Atemfrequenz von 18/Min und eine Körpertemperatur von 37,9°C festgestellt. Der Laktat-Blutspiegel betrug 4,1 mmol/l (Norm bis 2,1 mmol/l) und der Blutzucker 16 mmol/l. Ausserdem fand sich ein reduzierter Bikarbonatwert von 20 mmol/l und ein Anionen-Defizit von 23. Eine arterielle Blutgasanalyse wurde versehentlich nicht vorgenommen. Metformin wurde als Ursache der Laktatazidose vermutet und sofort gestoppt. Nach 24 Stunden war der Laktatspiegel auf 1,9 mmol/l gesunken. Wegen des Vorhofflimmerns wurde der Patientin Amiodaron (Cordarone®) verordnet. Der weitere Verlauf war komplikationslos und die Patientin konnte später nach Hause entlassen werden.
Die rasche Besserung des Laktatspiegels nach Absetzen von Metformin lässt annehmen, dass der Verdacht auf eine Metformin-induzierte Azidose richtig war.
Hulisz DT et al. J Am Board Fam Pract 1998; 11: 233-6
In einer zusammenfassenden Arbeit werden retrospektiv die Daten von 49 Personen ausgewertet, die unter Metformin eine Laktatazidose entwickelten. Alle hatten Laktatblutspiegel von mindestens 5 mmol/l und einen arteriellen pH-Wert von höchstens 7,35. Etwas mehr als ein Drittel der Untersuchten wurde nicht nur mit Metformin, sondern auch mit Sulfonylharnstoffen behandelt. In erster Linie interessierte, ob zwischen dem Ausmass der Laktatazidose, den Metformin-Plasmaspiegeln und der Mortalität in der Intensivpflegestation ein Zusammenhang vorhanden sei.
Bei allen Kranken fand sich mindestens ein Risikofaktor für eine Laktatazidose, am häufigsten (bei 36 von 49 Personen) eine Niereninsuffizienz. Fünf Patienten hatten eine höhere als die in der Schweiz empfohlene Maximaldosis (2,55 g/Tag) erhalten. Der Medianwert des Laktatspiegels betrug 13,1 mmol/l, der mediane pH-Wert 7,11 und der mediane Metformin-Plasmaspiegel 16,8 mg/l. Nur bei sechs Personen war der Metformin-Spiegel im therapeutischen Bereich; dagegen fanden sich acht, deren Spiegel um das Hundertfache über dem empfohlenen therapeutischen Niveau lag. 22 von 49 Kranken (45%) starben. Die medianen Laktatspiegel der Patienten, die starben, waren praktisch gleich wie die Werte jener Patienten, die überlebten. Erstaunlicherweise waren in der Gruppe der Überlebenden wesentlich höhere Metforminspiegel festzustellen als bei denen, die starben. Ebenso fanden sich bei den Überlebenden die höchsten Laktatspiegel.
Daraus ergibt sich, dass ein relativ niedriger Laktatspiegel nicht notwendig mit einer höheren Überlebenswahrscheinlichkeit verbunden ist. Auch die Höhe des Metforminspiegels erlaubt keine prognostische Aussage über den Verlauf und die Letalität einer Metformin-induzierten Laktatazidose. Die Autoren vermuten, dass der klinische Verlauf stärker von der Grundkrankheit und der Komorbidität (vor allem einer Niereninsuffizienz) beeinflusst wird als von der Höhe des Metformin- oder Laktatspiegels.
Lalau JD, Race JM. Drug Saf 1999; 20: 377-84
Interaktion mit Röntgenkontrastmitteln
Da sich intravenöse Röntgenkontrastmittel auf die Nierenfunktion auswirken können, wird empfohlen, zwei Tage vor und nach Kontrastmitteluntersuchungen kein Metformin zu verabreichen. Es wurde eine Literaturrecherche durchgeführt, um den Sinn dieser Empfehlung zu überprüfen.
Es konnten insgesamt 18 Fälle von Kontrastmittel-assoziierter Laktatazidose bei Metformin-behandelten Diabeteskranken identifiziert werden. Bei mindestens 16 dieser Personen bestand jedoch bereits vor der Kontrastmittelgabe eine Kontraindikation für die Verabreichung von Metformin, meistens wegen einer Niereninsuffizienz. Diese Daten lassen annehmen, dass Diabeteskranke mit einer normalen Nierenfunktion nur ein sehr geringes Risiko aufweisen, infolge der Verabreichung von Metformin und von Kontrastmitteln eine Laktatazidose zu entwickeln. Anderseits sollten die allgemeinen Kontraindikationen von Metformin sorgfältig beachtet werden.
