Buspiron
- Autor(en): Urspeter Masche
- pharma-kritik-Jahrgang 11
, Nummer 02, PK677
Redaktionsschluss: 28. Januar 1989 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Synopsis
Buspiron (Buspar®) wird zur Behandlung von Angstzuständen und damit verbundenen somatischen Beschwerden empfohlen.
Chemie/Pharmakologie
Buspiron gehört zu einer neuen Gruppe von Anxiolytika, den Azaspirodecanedionen, die sich strukturell von den Benzodiazepinen unterscheiden. Die Wirkungsweise ist noch nicht völlig geklärt. Buspiron bindet sich wahrscheinlich im zentralen Nervensystem an serotoninerge, dopaminerge und noradrenerge Rezeptoren; der Stoffwechsel des Neurotransmitters γ-Aminobuttersäure (GABA) wird weniger beeinflusst. Buspiron wirkt wie die Benzodiazepine anxiolytisch, besitzt jedoch keine bedeutenden antikonvulsiven, muskelrelaxierenden oder sedativ-hypnotischen Eigenschaften und wird deshalb auch als "anxioselektive" Substanz bezeichnet. (1) Nach einer kleinen Studie soll Buspiron auch neuroendokrine Wirkungen haben, indem es den Wachstumshormon- und Prolaktin-Spiegel erhöht,(2) was sich aber in einer anderen Studie nicht bestätigte.(3) Bei 12 Personen wurde gezeigt, dass Buspiron Gleichgewichtssinn, Reaktionsvermögen und Augenmotorik kaum beeinflusst und die Wirkung von Alkohol (1 g/kg) nicht nennenswert verstärkt.(4)
Pharmakokinetik
Mit den verfügbaren Analysemethoden können nur rund 25% einer verabreichten Buspiron-Dosis und einige der Metaboliten im Plasma erfasst werden;(1) die restlichen Metaboliten sind nicht identifiziert. Die pharmakokinetischen Daten sind deshalb einstweilen mit einer gewissen Unsicherheit behaftet. Insbesondere bleibt die Rolle möglicher aktiver Metaboliten offen.
Etwa 1 Stunde nach einer oralen Buspiron-Dosis werden maximale Plasmakonzentrationen erreicht. Bei der ersten Leberpassage wird der Hauptteil der Substanz metabolisiert; die biologische Verfügbarkeit beträgt nur 4%. Gleichzeitig eingenommene Nahrungsmittel können den hepatischen Abbau von Buspiron hemmen und damit die biologische Verfügbarkeit erhöhen. Diverse Studien lieferten recht unterschiedliche mittlere Plasmahalbwertszeiten (zwischen 2 und 11 Stunden)(5). Die Halbwertszeit eines pharmakologisch schwach aktiven Metaboliten beträgt 6 Stunden. Im Urin findet sich praktisch kein unverändertes Buspiron. Bei eingeschränkter Leberfunktion wird zu einer Dosisreduktion geraten.(1) Gemäss einer kürzlich veröffentlichten Studie ist bei Niereninsuffizienz eine Korrektur erst im dialysepflichtigen Stadium nötig.(6)
Klinische Studien
Buspiron ist in mehreren Doppelblindstudien, die alle vier Wochen dauerten und insgesamt über 1’000 Patienten umfassten, Benzodiazepinen gegenübergestellt worden; für den Vergleich wurde in der Regel das Ergebnis bei Studienende berücksichtigt. 56 Patienten, alle mit dem Leitsymptom Angst, erhielten entweder Buspiron (im Mittel 19,6 mg / Tag), Diazepam (z.B. Valium®, im Mittel 18,7 mg/Tag) oder Placebo. Der Zustand der Patienten wurde wöchentlich mit verschiedenen Skalen («Hamilton Anxiety Scale», «Hamilton Depression Scale» u.a.) bewertet. Zwischen Buspiron und Diazepam fand man keinen Unterschied, und beide Mittel wirkten nach Ablauf der vier Wochen deutlich besser als Placebo.(7) In einer anderen Studie, die 82 Patienten mit Angstsymptomen zählte, zeigten Buspiron (durchschnittlich 16,0 mg/Tag) und Diazepam (durchschnittlich 16,5 mg/Tag) ebenfalls einen gleichwertigen Effekt, ausser dass mit Diazepam somatische Symptome stärker vermindert wurden.(8) In einem doppelblindem Vergleich mit Alprazolam (Xanax®) und Lorazepam (Temesta®) reduzierte Buspiron die Angstsymptome ebenfalls in gleichem Umfang wie die beiden Benzodiazepine.(9)
Zwei Doppelblindstudien, in denen der Therapieerfolg wöchentlich beurteilt wurde, zeigten in den ersten zwei Behandlungswochen eine zum Teil signifikant bessere anxiolytische Wirkung von Diazepam. (10,11)
Buspiron scheint bei Personen, die regelmässig Benzodiazepine verwendet und sich an diese Substanzen gewöhnt haben, eine ungeeignete Alternative zu sein: In einer gekreuzten placebokontrollierten Doppelblindstudie mit 24 Patienten - fast alle hatten früher bereits Benzodiazepine oder Betablocker eingenommen -ergab sich mit Diazepam ein signifikant stärkerer anxiolytischer Effekt als mit Buspiron, das kaum besser wirkte als Placebo.(12) Buspiron vermag vor allem die Benzodiazepin-Entzugssymptome nicht zu unterdrücken.(13,14)
