Probiotika

Probiotika sind aktive, nicht-pathogene Mikroorganismen, die sich – sofern in genügender Menge eingenommen – als gesundheitlich vorteilhaft erweisen sollen. Zu den Probiotika zählt man zum Beispiel milchsäurebildende Bakterien (Lactobacillus spp., Bifidobacterium spp. u.a.) oder Saccharomyces boulardii, einen mit der Backhefe verwandten Pilz. Probiotika finden sich in Nahrungs- und Ergänzungsmitteln – die bekannteste Probiotika-Quelle ist Joghurt – sowie in pharmazeutischen Präparaten, wobei für die verschiedenen Produkte in jedem Land eigene gesundheitsrechtliche Bestimmungen gelten. Man geht davon aus, dass Probiotika in einer Tagesmenge von mindestens 108 bis 109 Mikroorganismen zugeführt werden müssen, damit ein günstiger Effekt erwartet werden kann (1,2). Die in der Schweiz erhältlichen pharmazeutischen Probiotika sind in Tabelle 1 aufgelistet.
Im Folgenden wird ein Artikel des unabhängigen «Medical Letter on Drugs and Therapeutics» wiedergegeben, der eine kurze Übersicht zu Probiotika und ihren medizinischen Anwendungen liefert (3). Wo sinnvoll, wurden ergänzende Literaturstellen eingefügt.

Wirkmechanismus von Probiotika

Verschiedene Mechanismen könnten für die Wirkungen von Probiotika verantwortlich sein. Laktobazillen bilden Milch-, Essig- und Propionsäure, die den intestinalen pH-Wert senken und das Wachstum von pathogenen Keimen wie E. coli und Clostridien hemmen können. Für die Hefe Saccharomyces boulardii wurde gezeigt, dass sie bakteriellen Toxinen entgegenwirkt. Möglicherweise verhindern Probiotika noch auf anderen – physikalischen oder chemischen – Wegen die Adhäsion und Besiedlung durch pathogene Keime; es ist denkbar, dass durch Probiotika auch Immunreaktionen stimuliert werden.

Klinische Studien

Naturgemäss ist die medizinische Anwendung von Probiotika mehrheitlich bei gastroenterologischen Problemen untersucht worden.

Antibiotika-assoziierte und Clostridum-difficile-Diarrhoe

In einer Metaanalyse wurden 82 Studien zusammengefasst, in denen man die Zugabe von Probiotika zu einer Antibiotika-Behandlung untersucht hatte. Damit liess sich – im Vergleich zur alleinigen Antibiotika-Therapie – die Häufigkeit von Antibiotika-assoziierten Diarrhöen signifikant senken (relatives Risiko [RR] 0,58, 95% CI 0,50–0,68) (4). Eine Cochrane-Übersicht widmete sich derselben Fragestellung bei Kindern; hier zeichnete sich auch ein Vorteil für die Probiotika ab, der aber nicht signifikant war (5). Weitere Metaanalysen, die durchgeführt wurden, kamen ebenfalls zum Schluss, dass Probiotika die Wahrscheinlichkeit einer Antibiotika-assoziierten Diarrhoe vermindern.

Auch das Risiko der durch Clostridium difficile verursachten pseudomembranösen Kolitis scheint sich einer Metaanalyse zufolge mit einer Probiotika-Einnahme reduzieren zu lassen, und zwar von 5,5 auf 2,0% (RR 0,36, 95% CI 0,26–0,51) (6).

Im Widerspruch zu diesen Daten steht eine neue Studie, die in der Medical-Letter-Übersicht noch nicht erwähnt ist. Sie umfasste fast 3000 Personen im Alter von über 65 Jahren, die zusammen mit einer Antibiotika-Behandlung drei Wochen lang ein Probiotikum-Präparat mit Laktobazillen und Bifidobakterien oder Placebo einnahmen. Wie sich zeigte, konnte mit dem Probiotikum das Risiko einer Antibiotika-assoziierten Diarrhoe oder einer Clostridium-difficile-Kolitis nicht vermindert werden (7). 

Infektiöse Diarrhoe

Aus 63 Studien, in denen man Kindern oder Erwachsenen mit einer infektiösen Durchfallerkrankung einige Tage lang Probiotika verschrieben hatte, wurde eine Metaanalyse erstellt. Sie ergab, dass Probiotika die Dauer der Durchfallerkrankung im Durchschnitt um gut einen Tag verkürzen; ferner verminderten sie die Wahrscheinlichkeit, dass die Durchfallerkrankung länger als vier Tage dauert, um 59% und die Stuhlgang-Frequenz am zweiten Tag nach Behandlungsbeginn um 0,8 (8). Beim spezifischen Reisedurchfall versprechen Probiotika indessen keinen signifikanten Nutzen (9).