McCartney MM et al. Clin Radiol 1999; 54: 29-33
Interaktion mit Indometacin
Eine 57jährige Frau, die seit 15 Jahren an einem Typ-2-Diabetes litt und deswegen mit Metformin (2mal 500 mg/Tag) behandelt wurde, musste wegen Unwohlsein, Bauchschmerzen, Brechreiz und Erbrechen hospitalisiert werden. Die Anamnese ergab keine Anhaltspunkte für ein vorbestehendes Nierenleiden. Wegen starken Rückenschmerzen hatte die Patientin seit zwei Monaten auch täglich 200 mg Indometacin (Indocid® u.a.) erhalten. Beim Eintritt fiel auf, dass die Patientin oligurisch war; ihr Blutdruck betrug 180/90 mm Hg. Die Laboruntersuchungen zeigten eine Niereninsuffizienz mit einem stark erhöhten Plasmakreatinin von 480 mmol/l, eine metabolische Azidose (pH 6,82, Bikarbonat 1,2 mmol/l) und einen erhöhten Laktatspiegel von 21,1 mmol/l. Der Blutzucker betrug 13,6 mmol/l. Anhaltspunkte für eine immunologische Ursache einer Glomerulonephritis wurden nicht gefunden. Die Ultraschalluntersuchung des Abdomens zeigte beidseits normale Nieren ohne Zeichen einer Nierenstauung.
Metformin und Indometacin wurden abgesetzt. Die Patientin musste intensiv mit Infusionen behandelt werden, was zu einer allmählichen Besserung ihres Befindens führte. Die Frau konnte in stabilem Zustand, jedoch mit deutlich reduzierter Nierenfunktion (Plasmakreatinin 220 mmol/l) entlassen werden. Die Autoren des Berichtes nehmen an, es sei unter Indometacin zu einer allmählichen Verschlechterung der Nierenfunktion gekommen, die schliesslich die Laktatazidose auslöste.
Chan NN et al. Lancet 1998; 352: 201
Hämolytischer Ikterus
Lin KD et al. N Engl J Med 1998; 339: 1860
Akute Hepatitis
Babich MM et al. Am J Med 1998; 104: 490-2
Im Vergleich mit dem früher erhältlichen Phenformin (Dipar®, Glucopostin®) verursacht Metformin 10- bis 20mal seltener eine Laktatazidose. Diese Komplikation hat jedoch in etwa 50% einen letalen Verlauf. Es ist deshalb wichtig, trotz des in den grossen britischen Diabetesstudien erwiesenen Nutzens von Metformin
|
UK Prospective Diabetes Study (UKPDS) Group. Lancet 1998; 352: 854-65
Sildenafil
Sildenafil ist das erste oral wirksame Medikament zur Behandlung der erektilen Dysfunktion.
Ausführlichere Informationen zu Sildenafil sind z.B. zu finden in:
Sperling H, Michel MC. Dtsch Med Wochenschr 1999; 124: 151-3
Moreland RB et al. Trends Endocrin Metabolism 1999; 10: 97-104
Gysling E. pharma-kritik 1997; 19: 75-6
Markenname: Viagra ®
Kammertachykardie
Bei einem 52jährigen Mann, der vor 20 Jahren einen ausgedehnten anterioren Herzinfarkt erlitten hatte, traten während des Geschlechtsverkehrs eine Stunde nach Einnahme von Sildenafil Kurzatmigkeit und Benommenheit auf. Er suchte das Spital auf, wo eine monomorphe Kammertachykardie festgestellt wurde und eine erfolgreiche Kardioversion durchgeführt wurde.
Ein 71jähriger Mann mit koronarer Herzkrankheit war seit vier Jahren wegen episodischen Kammertachykardien Träger eines Defibrillators/Kardioverters. Bei sexueller Aktivität nach Einnahme von Sildenafil wurde innerhalb von wenigen Minuten dreimal ein Elektroschock ausgelöst. Die Analyse der Aufzeichnungen des implantierten Kardioverters zeigte, dass der Elektroschock jeweils funktionsgerecht durch Kammertachykardien ausgelöst worden war.
