Impfungen in der Schwangerschaft
- Autor(en): Jérôme Biollaz, Chantal Csajka, Etzel Gysling
- pharma-kritik-Jahrgang 20
, Nummer 14, PK389
Redaktionsschluss: 19. Mai 1999 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Synopsis
Die Übertragung bestimmter - insbesondere viraler - Infektionskrankheiten über die Plazenta kann zu schweren Fehlbildungen führen oder chronische Erkrankungen des Kindes verursachen. Anderseits ist der Verlauf einzelner Krankheiten (Influenza, Varizellen) in der Schwangerschaft oft mit mehr Problemen verbunden als sonst. Dies beruht auf der in der Schwangerschaft veränderten Immunabwehr und kann die Gesundheit von Mutter und Kind gefährden.(1)
Dank Impfprogrammen, in denen die Risiken von Frauen im gebärfähigen Alter berücksichtigt werden, hat die Zahl von infektionsbedingten Spontanaborten und Fehlbildungen abgenommen. So sind seit Einführung der Masern-Mumps-Röteln-Impfung (MMR) nur noch sehr selten Fälle von kongenitalem Rötelnsyndrom beobachtet worden.(2,3)
Das Risiko einer Impfung während der Schwangerschaft ist dagegen schwieriger festzulegen. Dabei sind zu berücksichtigen:
- der Impfstoff-Typ (lebend-attenuiert oder inaktiviert)
- der Impfstoff-Inhalt (Bakterien, Viren, Toxine)
- der Zeitpunkt der Impfung.
Das grösste Risiko besteht während der Phase der Organogenese im ersten Schwangerschaftstrimester. Zuverlässige Daten aus Untersuchungen bei schwangeren Frauen sind aber nur spärlich vorhanden. In retrospektiven Studien sind zudem weitere Einflüsse (Krankheiten, Selektion, Zufall) zu berücksichtigen. Es ist daher schwierig, die vorhandenen Daten zu deuten.
Der folgende Text enthält die Empfehlungen zu den in der Schweiz am häufigsten verwendeten Impfstoffen und ihren Risiken während der Schwangerschaft. In der Tabelle 1 sind zusätzlich die wichtigsten Informationen für alle gebräuchlichen Impfstoffe zusammengefasst.
Virale Impfstoffe
Röteln
Eine Rötelninfektion während der Schwangerschaft kann einen Spontanabort, den Tod des Fötus oder ein kongenitales Rötelnsyndrom zur Folge haben. Das kongenitale Rötelnsyndrom umfasst Fehlbildungen des Gehörs (Schwerhörigkeit), der Augen (Katarakt, Mikrophthalmus, Glaukom u.a.), des Herzens (Vorhof- oder Kammerseptumdefekte, Pulmonalarterienstenose u.a.) und des Nervensystems (Mikroenzephalie, Intelligenzdefizit u.a.).
Die Inzidenz der Fehlbildungen variiert mit dem Zeitpunkt der Infektion: sie beträgt etwa 85% bei Frauen, die in den ersten acht Schwangerschaftswochen erkranken. Für den grösseren Zeitraum der ersten 20 Schwangerschaftswochen errechnet sich ein Risiko von 20 bis 25%. Nach der 20. Woche führt eine Rötelninfektion kaum mehr zu Fehlbildungen.(4)
Der Rötelnimpfstoff enthält attenuiertes Lebendvirus und kann theoretisch dieselben Probleme wie die eigentliche Rötelninfektion verursachen. Es sind aber mehrere hundert Fälle von Frauen bekannt, die versehentlich in der Schwangerschaft geimpft worden sind, deren Kinder aber keine Fehlbildungen aufwiesen. Sofern die Rötelnimpfung in der Schwangerschaft überhaupt ein Embryopathie-Risiko darstellt, so ist dieses zweifellos viel kleiner als das Risiko bei einer Rötelnerkrankung.(3) Eine Impfung während der Schwangerschaft wird dennoch als kontraindiziert angesehen.
