Estradiol/Norethisteron-Hautpflaster

Synopsis

Unter der Bezeichnung Estracomb TTS® werden Estradiol-Hautpflaster (Estraderm TTS® 50) mit kombinierten Estradiol/Norethisteron-Hautpflastern (Estragest TTS®) zusammen zur biphasischen Hormonsubstitution nach der Menopause empfohlen.

Chemie/Pharmakologie

Estradiol ist das wichtigste von den Ovarien produzierte Hormon, es ist das am stärksten wirksame natürliche Östrogen. Norethisteronacetat ist ein synthetisches Gestagen, das sich von Testosteron ableitet.
Mit einer Östrogensubstitution nach der Menopause können klimakterische Beschwerden (z.B. Hitzewallungen) wirksam behandelt werden. Werden aber nur Östrogene substituiert, so kommt es zu einer Proliferation der Uterus- Schleimhaut und zu einem erhöhten Risiko, an einem Endometrium-Karzinom zu erkranken.(1) Frauen mit intaktem Uterus müssen deshalb zusätzlich zyklisch oder kontinuierlich Gestagene erhalten. Unter zyklischer Gestagenverabreichung haben viele Frauen menstruationsähnliche Blutungen.
Die Konsequenzen einer langfristigen Östrogenverabreichung sind mangels prospektiver Studien noch nicht endgültig gesichert. Als sehr wahrscheinlich gilt eine Schutzwirkung gegen Osteoporose; epidemiologische Untersuchungen lassen ferner einen Schutz vor Herz- und Kreislauferkrankungen vermuten. Anderseits erhöhen die Östrogene möglicherweise das Brustkrebs-Risiko. Wie sich eine kombinierte Östrogen-Gestagen- Substitution langfristig auswirkt, ist noch weitgehend unbekannt.

Pharmakokinetik

Mit der transdermalen Anwendung gelangen die Hormone kontinuierlich aus der Haut direkt in den Blutkreislauf, ohne die Leber zu passieren. Im Vergleich zur oralen Applikation können deshalb kleinere Dosen verwendet und gleichmässigere Plasmaspiegel beobachtet werden.
Estraderm® 50- und Estragest®-Hautpflaster geben pro Tag jeweils 50 µg Estradiol ab. Damit resultieren im Mittel Estradiol-Plasmaspiegel im Bereich von 40 bis 50 pg/ml; diese Werte entsprechen denjenigen, die vor der Menopause in der frühen Follikelphase gefunden werden. Zum Metaboliten Estron ergibt sich ein Plasmaspiegel-Verhältnis von ungefähr 1:1. Ohne Substitution sind in der Postmenopause die Estronspiegel zwei- bis fünfmal höher als die Estradiolspiegel. Estradiol wird in der Leber zu Estron, Estriol und deren Konjugaten (Glukuronid, Sulfat) metabolisiert und teils in einem enterohepatischen Kreislauf wieder zu Estradiol und Estron umgebaut, teils durch die Niere ausgeschieden.(2)
Norethisteronacetat wird in der Haut und im Blut zum biologisch aktiven Molekül Norethisteron gespalten. Die vom Hautpflaster abgegebene Hormonmenge (0,25 mg/Tag) ergibt Norethisteron- Plasmakonzentrationen zwischen 0,5 und 1,0 ng/ml. Norethisteron wird in der Leber metabolisiert, konjugiert und über die Nieren und mit dem Stuhl ausgeschieden.(2)

