Celiprolol
- Autor(en): Etzel Gysling
- pharma-kritik-Jahrgang 11
, Nummer 22, PK605
Redaktionsschluss: 28. November 1989 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Synopsis
Celiprolol (Selectol®) ist ein kardioselektiver Betablocker, der zur Behandlung der arteriellen Hypertonie und der Angina pectoris empfohlen wird.
Chemie/Pharmakologie
Wie viele andere Betablocker (z.B. Atenolol, Metoprolol) ist Celiprolol ein Oxypropanolamin; es zeichnet sich durch eine Diäthylharnstoff-Substitution aus. Die Substanz ist hydrophil und penetriert daher die Blut-Liquorschranke kaum.
Eine Dosis von 200 bis 400 mg Celiprolol per os ergibt eine Betablockerwirkung von mindestens 24 Stunden. Bei gesunden Freiwilligen reduzierte Celiprolol eine anstrengungsinduzierte Tachykardie in ähnlichem Ausmass wie andere Betablocker. Celiprolol blockiert selektiv b1-Rezeptoren; seine Affinität zu b1-Rezeptoren ist deutlich grösser als zu b2-Rezeptoren. Es hat keine membranstabilisierende Wirkung, jedoch eine sympathomimetische Eigenaktivität, die sich vorwiegend auf b2-Rezeptoren zu beschränken scheint.(1) Letztere Wirkung ist wahrscheinlich für einen gewissen gefässerweiternden Effekt von Celiprolol verantwortlich.
Celiprolol besitzt möglicherweise eine bronchodilatierende Wirkung, deren Mechanismus aber nicht völlig geklärt ist; jedenfalls scheint die Substanz noch weniger als z.B. Atenolol (Tenormin®) zur Atemwegsobstruktion zu führen. (2) In Tierversuchen konnte unter Celiprolol eine leichte Zunahme des Herzschlagvolumens und des Blutflusses in der A. femoralis gezeigt werden. Im Gegensatz z.B. zu Propranolol (Inderal® u.a.) ergab Celiprolol intravenös bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit keine Abnahme der myokardialen Funktion.
Pharmakokinetik
Die biologische Verfügbarkeit von Celiprolol ist in nichtlinearer Weise von der verabreichten Dosis abhängig: eine 100 mg-Dosis wird zu etwa 30%, eine 400 mg-Dosis zu rund 75% systemisch verfügbar. Zudem wird die biologische Verfügbarkeit durch gleichzeitige Nahrungsaufnahme sehr stark vermindert (um rund 75%).(3) Maximale Plasmakonzentrationen sind nach 2 bis 3 Stunden erreicht. Das Medikament wird nur in geringem Ausmass metabolisiert. Von der resorbierten Menge wird etwa die Hälfte mit dem Urin, die andere Hälfte mit dem Stuhl ausgeschieden. Die Plasmahalbwertszeit beträgt etwa 5 Stunden. Bei eingeschränkter Nierenfunktion ist die renale Ausscheidung deutlich reduziert.
Klinische Studien
Celiprolol ist in mehreren kontrollierten Studien bei Patienten mit arterieller Hypertonie oder Angina pectoris geprüft worden.