Aufgrund dieser Überlegungen sollten alle Frauen, die eine Schwangerschaft planen und nicht lege artis geimpft sind, gegen Röteln geimpft werden. In der Schwangerschaft - und besonders im ersten Trimester - soll die Impfung vermieden werden. Die amerikanischen Behörden («Centers for Disease Control», CDC) raten, nach der Impfung mit einer Schwangerschaft mindestens 3 Monate zuzuwarten.(lit)Mumps
Nach einer Mumpsinfektion im ersten Schwangerschaftstrimester sind mehrere Fälle von Fehlbildungen - besonders der Augen, der Ohren und der Harnwege - beobachtet worden. Da keine Kontrollen erfasst wurden, ist es sehr schwierig, die Prävalenz dieser Fehlbildungen einzuschätzen. Im Zusammenhang mit Mumpsinfekten im ersten Trimester ist auch eine Zunahme der fötalen Todesfälle festgestellt worden.(4,5) Dagegen erscheint das Risiko während des zweiten und des dritten Trimesters nicht erhöht.
Bisher liegt kein Bericht vor, der einen Zusammenhang zwischen einer Mumpsimpfung und fötalen Komplikationen vermuten lässt. Da der Impfstoff aber einen attenuierten Lebendvirus enthält, gilt er während der Schwangerschaft als kontraindiziert.(3,5,6) Die amerikanische Fachgesellschaft («American College of Obstetricians and Gynecologists») empfiehlt einen Abstand von drei Monaten zwischen Impfung und Schwangerschaftsbeginn;(5) die CDC raten, mindestens 30 Tage zuzuwarten.(lit)Maser
Eine Maserninfektion während der Schwangerschaft erhöht die Inzidenz von Spontanaborten, von Frühgeburten und von Untergewicht des Neugeborenen. Kinder, die während der Schwangerschaft einer Masernerkrankung ausgesetzt waren, zeigten vereinzelt Fehlbildungen ohne ein bestimmtes Muster; es ist jedoch unklar, ob überhaupt ein Zusammenhang mit der Maserninfektion besteht.
Auch der Masernimpfstoff enthält attenuiertes Lebendvirus. Auch in diesem Fall gilt die Impfung als kontraindiziert, obwohl nie ein Risiko einer teratogenen Wirkung gezeigt wurde.(3,4,5) Nach den Empfehlungen des «American College of Obstetricians and Gynecologists» soll zwischen Impfung und Schwangerschaftsbeginn ein Abstand von drei Monaten beachtet werden;(5) die CDC raten, mindestens 30 Tage zuzuwarten.(4)
Varizellen
Bei Erwachsenen ist der Verlauf einer Varizellenerkrankung häufig viel unangenehmer und komplikationsreicher als bei Kindern.7 Eine Infektion während der Schwangerschaft kann ein Fehlbildungs-Syndrom hervorrufen, das in erster Linie das Zentralnervensystem betrifft.
Der Varizellen-Impfstoff, der ebenfalls attenuiertes Lebendvirus enthält, ist deshalb in der Schwangerschaft kontraindiziert. Viele Fachleute befürworten heute ein Impfprogramm in der Art des Rötelnimpfprogramms.(7) Nach einer Impfung soll eine Schwangerschaft um mindestens 30 Tage aufgeschoben werden. Es ist allerdings wiederum nicht klar, ob die Impfung tatsächlich ein Risiko für das ungeborenen Kind darstellt. Die Firma Merck unterhält ein internationales Register aller während der Schwangerschaft gegen Varizellen geimpften Frauen und ihren Kindern.(lit)Poliomyelitis
Der eine der verfügbaren Polioimpfstoffe enthält inaktivierte Viren und wird parenteral verabreicht (Salk), der andere enthält attenuierte Lebendviren und wird geschluckt (Sabin).