Klinische Studien

Der Grundsatz, dass eine Hormonsubstitution bei Frauen mit intaktem Uterus nicht allein auf Östrogenen beruhen darf, wird heute allgemein anerkannt. Noch nicht eindeutig geklärt ist jedoch, wie die notwendige Ergänzung durch Gestagene am besten erfolgt.
Nachdem Estradiol-Hautpflaster seit rund zehn Jahren verfügbar sind, erscheint ein Kombinationspflaster mit einem Gestagen als natürliche Ergänzung. Estradiol-Hautpflaster sind gemäss verschiedenen Studien in ihrer Wirkung anderen Formen der Östrogensubstitution weitgehend gleichwertig. Verglichen mit der oralen Hormongabe ist der Einfluss der Estradiol-Hautpflaster auf die Plasmalipide allerdings oft geringer oder wird erst nach monatelanger Behandlung deutlich.(3)
Die vorliegende Kombination von Estradiol und einem Gestagen (Norethisteronacetat) in Hautpflastern sollte grundsätzlich ein ebenbürtiges Resultat wie die Kombination oraler Hormonpräparate ergeben. Mit anderen Worten: Die proliferative Östrogenwirkung auf das Endometrium soll vermieden und die postmenopausalen Beschwerden sollen gelindert werden. Daneben interessiert die mögliche Beeinflussung von Knochendichte, Plasmalipiden und weiteren Stoffwechselwerten.
Klinische Studien, in denen diese Wirkungen für die Kombination von Estradiol- und Estradiol-Norethisteron- Pflaster geprüft wurden, sind zur Zeit erst wenige vorhanden.
Zu den Auswirkungen auf die klimakterischen Symptome sind keine Berichte über randomisierte Studien vorhanden. In offenen Studien wurde die heute empfohlene Methode der transdermalen Anwendung (zwei Wochen nur Estradiol 50 µg/Tag, gefolgt von Estradiol 50 µg/Tag + Norethisteron 0,25 mg/Tag für zwei weitere Wochen) geprüft. So wurde das Präparat z.B. in einer schwedischen Studie während eines Jahres bei 110 Frauen untersucht. Mittels Fragebögen wurde versucht, die Lebensqualität in der Östrogenphase zu erfassen. Es ergaben sich u.a. günstige Auswirkungen auf Schlafstörungen, Angst- und Depressionssymptome, vasomotorische Beschwerden; Selbstgefühl und Sexualleben veränderten sich positiv.(4) Mehrere weitere offene Studien, die bisher nicht in den Einzelheiten veröffentlicht worden sind, bestätigen die vorteilhaften Effekte auf klimakterische Symptome.(2) Gemäss Herstellerangaben ergeben sich keine nennenswerten Unterschiede zwischen der reinen Östrogenphase und der Phase mit kombinierter Hormonapplikation. Die störenden Hitzewallungen sollen um etwa 60 bis 70% abnehmen, Schlafstörungen um etwa 30%.
Ebenfalls nur in offenen Studien wurden die Auswirkungen auf die Uterusschleimhaut untersucht. In der bereits erwähnten schwedischen Studie wurden vor der Hormonbehandlung und nach einjähriger Therapie zwischen dem achten und zehnten Tag der kombinierten Behandlungsphase Endometrium-Biopsien entnommen. Vor der Behandlung fand sich bei 76% der Frauen ein atrophes oder nicht-sekretorisches Endometrium, nachher hatte die Mehrheit der Frauen (65%) ein sekretorisches Endometrium. Hyperplastische Veränderungen wurden in zwei Fällen festgestellt.(5) In einer anderen Studie fand sich nach einjähriger Behandlung bei 6 von 416 Frauen (1,4%) eine Hyperplasie.(2) (Unter einer Östrogen-Monotherapie findet sich nach einem Jahr bei 30 bis 40% der behandelten Frauen eine Hyperplasie.)
In der schwedischen Studie wurde auch das Blutungsmuster während eines Jahres untersucht. 72% der Frauen hatten reguläre Blutungen mit höchstens einem irregulären Zyklus. Zusätzliche Zwischenblutungen (während wenigen Tagen) waren in 6%, irreguläre Blutungen in 5%, keine Blutung in 9% der Zyklen zu verzeichnen. Die Blutungen begannen durchschnittlich 12 oder 13 Tage nach Beginn der Kombinationsphase und dauerten 6 bis 7 Tage.(5) Die Blutungsintensität wurde nur bei einer kleinen Gruppe von 16 Frauen untersucht. Bei diesen Frauen war im Zeitraum von fünf Monaten eine starke Blutung an 17 (5%), eine mittelstarke Blutung an 70 (21%) und eine leichte Blutung an 252 (74%) von 339 Tagen zu beobachten.(6)
In der bisher wichtigsten randomisierten Studie mit Estracomb® wurden die Hautpflaster mit der oralen Verabreichung von Östrogenen und Norgestrel verglichen. Initial erhielten je 33 Frauen Hautpflaster (kontinuierlich Estradiol 50 µg/Tag und jeweils für zwei von vier Wochen Norethisteron 0,25 mg/Tag) oder konjugierte Östrogene (Premarin® 0,625 mg täglich) kontinuierlich plus Norgestrel (0,15 mg/Tag) an 12 von 28 Tagen per os. Rund 25% der behandelten Frauen waren hysterektomiert, erhielten das Gestagen also überflüssigerweise. Eine Gruppe von 30 Frauen, die eine Hormonbehandlung ablehnten, diente als Kontrolle. Eine Studiendauer von drei Jahren war geplant; ein Teil der Frauen (rund 20% der aktiv Behandelten, 33% der Kontrollgruppe) beendete die Studie aber schon vorher.
Über diese eine Studie ist bis anhin in mindestens fünf verschiedenen Publikationen(7,8,9,10,11) berichtet worden:
Über die Auswirkungen der kombinierten Hormonsubstitution auf die Knochendichte erschien 1990 ein erster Bericht.(7) In einer Nachfolgepublikation, welche die ganze Studiendauer umfasst, wurden in erster Linie folgende Resultate festgehalten: Die Knochendichte, die in Intervallen von sechs Monaten an der Lendenwirbelsäule und am proximalen Femur gemessen wurde, liess sich mit den Hautpflastern und mit der oralen Substitution in gleicher Weise vorteilhaft beeinflussen. Im Vergleich mit der unbehandelten Kontrollgruppe, bei der die Knochendichte innerhalb von drei Jahren um 4 bis 5% abnahm, konnte der Knochenabbau mit der kombinierten Hormontherapie im allgemeinen vollständig aufgehalten werden. Immerhin war aber auch bei 12% der hormonbehandelten Frauen ein signifikanter Knochenverlust am Oberschenkelhals festzustellen.(8)
Auch über die Auswirkungen auf die Plasmalipide wurde zweimal berichtet.(9,10) Die während der kombinierten Hormonphase gewonnenen Dreijahresergebnisse lassen sich folgendermassen zusammenfassen: Gegenüber den Ausgangswerten wurden Gesamtcholesterin und «Low Density Lipoprotein (LDL)»-Cholesterin mit den Hautpflastern um 6 bis 8%, mit der oralen Behandlung um 12 bis 14% gesenkt. Beide Behandlungsarten führten auch zu einer Senkung des «High Density Lipoprotein (HDL)»- Cholesterins um 8 bis 11%. Eine Abnahme des HDL-Cholesterins (um 7%) wurde allerdings auch in der unbehandelten Kontrollgruppe festgestellt. Die Triglyzeridwerte fanden sich einzig bei den mit Hautpflastern behandelten Frauen reduziert.(10)
Der Glukosestoffwechsel wurde von der transdermalen Therapie im Gegensatz zur oralen Kombinationstherapie nicht beeinflusst. Die nach 18 Monaten überprüfte Glukosetoleranz und die Insulinspiegel blieben unter Estracomb® unverändert.(11)
Schliesslich sind zwei offene Studien zu erwähnen, in denen andere Behandlungsarten getestet wurden: In einer einjährigen Studie erhielten 50 Frauen ständig das kombinierte Pflaster (Estragest®). Von den 23 Frauen, welche die Studie beendeten, hatten vier Fünftel nach sechs Monaten keine Blutungen mehr.(12) In einer zwei Jahre dauernden Studie wurde dagegen bei 68 Frauen das kombinierte Hormonpflaster nur für zwei von acht Wochen appliziert (die übrige Zeit nur das Estradiol-Pflaster). Nur bei einer Frau fanden sich nachher hyperplastische Veränderungen des Endometriums.(13)

