Homöopathie als Super-Placebo?
- Autor(en): Etzel Gysling
- pharma-kritik-Jahrgang 13
, Nummer 17, PK567
Redaktionsschluss: 14. September 1991 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
ceterum censeo
Seit mehreren Jahren ist pharma-kritik ein aktives Mitgliedder «International Society of Drug Bulletins»(ISDB). Ich habe 1987 einmal darüber berichtet. Die ISDBist eine Vereinigung unabhängiger Medien, die sich alle inerster Linie der Arzneimittelinformation widmen. Innerhalbder ISDB tauschen wir unsere Publikationen aus. Derso realisierte Informationsaustausch ist zwar durch unsereSprachkenntnisse eingeschränkt, vermittelt aber dennochmanch wertvolle Anregung.
Bei unserer französischen Schwester «La Revue Prescrire» habe ich einen Artikel gefunden, der auch für dieSchweiz aktuell ist. Er heisst «Apprendre à prescrire lesremèdes homéopathiques en une heure et demie» und istnicht als Scherz gemeint. Dabei muss man wissen, dass sich«Prescrire» von jeher immer wieder mit der Homöopathieauseinandergesetzt hat. Ich kenne keine andere medizinischeZeitschrift, welche die homöopathischen Mittel undVerfahren so sorgfältig analysiert hätte. Das Resultat derAnalyse lautete (und lautet auch jetzt noch) immer gleich:Es liegen keine Anhaltspunkte vor, die es erlauben würden,auf eine pharmakologische Wirkung homöopathischerMittel zu schliessen. Die verhältnismässig spärlichenStudien, die nachzuweisen scheinen, dass homöopathischeMittel einem Placebo überlegen sein könnten,weisen meistens methodologische Mängel auf. Wesentlichfällt auch ins Gewicht, dass es bisher keiner wirklich unabhängigenForschergruppe gelungen ist, positive Resultatezu reproduzieren.(1) Dennoch schlägt der vorliegendeArtikel vor, homöopathische Mittel anzuwenden. Eslohnt sich, die dafür vorgebrachten Argumente genaueranzusehen. In einer Zeit, in der alternative Methoden derverschiedensten Arten Aufschwung gewinnen, finden sichauch bei uns mehr und mehr Ärzte, die solche «sanften»Verfahren anwenden.
Die Argumente lauten folgendermassen: Ganz offensichtlichkann die Homöopathie -- trotz fehlendem Wirkungsnachweis-- einer Reihe von Menschen befriedigende Hilfeverschaffen. Warum also nicht homöopathische Mittel alsoptimierte Placebos («Super-Placebos») in der Praxis einsetzen?Es kann vermutet werden, dass der Placeboeffektumso grösser ausfällt, je stärker die funktionelle Komponenteeiner Erkrankung ausgeprägt ist. (Ob dies zutrifft,weiss ich allerdings nicht; jedenfalls sind mir keine entsprechendenUntersuchungen bekannt.) Auch lässt sichannehmen, dass durch den Glauben an die «besonderen»Wirkungen des «besonderen» Verfahrens ein Placeboeffektverstärkt wird. Die Optimierung der Behandlunggeschieht durch eine individuelle Auswahl der Mittel aufgrundeiner genauen Befragung der zu behandelnden Person.Zudem ist es wichtig, das Verschreibungsritual derHomöopathie (bestimmte Formen, zeitliche Vorschriften)genau zu beachten. Der Autor des vorliegenden Artikelsist sich bewusst, dass das Konzept «Super-Placebo»eine Hypothese darstellt, die eigentlich näher geprüftwerden sollte.
Im weiteren enthält der Artikel einen kurzen Abriss derVerschreibung homöopathischer Mittel. Auf Einzelheitenmöchte ich hier nicht eingehen; wichtig ist einzig, dass dieMittel in nicht-toxischen Konzentrationen verschriebenwerden.(1) Viel wichtiger ist aber noch, wie die Indikationendes «Super-Placebos» umschrieben werden. In den Augendes Autors kommen ausschliesslich Erkrankungen in Betracht,für welche die «klassische» Medizin keine wirksameBehandlung anzubieten hat sowie funktionelle bzw.psychosomatische Beschwerden (deren konventionelleBehandlung ja oft einen fragwürdigen Nutzen zeitigt).(1)Damit wird meines Erachtens der Einsatzbereich alternativerMethoden recht gut umschrieben. Allenfalls mag esauch zulässig sein, ein «Super-Placebo» in der Symptomtherapievorwiegend körperlicher Beschwerden zu verwenden,wobei jedoch leidenden Menschen die Chance einerpharmakologisch wirksamen Behandlung nicht vorenthaltenwerden darf.
In der allgemeinmedizinischen Praxis begegnen wir täglichPatientinnen und Patienten, die möglicherweise von einer«sanften» Therapie profitieren könnten. Ich möchte auchhervorheben, dass ich den Begriff «Placebo» durchausnicht in herabminderndem Sinne verstehe. Dennochbleibt eine solche Behandlung für viele Ärztinnen undÄrzte mit einem ethischen Dilemma verbunden. Der Autordes beschriebenen Artikels umschreibt dies so: «Est-ilplus moral de tromper sans se tromper que de tromper ense trompant?»
Etzel Gysling
Literatur
- 1) Aulas JJ. Rev Prescr 1991; 11: 196-200
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