Wirkung auf den Blutdruck
In einer Doppelblindstudie war Celiprolol bei 199 Personen mit einem diastolischen Blutdruck zwischen 95 und 114 mm Hg dem Placebo überlegen: In den ersten sechs Wochen dieser Studie wurde die Celiprolol-Dosis von 200 mg allmählich auf 600 mg/Tag gesteigert, sofern das Behandlungsziel (ein diastolischer Druck unter 90 mm Hg) nicht erreicht war. Mit Celiprolol konnte der erwünschte Blutdruckwert bei 56% der Patienten erreicht werden (Placebo: 28%). Den übrigen Patienten wurde zusätzlich Chlortalidon (Hygroton®, 25 mg/Tag) verabreicht; schliesslich benötigten 34% der mit Celiprolol behandelten Patienten maximale Dosen (600 mg Celiprolol + Chlortalidon).(4) In einem anderen Vergleich mit Placebo wurde die 24-Stunden-Wirkung von Celiprolol (400 mg/Tag) dokumentiert; bei 5 der 15 Patienten liess sich die Wirkung des Betablockers allerdings nicht von derjenigen des Placebos unterscheiden.(5)
Im Vergleich mit Atenolol scheint Celiprolol zu einer ähnlichen Blutdrucksenkung zu führen. In einer Doppelblindstudie mit 232 Patienten, von der erst vorläufige Resultate vorliegen, ergab sich mit Celiprolol-Tagesdosen zwischen 200 und 600 mg ebenso wie mit Atenolol (50 bzw. 100 mg/Tag) bei rund der Hälfte der Patienten eine Senkung des diastolischen Blutdrucks unter 90 mm Hg.(6) In einer kleinen Crossover-Studie bei 18 Hypertonikern, die Celiprolol (200 bis 400 mg/Tag) oder Atenolol (50 bis 100 mg/Tag) als Zusatz zu Verapamil (z.B. Isoptin®, 320 mg/Tag) erhielten, senkte Atenolol den Blutdruck allerdings signifikant stärker.(7)
Celiprolol hatte auch im Vergleich mit anderen Betablockern (Acebutolol, Metoprolol, Propranolol) ungefähr die gleiche blutdrucksenkende Wirkung. In einem Vergleich mit Enalapril (Reniten®, 20 mg/Tag) hemmte Celiprolol (400 mg/Tag) einen anstrengungsinduzierten Blutdruckanstieg stärker.(8)
Wirkung bei Angina pectoris
In einer doppelblinden Multizenterstudie mit 101 Patienten hatte Celiprolol (in individuell titrierten Dosen, zwischen 200 und 600 mg/Tag) eine signifikant bessere antian ginöse Wirkung als Placebo.(9) Gemäss einer Studie bei 140 Koronarpatienten verbessert Celiprolol die Arbeitskapazität ähnlich wie Propranolol.(10) Kleinere Vergleiche mit Propranolol sowie mit Atenolol lassen vermuten, dass sich die Celiprolol-Wirkung bei Angina pectoris nicht signifikant von derjenigen anderer Betablocker unterscheidet.
Andere Wirkungen
Die Herzfrequenz wird von Celiprolol meistens wenig beeinflusst, während z.B. Atenolol oder Propranolol oft zu einer Bradykardie führen. In mehreren Untersuchungen liess sich unter Celiprolol eine Abnahme des peripheren Gefässwiderstandes demonstrieren; der renale Blutfluss bleibt jedoch unverändert.(11)
Wiederholt ist das Fehlen einer bronchokonstriktorischen Wirkung von Celiprolol dokumentiert worden. Gemäss einer offenen Studie bei 13 Asthmatikern, die an einer leichten Hypertonie litten, verändert sich die Atemfunktion unter Celiprolol auch langfristig (während eines Jahres) nicht.(12)
Viele Betablocker führen zu möglicherweise ungünstigen Veränderungen des Lipidstatus (Triglyzerid-Anstieg, HDL-Cholesterin-Abnahme). Für Betablocker mit ausgeprägter sympathomimetischer Eigenaktivität trifft dies nicht zu. So bewirkt Celiprolol im Gegenteil eher eine Abnahme der Triglyzeride und eine Zunahme des HDLCholesterins. (13)
Unerwünschte Wirkungen
Die Angaben zu unerwünschten Wirkungen divergieren in den verschiedenen Studienberichten recht stark: Nach vielen Autoren stehen zentralnervöse Symptome im Vordergrund, andere haben vorwiegend gastro-intestinale Beschwerden beobachtet. Gemäss Angaben der Herstellerfirma treten am häufigsten Kopfschmerzen (bei 4-6% der Patienten), Schwindel (2-3%), Müdigkeit oder Asthenie (2-4%) und Brechreiz (1-2%) auf. In einer kleinen Studie klagten 5 von 12 gesunden Individuen nach einer einzelnen 400 mg-Dosis über ein so starkes «Frösteln», dass sie Celiprolol nicht langfristig eingenommen hätten.(14) Unter Celiprolol können grundsätzlich alle für Betablocker charakteristischen Probleme (Herzinsuffizienz, AV-Block, periphere Durchblutungsstörungen, Impotenz usw.) auftreten; solche Nebenwirkungen sind aber selten.(15,16) In Einzelfällen sind auch Bronchospasmen beobachtet worden.