Unerwüschte Wirkungen

Für die Hautpflaster charakteristisch sind die lokalen Reaktionen (bei rund 15% der Frauen) in Form von Rötungen oder Juckreiz. Starke Reaktionen mit Pusteln und heftigem Juckreiz sind selten. Etwa 6% der Frauen brechen die Behandlung wegen Hautreaktionen ab. Es gibt keine Anhaltspunkte, dass das kombinierte Pflaster schlechter als das einfache Estradiol-Pflaster vertragen würde.
Die systemischen Nebenwirkungen einer transdermalen Östrogen/Gestagen-Substitution entsprechen wohl weitgehend denjenigen einer oralen Hormonsubstitution. Prämenstruelle Beschwerden, Kopfschmerzen, Spannung oder Empfindlichkeit der Brüste, Gewichtszunahme und Müdigkeit kommen vor. Am wichtigsten sind Blutungsprobleme Viele Frauen werten die weiterbestehende (oder erneut auftretende) Regelblutung als besonderen Nachteil einer Östrogen/Gestagen-Substitution. Ausserdem treten zum Teil unregelmässige oder sehr starke Blutungen auf. Die Abbruchrate von etwa 20% wird in erster Linie durch die Blutungsprobleme erklärt.(2)
Die transdermale Hormonsubstitution verursacht im Gegensatz zur oralen Therapie keine nennenswerten Veränderungen der Gallenzusammensetzung, der Plasma-Renin-Aktivität oder der Plasmakonzentrationen hormonbindender Globuline.

