Moxonidin

Synopsis

Moxonidin (Physiotens®) wird zur Behandlung der essentiellen Hypertonie empfohlen.

Chemie/Pharmakologie

Moxonidin ist wie Clonidin (Catapresan®) ein Imidazolinderivat. Chemisch unterscheidet es sich von Clonidin durch einen anderen aromatischen Substituenten. Die blutdrucksenkende Wirkung beider Substanzen beruht nach neueren Erkenntnissen im wesentlichen auf einer agonistischen Aktivität an zentralen Imidazolinrezeptoren. Die Stimulierung der als I1-Rezeptoren bezeichneten Strukturen im Stammhirn hat eine generelle Hemmung des Sympathikotonus zur Folge. Diese Wirkung hat eine Senkung der Noradrenalin- und Adrenalinplasmaspiegel sowie der Plasma-Renin-Aktivität zur Folge. Zur blutdrucksenkenden Wirkung von Moxonidin dürfte auch seine selektive agonistische Wirkung an zentralen a2-Rezeptoren beitragen. Inwieweit es sich in diesem Punkt grundsätzlich von Clonidin unterscheidet, ist nicht endgültig geklärt.(1)

Pharmakokinetik

Moxonidin wird gastrointestinal gut resorbiert und präsystemisch nicht metabolisiert. Die biologische Ver fügbarkeit liegt bei 90%. Maximale Plasmaspiegel können 1 Stunde nach der Einnahme beobachtet werden. Aus dem Plasma verteilt sich Moxonidin ausgiebig in die Gewebe. Moxonidin hat eine Plasma-Halbwertszeit von 2 bis 3 Stunden. Seine Wirkung hält aber wesentlich länger an, möglicherweise infolge einer längeren Bindung an zentrale Rezeptoren oder wegen der verzögert eintretenden Abnahme der Adrenalinspiegel.(1) Die Ausscheidung erfolgt hauptsächlich über die Nieren: 60% einer Dosis finden sich unverändert im Urin. Bei Personen mit Niereninsuffizienz muss mit einer signifikant verlangsamten Elimination gerechnet werden.(1,2) Moxonidin wird auch mit der Muttermilch ausgeschieden; die Konzentration in der Muttermilch kann um 50 bis 100% über dem Plasmaspiegel liegen.