Interaktionen: Es sind kaum Interaktionen dokumentiert; Celiprolol hat wohl grundsätzlich das gleiche Interaktionspotential wie andere Betablocker. Es beeinträchtigt aber die bronchodilatatorische Wirkung von Betamimetika wie Salbutamol (Ventolin®) u.ä. nicht.
Dosierung, Verabreichung, Kosten
Celiprolol (Selectol®) ist als Tabletten zu 200 mg erhältlich; das Medikament ist kassenzulässig. Es soll einmal täglich in einer Dosis von 200 mg (eventuell 400 mg) eingenommen werden. In Anbetracht des Wirkungsverlustes bei Einnahme mit dem Essen soll Celiprolol in genügender Distanz zu den Mahlzeiten (1 Stunde vorher oder 2 Stunden nachher) eingenommen werden. Bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz wird die Halbierung der Dosis empfohlen. Die Gefahrlosigkeit von Celiprolol in der Schwangerschaft und Stillzeit ist nicht gesichert. Eine Tagesdosis von 200 mg Celiprolol kostet Fr. 1.50. Vergleichssubstanzen wie Atenolol (50 mg: Fr. 1.05) oder Propranolol (Inderal® retard 160 mg: Fr. 1.15) sind billiger.
Kommentar
Celiprolol ist ein Betablocker, der auf den ersten Blick sehr attraktiv erscheint. Eine genauere Analyse der Daten lässt aber einige Zweifel aufkommen. Noch ist es meines Erachtens nicht überzeugend nachgewiesen, dass Celiprolol bei Hypertonie und Angina pectoris der Vergleichssubstanz Atenolol ebenbürtig ist. Dass fast jede klinische Studie (mit leichten Variationen) zwei- oder gar dreimal publiziert worden ist, macht die Sache auch nicht besser. Besonders ist auf die ungewöhnlichen kinetischen Eigenschaften von Celiprolol zu achten: Während andere Betablocker ohne weiteres mit oder nach dem Essen eingenommen werden können, dürfte der bei Celiprolol notwendige Abstand zum Essen erhebliche Complianceprobleme verursachen. Celiprolol führt kaum je zu Bronchospasmen; dies trifft aber generell auch für alle Antihypertensiva zu, die nicht zur Gruppe der Betablocker gehören.
Literatur
- 1) J.G. Riddell et al.: Drugs 34: 438, 1987
- 2) A.I. van Zyl et al.: Chest 95: 209, 1989
- 3) F.S. Caruso et al.: Br. J. Clin. Pract. 39: Suppl. 40, 12, 1985
- 4) P. Capone & R. Mayol: Br. J. Clin. Pract. 39: Suppl. 40, 65, 1985
- 5) G. Parati et al.: Am. J. Cardiol. 61: 27C, 1988
- 6) K. Stumpe et al.: Br. J. Clin. Pract. 39: Suppl. 40, 73, 1985
- 7) G.T. McInnes et al.: Am. Heart J. 116: 1437, 1988
- 8) S. Ghiringhelli et al.: J. Int. Med. Res. 16: Suppl. 1, 73A, 1988
- 9) W.E. Harston et al.: Br. J. Clin. Pract. 39: Suppl. 40, 55, 1985
- 10) J.E. Soberman & W.H. Frishman: Am. Heart J. 116: 1422, 1988
- 11) A.R. Lucarini & A. Salvetti: Am. J. Cardiol. 61: 45C, 1988
- 12) A.M. Clauzel et al.: J. Int. Med. Res. 16: Suppl. 1, 27A, 1988
- 13) J.M. Herrmann et al.: J. Int. Med. Res. 16: Suppl. 1, 39A, 1988
- 14) C.M. Busst & A. Bush: Br. J. Clin. Pharmacol. 27: 405, 1989
- 15) W. Hoffmann & H. Hoffmann: J. Cardiovasc. Pharmacol. 8: Suppl. 4, S88, 1986
- 16) J.M. Herrmann et al.: Münch. Med. Wochenschr. 130: 735, 1988
Standpunkte und Meinungen
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