Weder der eine noch der andere Patient nahm Nitrate und beim Geschlechtsverkehr waren bisher keine Rhythmusstörungen aufgetreten.
Shah PK. N Engl J Med 1998; 339: 699
Herzinfarkt
Feenstra J et al. Lancet 1998; 352: 1932
Auswirkungen auf die Retina
Sildenafil hemmt nicht nur die Phosphodiesterase Typ V (in der glatten Gefässmuskulatur), sondern auch die Phosphodiesterase Typ VI, die beim Sehvorgang für den photochemischen Transduktionsprozess wesentlich ist. Die Hemmwirkung auf das Isoenzym in der Netzhaut beträgt aber nur etwa ein Zehntel der Wirkung auf das Isoenzym im Corpus cavernosum. In einer kleinen Studie wurden bei fünf Freiwilligen die Auswirkungen einer Einzeldosis von 100 mg Sildenafil auf verschiedene Messgrössen am Auge untersucht. Dabei wurden insbesondere Visus, Gesichtsfeld, Augeninnendruck, Farbenwahrnehmung, Fundoskopie, Elektroretinogramm und visuell evozierte Potentiale unmittelbar vor sowie eine und sechs Stunden nach Sildenafilgabe erfasst.
Subjektiv störende Veränderungen des Sehens wurden nicht beobachtet. Das Elektroretinogramm zeigte aber signifikante Veränderungen: Die Amplituden der a-Welle und der b-Welle waren nach einer Stunde deutlich (auf etwa 60 bis 80% des Ausgangswertes) reduziert. Nach sechs Stunden waren die Werte jedoch wieder normal. Die anderen (oben erwähnten) Messgrössen wurden nicht wesentlich verändert.
Die Autoren nehmen an, dass Sildenafil für die beschriebenen, vollständig reversiblen Veränderungen des Retinogramms verantwortlich ist. Es ist aber unbestimmt, ob Sildenafil bei vorbestehenden Veränderungen oder Erkrankungen der Retina nicht doch anhaltende Veränderungen auslösen könnte.
Vobig MA et al. Lancet 1999; 353: 375.
Interaktion mit Proteasehemmern wahrscheinlich
Nandwani R, Gourlay Y. Lancet 1999; 353: 840
Cluster-Kopfschmerzen
Stein M. Headache 1999; 39: 58-9
Gemäss Mitteilung der amerikanischen Arzneimittelbehörden sind in den USA bis im November 1998 nach der Einnahme von Sildenafil 130 Männer gestorben, rund 80 davon wegen Herzproblemen (plötzlicher Herztod, Herzinfarkt). Die Tatsache, dass das Medikament offenbar fast mühelos ohne echtes Arztrezept erhältlich ist, kann für die Todesfälle mitverantwortlich sein. Es ist nämlich mehrfach beschrieben worden, dass auch Männer mit eindeutigen Kontraindikationen Sildenafil eingenommen haben. Insbesondere die Hypotonien, die im Zusammenhang mit gleichzeitiger Einnahme von Nitraten auftreten können, stellen eine lebensbedrohliche Komplikation dar.
Zwei amerikanische Fachgesellschaften haben Empfehlungen zur Anwendung von Sildenafil bei Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen formuliert, die vor den Gefahren bei Männern mit koronarer Ischämie, Herzinsuffizienz und einer antihypertensiven Mehrfachtherapie warnen.
|
Cheitlin MD et al. Circulation 1999; 99: 168-77
Sertindol
Das atypische Neuroleptikum Sertindol ist im Dezember 1998 «vorläufig» aus dem Handel gezogen worden. Über dieses Medikament informieren unter anderem die folgenden Texte:
Masche UP. pharma-kritik 1997; 19: 69-71
Brown LA et al. Pharmacotherapy 1998; 18: 69-83
Markenname: Serdolect ®
Tödliche Arrhythmien
Sertindol verzögert dosisabhängig die Repolarisationsphase des Herzens, was zu einer Verlängerung des QT-Intervalls führen kann. Übersteigt die QT-Verlängerung ein bestimmtes Mass, so besteht ein hohes Risiko von ventrikulären Arrhythmien (Torsades de pointes). Da verschiedene Zytochrome am Metabolismus von Sertindol beteiligt sind, können sowohl CYP2D6-Hemmer (z.B. einzelne Serotoninwiederaufnahmehemmer) als auch CYP3A4-Hemmer (z.B. Azol-Antimykotika) zu einem Anstieg der Sertindol-Plasmaspiegel führen.