Klinische Studien

Moxonidin ist in mehreren Doppelblindstudien mit verschiedenen anderen Antihypertensiva verglichen worden. Personen mit leichter oder mittelschwerer Hypertonie wurden aufgenommen; als Einschlusskriterium galt in der Regel ein diastolischer Blutdruck zwischen 95 und 115 mm Hg. Der Studienphase mit der aktiven Behandlung ging jeweils eine «Washout»-Periode von 1 bis 4 Wochen voraus, während der Placebo verabreicht wurde.
Besonders interessiert der Vergleich mit dem strukturverwandten Clonidin. In einer sechs Wochen dauernden Doppelblindstudie mit parallelen Gruppen erhielten 122 Patienten Moxonidin und 30 Clonidin. Die Dosis wurde, beginnend mit 0,2 mg/Tag, individuell titriert; die durchschnittliche Dosis betrug für beide Medikamente 0,36 mg/Tag. Moxonidin senkte den Blutdruck um 26/13 mm Hg, mit Clonidin wurde ein weitgehend gleichwertiges Resultat erreicht (Senkung um 29/12 mm Hg). Die in relativ kurzer Zeit erreichte starke Blutdrucksenkung überrascht; das Resultat könnte mit der Tatsache zusammenhängen, dass die Blutdruckmessungen zu verschiedenen Zeitpunkten nach der Arzneimittel-Verabreichung erfolgten.(3)
Eine kleinere, methodologisch schwächere Vergleichsstudie ergab ebenfalls eine ähnliche Wirksamkeit von Moxonidin und Clonidin.(4)
In einer doppelblinden Multizenterstudie ist Moxonidin auch mit dem Kalziumantagonisten Nifedipin (Adalat® u.a.) verglichen worden. 116 Patienten erhielten Moxonidin (zuerst 0,2 mg/Tag) und 113 ein Nifedipin-Retardpräparat (zuerst 20 mg/Tag). Bei Patienten, die nach vier Wochen aktiver Behandlung noch einen diastolischen Blutdruck über 90 mm Hg hatten, wurde die Dosis verdoppelt, d.h. auch abends eine Tablette verabreicht. Diese Dosisverdoppelung war bei 40 bis 50% der Patienten notwendig. Nach insgesamt 26 Behandlungswochen war der Blutdruck in der Moxonidingruppe durchschnittlich von 169/102 auf 145/86 mm Hg reduziert. In der Nifedipingruppe erfolgte eine Senkung von 168/102 auf 140/83 mm Hg, d.h. beide Medikamente waren ähnlich wirksam.(5)
In einer Praxisstudie wurde Moxonidin doppelblind mit Atenolol (Tenormin® u.a.) verglichen. Mit einer Tagesdosis von 0,2 bis 0,4 mg Moxonidin bzw. mit 50 bis 100 mg Atenolol wurde innerhalb von 8 Wochen ein gleichwertiges Resultat erreicht. Wie in vielen anderen Antihypertensiva-Studien betrug der Prozentsatz der erfolgreich Behandelten rund 70%.(6)
Ähnliche, aber kleinere und nur vier Wochen dauernde Studien sind auch mit Moxonidin und Captopril (Lopirin®, Tensobon®) durchgeführt worden. Auch in diesen Studien wurde mit beiden Medikamenten eine vergleichbare Senkung des Blutdrucks erreicht.(7,8)
Mit Hydrochlorothiazid (Esidrex®) wurde Moxonidin in einer multizentrischen Praxisstudie einerseits verglichen, anderseits kombiniert. 161 Patienten erhielten während acht Wochen Moxonidin (einmal 0,4 mg/Tag), Hydrochlorothiazid (einmal 25 mg/Tag), die Kombination der beiden Medikamente oder Placebo. Die beiden aktiven Medikamente ergaben in Monotherapie eine praktisch identische Blutdrucksenkung. Aber auch mit dem Placebo fand sich der Blutdruck nach acht Wochen gegenüber dem Ausgangswert durchschnittlich um 13/9 mm Hg niedriger. Das beste Resultat - eine durchschnittliche Senkung um 27/16 mm Hg - wurde mit der Kombination von Moxonidin und Hydrochlorothiazid erreicht.(9)
Ob Moxonidin eine zuverlässige 24-Stunden-Wirkung hat, lässt sich auf Grund der vorliegenden Studien nicht ganz sicher beantworten, da die Blutdruckmessung nicht immer unmittelbar vor der Medikamenteneinnahme erfolgte und da fast in allen Studien ein Teil der Patienten morgens und abends Moxonidin einnahm.

Unerwüschte Wirkungen

In Anbetracht der verhältnismässig störenden Nebenwirkungen von Clonidin (Mundtrockenheit und Müdigkeit bei über einem Drittel der Behandelten sowie «Rebound»-Hypertonie beim Absetzen) verdienen die unerwünschten Wirkungen von Moxonidin besondere Aufmerksamkeit. Die Mundtrockenheit tritt unter Moxonidin deutlich seltener (etwa bei 20%) auf als unter Clonidin. Andere Antihypertensiva, z.B. Diuretika oder Nifedipin verursachen dieses Symptom jedoch noch seltener.(5,9) Müdigkeit ist ein so wenig präzise definiertes Symptom, dass es nicht wundert, wenn es in verschiedenen Studien in sehr unterschiedlicher Häufigkeit beobachtet wurde. Gesamthaft scheint diese Nebenwirkung aber unter Moxonidin doch seltener als unter Clonidin aufzutreten. Ein rascher Anstieg des Blutdrucks nach dem Absetzen von Moxonidin ist bisher offenbar nicht beobachtet worden; dennoch soll ein plötzliches Absetzen des Medikamentes vermieden werden.
Weitere unerwünschte Wirkungen sind Kopfschmerzen, Schwindel, Schlafstörungen und in seltenen Fällen orthostatische Beschwerden, Brechreiz, Ödeme sowie pektanginöse Beschwerden.
Interaktionen: Moxonidin kann die sedierende Wirkung zentral dämpfender Substanzen (Alkohol, Schlaf- und Beruhigungsmittel) verstärken. Tolazolin (Priscol®), ein ophthalmologisch verwendeter a2-Blocker, antagonisiert die Moxonidin-Wirkung.