Das Polio-Virus kann fötale Schäden hervorrufen. Es scheint jedoch, dass weder der inaktivierte noch der attenuierte Impfstoff teratogene Wirkungen hat.(5) Einzelne ältere Studien liessen eine leichte Zunahme von Fehlbildungen im Bereich der Harnwege vermuten; dieser Verdacht konnte jedoch in neueren Untersuchungen nicht bestätigt werden.(3)
Hepatitis B
Im Zusammenhang mit einer Hepatitis-B-Infektion während der Schwangerschaft wurde bisher kein Fehlbildungs-Syndrom beschrieben. Ein Kind, das in utero der Infektion ausgesetzt ist, kann aber chronischer Hepatitis-B-Virusträger werden und ist damit gefährdet, langfristig eine Zirrhose oder ein hepatozelluläres Karzinom zu entwickeln. Es wird angenommen, dass die vertikale Übertragung während der Geburt geschieht. Gewisse Antigene könnten aber während der ganzen Schwangerschaft über die Plazenta in den kindlichen Kreislauf gelangen.(3)
Hepatitis A
Beim Hepatitis-A-Impfstoff handelt es sich um eine nicht-infektiöse Totvirusvakzine. Dieser Impfstoff ist aber erst seit verhältnismässig wenigen Jahren erhältlich; entsprechend sind bisher noch kaum Daten zur Anwendung in der Schwangerschaft verfügbar. Aus den Erfahrungen mit anderen entsprechenden Impfstoffen lässt sich ableiten, dass das teratogene Risiko minimal sein dürfte.(6)
Eine Schwangerschaft ist daher nicht als Kontraindikation der Hepatitis-A-Impfung anzusehen.(lit)
Influenza
Einzelne Fachleute vermuten, eine Infektion mit dem Influenzavirus führe zu einem erhöhten Risiko von Spontanaborten, Frühgeburten oder intrauterinem Wachstumsrückstand.(6,9) Bei der Schwangeren verlaufen zudem Influenza-Pneumonien in der Regel ungünstiger.
Der Influenza-Impfstoff ist eine Totvirusvakzine. Das «American College of Obstetricians and Gynecologists» empfiehlt, diese Impfung allen schwangeren Frauen, die an schwereren Krankheiten leiden, zu verabreichen.(4,6) Die CDC ihrerseits empfehlen, alle Schwangeren zu impfen, deren zweites und drittes Schwangerschaftstrimester in die Grippezeit fällt.(1) Das schweizerische Bundesamt für Gesundheit vertritt den Standpunkt, dass eine Influenzaimpfung zu keinem Zeitpunkt der Schwangerschaft ein Risiko darstellt.(lit)Bakterielle Impfstoffe
Haemophilus influenzae b
Ob Impfstoffe gegen Haemophilus influenzae b (Hib) in der Schwangerschaft ein Risiko darstellen, ist ungenügend bekannt. Hib stellt für Erwachsene normalerweise kein Risiko dar. Eine Hib-Impfung ist nur bei bestimmten Risikopersonen - mit funktioneller oder anatomischer Asplenie oder mit einer HIV-Infektion - sinnvoll. Bei Frauen mit solchen Risiken kann eine Impfung auch in der Schwangerschaft (vorzugsweise im 2. Trimester) durchgeführt werden.(2) In einigen Studien sind auch Frauen im dritten Schwangerschaftstrimester gegen Hib geimpft worden, um ihre Neugeborenen mit einem passiven Impfschutz zu versehen. Diese Kinder hatten keinerlei Anomalien.(lit)
Tuberkulose
Bei einer tuberkulosekranken Schwangeren kann sich die Krankheit auf das Kind übertragen, wobei es zu Fehlbildungen an den Lungen und am Zentralnervensystem sowie zu einer Hepatomegalie kommen kann.(1)
Der Nutzen einer Impfung mit Bacille Calmette Guérin (BCG), einer attenuierten Lebendvakzine, ist nicht allgemein anerkannt. Ihre Schutzwirkung gegen Mycobacterium tuberculosis ist verhältnismässig schwach.(12) Dieser Impfstoff hat keine bekannte teratogene Wirkung. In den aktuellen Richtlinien wird dennoch von einer BCG-Impfung in der Schwangerschaft abgeraten. Von dieser Regel soll nur abgewichen werden, wenn eine schwangere Frau einer unmittelbaren und unvermeidlichen Gefahr einer Tuberkuloseinfektion ausgesetzt ist.(6)
Der Tuberkulintest (Mantoux) soll keine Schädigung von Embryo oder Fötus hervorrufen.
