Ranolazin

Ranolazin (Ranexa®) wird zur symptomatischen Behandlung bei stabiler Angina pectoris empfohlen.

Chemie/Pharmakologie

Die elektrische Reizung der Herzmuskelzellen führt über einen Natriumeinstrom zur Depolarisation. Normalerweise schliessen sich die daran beteiligten Natriumkanäle rasch wieder; bei einer Ischämie oder anderen myokardialen Schädigung verzögert sich dieser Vorgang jedoch, was einen verlängerten Natriumeinstrom und einen Anstieg der Natriumkonzentration zur Folge hat; schliesslich entwickelt sich, indem Natrium gegen Kalzium ausgetauscht wird, eine intrazelluläre Kalziumakkumulation, welche die myokardiale Funktion auf verschiedene Weise beeinträchtigen kann.

Ranolazin, ein Piperazin-Derivat, hat einen nicht vollständig geklärten Wirkungsmechanismus. Man geht davon aus, dass es vor allem den späten Natriumeinstrom blockiert, der – wie oben angeführt – unter pathologischen Verhältnissen zu beobachten ist. Im Tierversuch wurde gezeigt, dass Ranolazin die diastolische Relaxation und den Blutfluss verbessert, den myokardialen Sauerstoffverbrauch senkt und die Herzmuskelzellen elektrisch stabilisiert. Dass Ranolazin über eine Hemmung der Fettsäurenoxidation wirke, wie ursprünglich vermutet wurde, scheint dagegen bei therapeutischer Konzentration keine Rolle zu spielen.(1-3)

Pharmakokinetik

Ranolazin wird in retardierter Form eingenommen, weshalb es 2 bis 5 Stunden dauert, bis die maximale Plasmakonzentration erreicht ist. Beim Retardpräparat ist die biologische Verfügbarkeit nicht bestimmt; bei nicht-retardiertem Ranolazin (das klinisch nicht verwendet wird) bewegt sie sich zwischen 30 und 50%. Ranolazin wird grossenteils metabolisiert. Es sind 14 verschiedene Stoffwechselwege bekannt, von denen zwei, eine NAlkylierung und eine ODemethylierung, im Vordergrund stehen. Der Abbau erfolgt über CYP3A4 und etwas weniger über CYP2D6. Bei verminderter CYP2D6-Aktivität («poor metabolizers») ist die Fläche unter der KonzentrationsZeit-Kurve (AUC) um 25 bis 62% höher als bei normaler Aktivität («extensive metabolizers»). Ranolazin ist auch ein Substrat des Transportproteins PGlykoprotein. Die endgültige Ausscheidung findet mehrheitlich über den Urin statt. Die Halbwertszeit von Ranolazin liegt bei 2 bis 3 Stunden; bei der Retardform wird sie scheinbar auf 7 Stunden hinausgeschoben, da die Resorption als eliminationsbestimmender Schritt wirkt. Sowohl bei eingeschränkter Nieren- wie Leberfunktion ist mit einer Zunahme der Ranolazin-Exposition zu rechnen.(4,5)

Klinische Studien

Die Ranolazin-Retardform ist bei Personen mit koronarer Herzkrankheit in vier als zentral zu gewichtenden Doppelblindstudien geprüft worden.

In einer placebokontrollierten Dosisfindungsstudie untersuchte man bei 175 Personen mit stabiler Angina pectoris drei verschiedene Ranolazin-Dosen (2mal 500, 750 oder 1000 mg/Tag); andere antianginös wirkende Mittel wurden gestoppt. Alle drei Ranolazin-Dosen führten – unter offenkundiger Dosisabhängigkeit – innerhalb einer Woche zu einem signifikant besseren Ergometrie-Resultat als Placebo.(6)

791 Patienten und Patientinnen mit stabiler Angina pectoris, die mit Atenolol (Tenormin® u.a., 1mal 50 mg/Tag), Amlodipin (Norvasc® u.a., 1mal 5 mg/Tag) oder Diltiazem (Dilzem® u.a., 1mal 180 mg/Tag) behandelt waren, erhielten während 12 Wochen zusätzlich Ranolazin (2mal 750 oder 1000 mg/Tag) oder Placebo. Primärer Endpunkt war die Verbesserung der durch eine Ergometrie bestimmten Gesamtbelastungsdauer. Sie betrug zu Beginn in allen drei Gruppen knapp 7 Minuten; mit Placebo liess sie sich um 1 Minute 32 Sekunden verlängern, mit der niedrigeren Ranolazin-Dosis um 1 Minute 55 Sekunden und mit der höheren um 1 Minute 56 Sekunden. Das Auftreten von Angina pectoris bzw. einer signifikanten EKG-Veränderung (STSenkung um mindestens 1 mm) wurde unter Placebo um 1 Minute 54 Sekunden bzw. um 2 Minuten 5 Sekunden verzögert; unter der niedrigeren Ranolazin-Dosis waren es 2 Minuten 24 Sekunden bzw. 2 Minuten 25 Sekunden, unter der höheren 2 Minuten 20 Sekunden bzw. 2 Minuten 26 Sekunden. Die Zahl der wöchentlichen Anginapectoris-Anfälle lag zu Studienbeginn bei ungefähr 4,5; in der Placebogruppe reduzierte sie sich auf 3,3, in den Ranolazin-Gruppen auf 2,5 bzw. 2,1.(7)