Dosierung, Verabreichung, Kosten

Moxonidin (Physiotens®) ist als Filmtabletten zu 0,2 und zu 0,4 mg erhältlich. Das Medikament ist in der Schweiz kassenzulässig. Es wird empfohlen, Moxonidin zunächst einmal täglich zu verabreichen. Bei etwa der Hälfte der Behandelten mit einer leichten bis mittelschweren Hypertonie soll eine Tagesdosis von 0,2 mg genügen. Bei ungenügender Wirkung kann diese Dosis zweimal täglich eingenommen werden. Eine Tagesdosis von 0,6 mg (bei Personen mit Niereninsuffizienz: 0,4 mg) soll nicht überschritten werden. Bei Sinusknotensyndrom, AV-Block II. oder III. Grades, Bradykardie unter 50/min, gefährlichen Arrhythmien und bei fortgeschrittenen Herz-, Leber- und Nierenerkrankungen soll Moxonidin nicht verwendet werden. Auch in bei schwangeren und stillenden Frauen sowie Kindern soll auf Moxonidin verzichtet werden. Bei einer Tagesdosis von 0,2 mg belaufen sich die monatlichen Kosten auf CHF 26.40. Eine entsprechend niedrige Clonidindosis (Catapresan®, 0,15 mg/Tag) kostet nur etwa die Hälfte (CHF 13.90 pro Monat).

Kommentar

Eine neue Substanzklasse stellt Moxonidin nicht dar. Auch die antihypertensive Wirkung von Clonidin scheint massgeblich auf der Stimulierung zentraler Imidazolin-Rezeptoren zu beruhen. Ein wesentlicher Vorteil von Moxonidin gegenüber Clonidin liegt in einem verbesserten Nebenwirkungsprofil. Insbesondere verursacht Moxonidin deutlich weniger häufig Mundtrockenheit, und der beim Absetzen von Clonidin beobachtete gefährli che Blutdruckanstieg ist unter Moxonidin bis anhin nicht aufgetreten. Im Vergleich mit anderen Antihypertensiva-Klassen fällt es dagegen schwer, einen Vorteil von Moxonidin auszumachen. Das neue Medikament ist wohl ebenso wirksam, subjektiv aber kaum besser verträglich als die heute gebräuchlichen Mittel. Obwohl Moxonidin schon seit mehreren Jahren bekannt ist, fehlen noch kontrollierte Langzeitstudien.

Literatur

  1. 1) Chrisp P, Faulds D. Drugs 1992; 44: 993-1012
  2. 2) Kirch W et al. Clin Pharmacokinet 1988; 15: 245-53
  3. 3) Plänitz V. J Clin Pharmacol 1987; 27: 46-51
  4. 4) Plänitz V. Eur J Clin Pharmacol 1984; 27: 147-52
  5. 5) Wolf R. J Cardiovasc Pharmacol 1992; 20 (Suppl 4): S42-4
  6. 6) Prichard BNC et al. J Cardiovasc Pharmacol 1992; 20 (Suppl 4): S45-9
  7. 7) Kraft K, Vetter H. J Cardiovasc Pharmacol 1994; 24 (Suppl 1): S29-33
  8. 8) Lotti G, Gianrossi R. Fortschr Med 1993; 27: 429-32
  9. 9) Frei M et al. J Cardiovasc Pharmacol 1994; 24 (Suppl 1): S25-8

Standpunkte und Meinungen

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Moxonidin (14. September 1995)
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pharma-kritik, 17/No. 03
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