Dosierung, Verabreichung, Kosten

Eine Packung Estracomb TTS® enthält vier Systeme Estraderm TTS® (die 50 µg Estradiol pro Tag freisetzen) und vier Systeme Estragest TTS® (50 µg Estradiol + 0,25 mg Norethisteronacetat pro Tag). Das Präparat ist kassenzulässig. Während 14 Tagen wird zweimal pro Woche ein Estradiol-Hautpflaster, während der nächsten 14 Tage zweimal pro Woche ein kombiniertes Estradiol/Norethisteron-Pflaster, vorzugsweise am Gesäss, angebracht. Daran schliesst der nächste Behandlungszyklus unmittelbar an, unabhängig vom Zeitpunkt oder von der Dauer der Blutung. Es ist zu beachten, dass die Pflaster nicht an den Brüsten und nicht an sonnenexponierten Stellen (Zersetzung der Hormone) angebracht sowie nicht zerschnitten werden dürfen. Eine Monatspackung Estracomb TTS® kostet Fr. 39.15 und ist damit etwa doppelt so teuer wie eine orale Kombinationsbehandlung mit Kliogest®, Premarin plus 0,625® oder Trisequens®.

Kommentar

Die kombinierten Östrogen-Gestagen-Hautpflaster stellen eine «logische» Erweiterung des Prinzips der transdermalen Hormonsubstitution dar. Offensichtlich lässt sich mit dem kombinierten Pflaster ebenso gut wie mit einer oralen Kombination verhindern, dass eine östrogeninduzierte Hyperplasie des Endometriums entsteht. Ob sich im übrigen klinisch relevante Unterschiede zwischen einer oralen und einer transdermalen Substitution ergeben, kann auf Grund der vorliegenden Studien nicht entschieden werden. Es irritiert, dass eine verhältnismässig kleine randomisierte Studie in nicht weniger als fünf verschiedenen Zeitschriften unter verschiedenen Titeln - und meistens ohne adäquaten Hinweis auf die bereits erfolgten Publikationen - veröffentlicht wird. Unabhängig vom Weg der Verabreichung sind im Zusammenhang mit der Östrogen-Gestagen- Substitution noch viele Fragen offen. Sicher ist, dass sich viele Frauen nur schwer mit dem Gedanken abfinden können, bis zu ihrem Lebensende Regelblutungen zu haben.

Literatur

  1. 1) The Writing Group for the PEPI Trial. JAMA 1995; 273: 199-208
  2. 2) Wiseman LR, McTavish D. Drugs Aging 1994; 4: 238-56
  3. 3) Balfour JA, McTavish D. Drugs Aging 1992; 2: 487-507
  4. 4) Wiklund I et al. Maturitas 1992; 14: 225-36
  5. 5) Lindgren R et al. Maturitas 1992; 15: 71-8
  6. 6) Whitehead MI et al. Lancet 1990; 335: 310-2
  7. 7) Stevenson JC et al. Lancet 1990; 336: 265-9
  8. 8) Hillard TC et al. Osteoporosis Int 1994; 4: 341-8
  9. 9) Crook D et al. Am J Obstet Gynecol 1992; 166: 950-5
  10. 10) Whitcroft SI et al. Obstet Gynecol 1994; 84: 222-6
  11. 11) Godsland IF et al. Metabolism 1993; 42: 846-53
  12. 12) Oosterbaan HP et al. Maturitas 1995; 21: 211-9
  13. 13) Lindgren R et al. Maturitas 1995; 22: 25-30

Standpunkte und Meinungen

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Estradiol/Norethisteron-Hautpflaster (26. September 1995)
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