Seit der Markteinführung (1996) bis Ende November 1998 wurden in Europa 36 Todesfälle beobachtet, die möglicherweise mit Sertindol in Zusammenhang stehen. Nicht in allen Fällen, aber häufig, handelte es sich um einen plötzlichen Herztod. Ausserdem wurde ein Reihe von nicht-tödlichen Arrhythmien bekannt. Die europäischen Arzneimittelbehörden kamen deshalb zum Schluss, nach den aktuell vorhandenen Daten übersteige das Risiko von Sertindol den Nutzen des Medikamentes.
Anon. Current Problems 1999; 25 (Februar): 1.
Bewegungsstörungen
Ein 33jähriger Patient mit einer manisch-schizoaffektiven Psychose wurde mit Sertindol (20 mg/Tag) und Lithium (3mal 300 mg/Tag) behandelt und entwickelte unter dieser Therapie ein hochfrequentes, unregelmässiges Zittern. Dieses Problem blieb bestehen, obwohl beide Medikamente vorsichtig reduziert und schliesslich abgesetzt wurden. Drei Monate nach dem Absetzen von Lithium und Sertindol war der Tremor geringer, aber immer noch vorhanden. Der Autor des Berichtes vermutet, dass ein von Lithium verursachter Tremor in diesem Fall wegen der gleichzeitigen Verabreichung von Sertindol viel länger anhielt.
Raja M. Movement Disorders 1998; 13 (Suppl 2): 83
Eine 85jährige Frau wurde wegen Erregungszuständen, die von Halluzinationen und Angst begleitet waren, mit Sertindol (initial 4mal 4 mg/Tag, später 4mal 8 mg/Tag) behandelt. Nach fünf Behandlungswochen erlitt die Patientin einen Schlaganfall, wahrscheinlich ohne Zusammenhang mit dem Medikament. In der Folge wurde die Sertindol-Dosis wieder auf 4mal 4 mg/Tag reduziert. Mehrere Wochen nach dem Insult wurde beobachtet, dass die Frau ständig nach rechts hinten lehnte («Pisa-Syndrom»). Diese Störung verschwand innerhalb von vier Tagen nach dem Absetzen von Sertindol.
Padberg F et al. Br J Psychiatry 1998; 173: 351-2
Standpunkte und Meinungen
- Es gibt zu diesem Artikel keine Leserkommentare.
Copyright © 2024 Infomed-Verlags-AG
PK390
Gratisbuch bei einem Neuabo!
pharma-kritik abonnieren
-
Jahrgang 45 / 2023
Jahrgang 44 / 2022
Jahrgang 43 / 2021
Jahrgang 42 / 2020
Jahrgang 41 / 2019
Jahrgang 40 / 2018
Jahrgang 39 / 2017
Jahrgang 38 / 2016
Jahrgang 37 / 2015
Jahrgang 36 / 2014
Jahrgang 35 / 2013
Jahrgang 34 / 2012
Jahrgang 33 / 2011
Jahrgang 32 / 2010
Jahrgang 31 / 2009
Jahrgang 30 / 2008
Jahrgang 29 / 2007
Jahrgang 28 / 2006
Jahrgang 27 / 2005
Jahrgang 26 / 2004
Jahrgang 25 / 2003
Jahrgang 24 / 2002
Jahrgang 23 / 2001
Jahrgang 22 / 2000
Jahrgang 21 / 1999
Jahrgang 20 / 1998
Jahrgang 19 / 1997
Jahrgang 18 / 1996
Jahrgang 17 / 1995
Jahrgang 16 / 1994
Jahrgang 15 / 1993
Jahrgang 14 / 1992
Jahrgang 13 / 1991
Jahrgang 12 / 1990
Jahrgang 11 / 1989
Jahrgang 10 / 1988
Kennen Sie "100 wichtige Medikamente" schon?
Die Liste der 100 Medikamente sehen Sie auf der Startseite von 100 Medikamente.