Naloxegol

Naloxegol (Moventig®) wird zur Behandlung bei opioidinduzierter Obstipation empfohlen.

Chemie/Pharmakologie

Opioide rufen oft eine Obstipation hervor, weil die Stimulation von Opioidrezeptoren im Gastrointestinaltrakt die propulsiven Kontraktionen der glatten Muskulatur sowie die Sekretion von Wasser und Elektrolyten hemmt – eine Nebenwirkung, die nicht mit einer Toleranzentwicklung einhergeht. Deshalb ist es in der Regel ratsam, eine längerdauernde Opioidbehandlung mit Laxantien zu kombinieren.

Auch mit Opioidantagonisten kann versucht werden, der Obstipation entgegenzuwirken. Bislang eingesetzt wurden hierfür Naloxon, das in einer oral verabreichbaren Fixkombination mit Oxycodon unter dem Namen Targin® erhältlich ist, und Methylnaltrexon (Relistor®), das aber nur subkutan gespritzt werden kann.

Bei Naloxegol handelt es sich um die pegylierte, das heisst an Polyethylenglykol (PEG) gekoppelte Form von Naloxol (das fast strukturgleich zu Naloxon ist). Naloxegol wirkt ebenfalls als kompetitiver Antagonist an den Opioidrezeptoren. Die Pegylierung, bestehend aus 7 Ethylenoxid-Einheiten, trägt dazu bei, dass die passive Diffusion durch Membranen vermindert wird und das Molekül zu einem Substrat des P-Glykoproteins wird. Diese Eigenschaften helfen, dass praktisch kein Naloxegol die Blut-Hirn-Schranke passiert und Wirkung im ZNS ausübt.(1,2)

Pharmakokinetik

Nach Einnahme von Naloxegol wird innerhalb von 2 Stunden der maximale Plasmaspiegel erreicht. Eine zweite Konzentrationsspitze – als Ausdruck eines enterohepatischen Kreislaufs – wird 0,5 bis 3 Stunden nach der ersten gemessen. Die biologische Verfügbarkeit ist nicht exakt bestimmt; man schätzt, dass sie in der Grössenordnung von 60% liegt. Eine fettreiche Mahlzeit verstärkt die Resorption beträchtlich. Naloxegol wird durch CYP3A4 abgebaut. Von den sechs identifizierten Metaboliten trägt keiner zur pharmakologischen Wirkung bei. Die endgültige Ausscheidung findet hauptsächlich über den Stuhl, zu einem kleinen Teil auch über den Urin statt. Die Halbwertszeit liegt zwischen 6 und 11 Stunden. Eine leichte bis mittelgradige Leberinsuffizienz scheint die Clearance nicht zu beeinflussen; bei schwerer Leberinsuffizienz ist die Pharmakokinetik nicht untersucht. Bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz wurde in Einzelfällen eine Zunahme der Naloxegol-Exposition auf bis das 10-fache beobachtet.(1,2)

Klinische Studien

Die klinischen Studien wurden bei Personen durchgeführt, die wegen nicht-krebsbedingter Schmerzen mit einem Opioid behandelt waren (Äquivalenzdosis von 30 bis 1000 mg Morphin pro Tag) und deswegen unter einer symptomatischen Obstipation mit weniger als 3 Stuhlentleerungen pro Woche litten.

In einer doppelblinden Dosisfindungsstudie erhielten 185 Personen während 4 Wochen Naloxegol (1-mal 5, 25 oder 50 mg/Tag) oder Placebo. Eine signifikante Zunahme der Stuhlfrequenz liess sich dabei mit den beiden höheren Naloxegol-Dosen erzielen.(3)

Bei den beiden Hauptstudien (KODIAC-04 und -05) handelt es sich um zwei nach analogem Protokoll durchgeführte Doppelblindvergleiche, die auch gemeinsam publiziert worden sind. Das Kollektiv wurde so ausgewählt, dass der Anteil der Personen, bei denen Therapieversuche mit herkömmlichen Laxantien erfolglos geblieben waren, mindestens 50% betrug. Es wurden 3 Gruppen gebildet, die man 12 Wochen lang mit Naloxegol (12,5 oder 25 mg/Tag) oder Placebo behandelte; nötigenfalls konnte zusätzlich Bisacodyl (Dulcolax® Bisacodyl u.a.) verwendet und ein Einlauf vorgenommen werden. Als primärer Endpunkt wurde die Ansprechrate festgelegt: als positives Ergebnis galt, wenn sich die Zahl der Stuhlgänge auf mindestens drei pro Woche und während drei Vierteln der Studiendauer um mindestens einen pro Woche steigern liess. In der KODIAC-04-Studie (n=641) war dies mit der niedrigeren Naloxegol-Dosis bei 41% der Fall, mit der höheren Dosis bei 44% und mit Placebo bei 29%; in der KODIAC-05-Studie (n=696) betrugen diese Prozentsätze 35%, 40% und 29%. In der KODIAC-04-Studie war der Unterschied im Vergleich zu Placebo mit beiden Naloxegol-Dosen signifikant, in der KODIAC-05-Studie nur mit der höheren. Eine Subgruppenanalyse zeigte, dass die Wirkung von Naloxegol nur bei solchen Individuen signifikant war, bei denen vorhergehende Laxantien nicht genügend geholfen hatten.(4)