564 Personen, die trotz einer maximalen Amlodipin-Dosis von 10 mg/Tag noch mindestens dreimal pro Woche unter pektanginösen Beschwerden litten, verabreichte man Ranolazin (1 Woche lang 2mal 500 mg/Tag, danach 6 Wochen 2mal 1000 mg/Tag) oder Placebo; ausserdem gebrauchten zwischen 40 und 50% der Studienteilnehmer und -teilnehmerinnen ein langwirkendes Nitrat, was als einzige weitere antianginöse Medikation erlaubt war. In der Ranolazin-Gruppe wurde die wöchentliche Frequenz von Anginapectoris-Anfällen im Durchschnitt von 5,6 auf 2,9 gesenkt, in der Placebo-Gruppe von 5,7 auf 3,3.(8)

Die grösste Studie (n = 6560) fand bei Personen statt, bei denen ein akutes Koronarsyndrom ohne STHebung feststand und man die Standardbehandlung mit Ranolazin (während 12 bis 96 Stunden i.v., danach 2mal 1000 mg täglich per os) oder Placebo ergänzte. Nach einer medianen Beobachtungszeit von knapp einem Jahr war in der Ranolazin-Gruppe bei 21,8% und in der Placebo-Gruppe bei 23,5% ein kardiovaskulär bedingter Todesfall, ein Myokardinfarkt oder eine erneute kardiale Ischämie eingetreten – Ereignisse, die in Kombination den primären Endpunkt bildeten. Ein signifikanter Unterschied zugunsten von Ranolazin ergab sich lediglich beim Anteil derjenigen Personen, die über eine Verschlechterung der pektanginösen Beschwerden berichtet hatten (4,2 gegenüber 5,9%).(9)

Unerwünschte Wirkungen

Als Nebenwirkungen von Ranolazin werden Schwindel, Asthenie, gastrointestinale Symptome (Übelkeit, Verstopfung, Dyspepsie, Bauchschmerzen), Kopfschmerzen und periphere Ödeme genannt. Auch ein leichter Anstieg des Kreatinin- und Harnstoffspiegels kann sich entwickeln. Besonders in höherer Dosierung können Synkopen vorkommen (die beobachteten Fälle wurden alle als orthostatisch bzw. vasovagal eingestuft). Generell nimmt die Nebenwirkungsrate in hohen Dosen überproportional zu.(4)

Ranolazin kann dosisabhängig das QTIntervall verlängern. Eine erhöhte Arrhythmie-Inzidenz hat sich noch nicht manifestiert, womöglich weil Ranolazin auch elektrophysiologische Eigenschaften besitzt, die gegenüber Arrhythmien schützend wirken.(10)

Interaktionen

Substanzen, die mit einer relevanten Hemmung von CYP3A4, CYP2D6 oder des PGlykoproteins einhergehen, erhöhen die Ranolazin-Konzentration. Ranolazin wiederum übt ebenfalls eine Hemmwirkung auf CYP3A4, CYP2D6 und das PGlykoprotein aus, was zum Beispiel die Plasmaspiegel von gleichzeitig verabreichtem Simvastatin (Zocor® u.a.) ansteigen liess.(4)

Dosierung, Verabreichung, Kosten

Ranolazin (Ranexa®) wird als Retardtabletten zu 375, 500 und 750 mg angeboten, die zweimal täglich einzunehmen sind. Die Therapie sollte mit der 375mg-Tablette begonnen werden; je nach Ansprechen kann die Dosis auf maximal 1500 mg/Tag erhöht werden. Die 750mg-Tablette enthält den Azofarbstoff Tartrazin, der Allergien auslösen kann. Ranolazin ist freigegeben zur ergänzenden Behandlung bei stabiler Angina pectoris, wenn die Medikamente der ersten Wahl (Betablocker, Kalziumantagonisten, Nitrate) ungenügend wirken oder nicht vertragen werden. Es ist kontraindiziert bei einer Nierenfunktionsstörung mit einer Clearance unter 30 ml/min, bei einer fortgeschrittenen Leberinsuffizienz und in Kombination mit starken CYP3A4-Hemmern. Vorsicht ist geboten, wenn Ranolazin mit anderen Medikamenten verabreicht wird, die das QTIntervall verlängern. Die Anwendung bei schwangeren und stillenden Frauen ist nicht erkundet.

Ranolazin, für das eine limitierte Kassenpflicht besteht, kostet unabhängig von der verordneten Dosis 100 Franken pro Monat. Es handelt sich somit um das teuerste antianginös wirkende Mittel. Mit den anderen Medikamenten erreichen die monatlichen Therapiekosten auch in höchster Dosierung kaum mehr als 15 bis 20 Franken; Ausnahmen bilden die Nitratpflaster (40-50 Franken), Nicorandil (Dancor®, 46 Franken) und Ivabradin (Procoralan®, 91 Franken).

Kommentar

Ranolazin wurde weder direkt mit anderen antiischämisch wirkenden Mitteln verglichen noch bei Patienten und Patientinnen geprüft, die bereits unter einer ausgebauten antianginösen Behandlung standen. Es fällt deshalb etwas schwer, zu erkennen, wo das Mittel im klinischen Alltag einen Platz finden sollte – umso mehr als es bei Koronarkranken keinerlei Verbesserung der Prognose verspricht und zu einem Preis angeboten wird, der innerhalb dieser therapeutischen Gruppe als prohibitiv zu bezeichnen ist. Dass Ranolazin anfällig gegenüber pharmakokinetischen Interaktionen zu sein scheint, trägt ebenfalls nicht zur Attraktivität bei. Es bleibt der Eindruck, dass mit Ranolazin – dessen erstmalige Patentierung 25 Jahre zurückliegt – ein «Ladenhüter» vorgelegt wird, der vor allem ökonomischen Erwägungen zu dienen hat.

Standpunkte und Meinungen

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Ranolazin (25. März 2011)
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pharma-kritik, 32/No. 13
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