Toxine
Diphtherie/Tetanus
Sowohl eine Diphtherie als auch ein Tetanus sind bei einer schwangeren Frau Ursache einer schweren Morbidität und Mortalität und können auch zu einer Neugeborenen-Sterblichkeit von bis zu 60% führen.(6)
Aufgrund einer retrospektiven Studie kann vermutet werden, dass der inaktivierte Tetanus-Impfstoff, nicht aber der Diphtherie-Impfstoff zu einer fötalen Schädigung führen kann. Die vorhandenen Daten lassen jedoch keinen zuverlässigen Schluss auf einen Zusammenhang zwischen Impfstoff und fötaler Schädigung zu.(3)
In Anbetracht der erheblichen Risiken einer Infektion während der Schwangerschaft sollten Frauen, die nicht lege artis gegen Diphtherie und Tetanus geimpft sind, trotz der unsicheren Datenlage vor oder auch in der Schwangerschaft geimpft werden.(2)
Schlussfolgerungen
Gewisse Viruserkrankungen stellen für die Mutter wie für das ungeborene Kind ein hohes gesundheitliches Risiko dar. Diese Infektionen können die fötale Entwicklung beeinträchtigen und angeborene Fehlbildungen oder chronische Erkrankungen beim Neugeborenen verursachen. Deshalb sollte allen Frauen im gebärfähigen Alter eine adäquate Prophylaxe dieser Viruskrankheiten empfohlen werden.
Das Risiko/Nutzen-Verhältnis einer aktiven Immunisierung einer schwangeren Frau lässt sich aus dem Infektionsrisiko für Mutter und Kind einerseits und aus dem mit der Impfung verbundenen Risiko anderseits ableiten. Bestimmte Impfungen werden während der Schwangerschaft empfohlen, wenn eine Frau noch nicht adäquat geimpft ist (Hepatitis B, Influenza, Diphtherie/Tetanus).
Obwohl das Risiko einer fötalen Schädigung durch den MMR- oder den Varizellen-Impfstoff theoretischer Natur ist, wird empfohlen, nach einer solchen Impfung drei Monate mit einer Schwangerschaft zuzuwarten bzw. im ersten Schwangerschaftstrimester nicht zu impfen.
Sofern während der Schwangerschaft eine Impfung durchgeführt werden muss, so soll diese nach Möglichkeit erst im zweiten oder dritten Trimester erfolgen, um ein mögliches teratogenes Risiko einzuschränken.
Die attenuierten Lebendimpfstoffe sollten wegen des theoretischen Risikos einer fötalen Infektion vermieden werden. Jede Schwangerschaft ist mit einem kleinen Basisrisiko von Fehlbildungen (3 bis 4%) verbunden. Das Ausmass eines allfälligen Risikoanstiegs infolge einer Impfung ist so klein, dass einer schwangeren Frau allein wegen einer versehentlichen Impfung nicht zu einer Schwangerschaftsunterbrechung geraten werden kann.(lit)Literatur
- 1) Anon. Am J Infect Control 1998; 26: 289-354
- 2) Anon (CDC). Morb Mortal Wkly Rep 1991; 40: 1-52
- 3) Dabney BJ (Ed). Reprotox Database, Reprorisk System. 1999; Micromedex Englewood, Colorado
- 4) Anon (CDC). Morb Mortal Wkly Rep 1998; 47: 1-57
- 5) Anon (CDC). Morb Mortal Wkly Rep 1996; 45: 1-35
- 6) Mitchell CW et al (Ed). Drugs in pregnancy and lactation. 1998; Williams & Wilkins Baltimore: 1071 ff.
- 7) Seidman DS et al. Br Med J 1996; 313: 701-2
- 8) Anon (CDC). Morb Mortal Wkly Rep 1996; 45: 239
- 9) Bundesamt für Gesundheit. Infektionskrankheiten: Diagnostik und Prävention, Kapitel I, Suppl. VI, 1998
- 10) Bundesamt für Gesundheit. Infektionskrankheiten: Diagnostik und Prävention, Kapitel I, Suppl. IX, 1992
- 11) Bundesamt für Gesundheit. Infektionskrankheiten: Diagnostik und Prävention, Kapitel I, Suppl. XIII, 1996
- 12) Dabney BJ (Ed). Teris Database, Reprorisk System. 1999; Micromedex Englewood, Colorado
- 13) Dabney BJ (Ed). Shepard Database, Reprorisk System. 1999; Micromedex Englewood, Colorado
Standpunkte und Meinungen
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