Daten zu einer mindestens 1-jährigen Verabreichung liefert die KODIAC-08-Studie. Sie wurde allerdings offen geführt, indem man 844 Personen entweder Naloxegol (25 mg/Tag) verschrieb oder einer nicht spezifisch behandelten Kontrollgruppe zuführte, und diente vor allem zur Prüfung der Verträglichkeit.(5)

Unerwünschte Wirkungen

Als Nebenwirkungen von Naloxegol traten – dosisabhängig – hauptsächlich gastrointestinale Beschwerden wie Bauchschmerzen, Diarrhoe, Übelkeit, Erbrechen und Flatulenz auf. Ferner gaben bis zu 3% der Behandelten nicht-gastrointestinale Symptome an wie Schwitzen, Schüttelfrost, Kopfschmerzen, Angstzustände und Reizbarkeit, die man als Zeichen eines Opioidentzugssyndroms interpretieren kann.(6) Eine Zunahme der Schmerzen oder ein erhöhter Opioidbedarf wurde in den klinischen Studien nicht beobachtet.

Interaktionen

CYP3A4-Hemmer und -induktoren können die Plasmaspiegel so verändern, dass eventuell eine Anpassung der Naloxegol-Dosis nötig ist. Die Kombination von Naloxegol mit starken CYP3A4-Hemmern (Azol-Antimykotika, Makrolid-Antibiotika, Grapefruitsaft u.a.) sollte vermieden werden; dasselbe gilt für  potente P-Glykoprotein-Hemmer.

Dosierung, Verabreichung, Kosten

Naloxegol (Moventig®) ist als Tabletten zu 12,5 und 25 mg erhältlich und zugelassen für Personen mit chronischen, nicht-krebsbedingten Schmerzen, die infolge einer Opioidbehandlung unter einer Obstipation leiden. Die übliche Dosis beträgt 25 mg/Tag, wobei die Nüchterneinnahme empfohlen wird. Für Personen, die diese Dosis nicht tolerieren, mittelstarke CYP3A4-Hemmer einnehmen oder eine eingeschränkte Nierenfunktion aufweisen, steht die Tabletten mit der halbierten Dosis zur Verfügung. Andere Laxantien sollen bei Beginn einer Naloxegol-Behandlung gestoppt werden, können aber bei Bedarf im Verlauf dazugegeben werden. Bei Erkrankungen oder Situationen, die mit der Gefahr einer gastrointestinalen Perforation einhergehen, darf Naloxegol nur mit höchster Vorsicht eingesetzt werden. Bei Kindern, schwangeren und stillenden Frauen ist die Unbedenklichkeit der Anwendung nicht dokumentiert.

Naloxegol ist limitiert kassenzulässig und kostet CHF 98.80 pro Monat. Addiert man dazu den Preis für ein Opioid, ergeben sich Kosten in einem ähnlichen Umfang wie mit der Fixkombination Oxycodon/Naloxon (Targin®).

Kommentar

Ungefähr jede fünfte bis zehnte Person, die wegen einer opioidbedingten Obstipation mit Naloxegol behandelt wird, kann mit einer gewissen Erleichterung der Beschwerden rechnen. Ob eine solche Besserung immer als klinisch bedeutsam zu beurteilen wäre, bleibt dahingestellt. Da nicht mit Direktvergleichen belegt ist, dass Naloxegol grundsätzlich wirksamer ist als herkömmliche Laxantien, wird man bei opioidbedinger Obstipation weiterhin diese billigeren Substanzen als erste Wahl empfehlen und Naloxegol nur als Reservemittel betrachten.

Die Anwendung von Naloxegol bei Leuten, die wegen krebsbedingter Schmerzen ein Opioid bekommen, ist nicht systematisch geprüft und entspräche einer «Off-label»-Verschreibung – auch wenn das Argument schwierig zu widerlegen ist, dass die opioidantagonistische Wirkung von Naloxegol bei krebsbedingten Schmerzen kaum signifikant anders ausfallen wird als bei nicht-krebsbedingten.

Standpunkte und Meinungen

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Naloxegol (5. Oktober 2016)
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pharma-kritik, 38/No. 7
PK999
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