Reizdarmsyndrom

In einer Doppelblindstudie nahmen 122 Erwachsene mit Reizdarmsyndrom ein Probiotikum (Bifidobacterium bifidum) oder Placebo. Nach vier Wochen waren Reizdarm-Beschwerden (Schmerzen, Blähungen u.a.) mit dem Probiotikum signifikant zurückgegangen (10). Auch zu Kindern gibt es Daten, und zwar zeigte eine kleine Metaanalyse, dass ein Probiotikum (Lactobacillus rhamnosus) Reizdarm-bedingte Schmerzen zu lindern vermag (11).

Colitis ulcerosa

Bei Colitis ulcerosa wurden Probiotika sowohl bei aktiver Erkrankung als auch zur Rückfallprophylaxe in der Remissionsphase untersucht.

In zwei Doppelblindstudien verabreichte man Personen mit leicht- bis mittelgradiger Colitis ulcerosa, die unter einer Behandlung mit Mesalazin (Salofalk® u.a.) oder Immunsuppressiva standen, während 6 oder 8 Wochen das Probiotikum VSL#3® (eine Mischung von Lactobacillus-, Bifidobacterium- und Streptococcus-Stämmen). Eine mindestens 50%ige Besserung krankheitsspezifischer Symptome gelang mit dem Probiotikum signifikant häufiger als mit Placebo (12,13). Keinen Beitrag scheinen Probiotika dagegen leisten zu können, um eine aktive Colitis ulcerosa in eine Remission überzuführen (14).

Bei einer Colitis ulcerosa, die sich in Remission befindet, können Probiotika das Risiko eines Rückfalls etwas stärker vermindern als Placebo («Odds Ratio» [OR] 0,27, 95% CI 0,03–2,68), jedoch weniger gut als Mesalazin (OR 1,33, 95% CI 0,90–1,96) (15).

Auch bei Patienten und Patientinnen mit ileoanaler Pouch-Anastomose wurde das Probiotikum VSL#3® in zwei kleinen Studien getestet. So war das Risiko, dass sich (bis zu einem Jahr nach der Operation) eine sogenannte Pouchitis entwickelt, mit dem Probiotikum geringer als mit Placebo (16). Bei chronisch-rezidivierender Pouchitis, bei der man unter einer 4-wöchigen Behandlung mit Metronidazol (Flagyl® u.a.) und Ciprofloxacin (Ciproxin® u.a.) eine Remission erreicht hatte, liess sich der Zustand mit einer 1-jährigen Einnahme von VSL#3® zuverlässiger stabilisieren als mit Placebo (17).

Morbus Crohn

Bei 75 Kindern mit einem Morbus Crohn, die sich unter einer Standardbehandlung in einer Remission befanden, wurde das Auftreten eines Rückfalls mit einem Probiotikum (Lactobacillus rhamnosus) nicht signifikant hinausgezögert (18). Eine Cochrane-Übersicht kommt zum selben Fazit (19).

Andere Erkrankungen

Probiotika können bei einer Helicobacter-pylori-Infektion möglicherweise die Eradikationsrate verbessern; zudem kann man damit rechnen, dass sie die Nebenwirkungen der Behandlung (Durchfall) zu mildern vermögen (20). Auch bei Laktoseintoleranz, allergischer Rhinitis, Asthma, bakterieller Vaginose und atopischer Dermatitis wird ein möglicher Nutzen von Probiotika postuliert; indessen reichen die vorhandenen Studiendaten nicht, um ein schlüssiges Urteil zu fällen.

Nebenwirkungen

Probiotika können Blähungen, Völlegefühl, Durchfall und Schluckauf verursachen. Bedeutsamere Nebenwirkungen sind Infektionen und ihre Komplikationen, was insbesondere bei immunsupprimierten oder schwerkranken Personen vorkam; beobachtet wurden zum Beispiel Bakteriämien durch Lactobacillus casei, Fungämien durch Saccharomyces boulardii oder ein Leberabszess durch Lactobacillus rhamnosus.

Interaktionen

Probiotika können durch Antibiotika oder Antimykotika inaktiviert werden. Wenn Probiotika mit solchen Substanzen kombiniert werden, ist deshalb bei der Einnahme ein zeitlicher Abstand von 1 bis 2 Stunden ratsam.

Schlussfolgerungen

Die vorliegenden Studienergebnisse lassen vermuten, dass Probiotika wie Lactobacillus spp. und Saccharomyces boulardii bei einigen gastrointestinalen Problemen zur Beschwerdelinderung dienlich sind. Meistens werden Probiotika gut vertragen; bei Immunsupprimierten oder Schwerkranken können sie aber in seltenen Fällen zu gefährlichen Infektionen führen.


Zusammengefasst und ergänzt von Urspeter Masche

Standpunkte und Meinungen

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Probiotika (17. Februar 2015)
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