Erfahrungen mit Patienten, die Buspiron über längere Zeit bekommen haben, sind erst in offenen Studien gewonnen worden. 700 Patienten mit Angstsymptomen wurden in eine Multizenterstudie aufgenommen, die ein Jahr dauern sollte. Zwar bewirkte Buspiron bei vielen Patienten eine signifikante Zustandsverbesserung, doch nach drei Monaten umfasste die Studie nur noch 349 Patienten (50% der ursprünglichen Patientenzahl) und nach zwölf Monaten 106 Patienten (15%). Bei den restlichen wurde Buspiron abgesetzt, weil es ungenügend gewirkt hatte oder nicht vertragen worden war. (15)
Unerwünschte Wirkungen
Unter Buspiron wurden Nervosität und Aufgeregtheit, Durchfall, Parästhesien, Schwindel sowie Kopfschmerzen beobachtet.(16) Im Vergleich zu Benzodiazepinen ist die Gesamtrate unerwünschter Wirkungen unter Buspiron geringer (nicht signifikant); bei Buspiron muss man mit weniger zentralnervösen, dagegen mit mehr gastrointestinalen Nebenwirkungen rechnen. Bei einer Frau trat unter Buspiron ein Myoklonus auf;(17) zwei Fälle von extrapyramidalen Nebenwirkungen (Akathisie und orale Dyskinesie) sind beschrieben worden.(18,19) Einige Patienten, die zusätzlich Alprazolam einnahmen, beklagten sich über Agitiertheit, Unruhezustände und Gedankenjagen.(20,21)
Das Abhängigkeitspotential von Buspiron wird aufgrund einer Vergleichsstudie mit Diazepam, die bei Alkoholikern durchgeführt wurde, als wesentlich geringer als dasjenige der Benzodiazepine eingeschätzt.(22)
Dosierung, Verabreichung, Kosten
Buspiron (Buspar®) ist bislang nicht kassenzulässig; es wird als Tabletten zu 5 und 10 mg angeboten. Die durchschnittliche Tagesdosis beträgt 15 bis 30 mg und kann nach Angaben der Firma bis auf 60 mg gesteigert werden. Schwangerschaft und Stillperiode gelten als relative Kontraindikationen, bei Kindern ist Buspiron noch nicht geprüft worden. Mit einer Dosis von 15 mg/Tag beträgt der Preis für Buspiron Fr. 108.- pro Monat. Buspiron ist somit erheblich teurer als Benzodiazepine: Diazepam(15 mg/Tag) kostet monatlich Fr. 13.95 (Paceum®) bis Fr. 23.70 (Valium®), Alprazolam (Xanax®, 1,5 mg/Tag) Fr. 25.90 und Lorazepam (Temesta®, 3 mg/Tag) Fr. 31.70.
Kommentar
Mit Buspiron steht eine neuartige Substanz zur Verfügung, deren anxiolytische Wirkung - zumindest bei einer mehrere Wochen dauernden Therapie - mit derjenigen der Benzodazepine vergleichbar ist und die gegenüber den Benzodiazepinen einige mögliche Vorteile aufweist. Andererseits werden Benzodiazepine zum Teil gerade wegen ihrer «Nebenwirkungen (z.B. wegen der rasch einsetzenden Sedation) geschätzt. Ob die unerwünschten Wirkungen (speziell das Suchtpotential) von Buspiron wirklich so gering sind, wie es heute scheint, wird die weitere Erfahrung zeigen. Nach vorläufigem Ermessen kommt Buspiron nur für Patienten in Frage, die noch nicht über längere Zeit mit Benzodiazepinen behandelt worden sind oder bei denen Benzodiazepine wegen einer Suchtproblematik ausser Betracht fallen. Weil zudem der Effekt von Buspiron langsam einsetzt, ist es bei Patienten, die einer schnell wirksamen medikamentösen Hilfe bedürfen, unbrauchbar.
Literatur
- 1) M.W. Jann: Pharmacotherapy 8: 100, 1988
- 2) H.Y. Meltzer et at.: Arch. Gen. Psychiatry 40: 1099, 1983
- 3) J.B. Cohn et al.: Am. J. Med. 80 (Suppt. 3B): 36, 1986
- 4) T. Seppälä et at.: Clin. Pharmacol. Ther. 32: 201, 1982
- 5) R.E. Gammans et at.: Am. J. Med. 80 (Suppt. 3B): 41, 1986
- 6) S. Caccia et al.: Clin. Pharmacokinet. 14: 171, 1988
- 7) H.L.Goldberg und R.J.Finnerty: Am. J. Psychiat ry 136: 1184, 1979
- 8) L.F. Fabre: Curr. Ther. Res. 41: 751, 1987
- 9) J.B. Cohn und C.S. Wilcox: J. Clin. Psychiatry 17: 409, 1986
- 10) A.F. Jacobson et at.: Pharmacotherapy 5: 290, 1985
- 11) J.C. Pecknold et al.: Prog. Neuropsychopharmacol. Biol. Psychiatry 9: 639, 1985
- 12) D. Olajide und M. Lader: J. Clin. Psychopharmacol. 7: 148, 1987
- 13) M. Lader und D. Olajide: J. Clin. Psychopharmacol. 7: 11, 1987
- 14) E. Schweizer et al.: N. Engl. J. Med. .314: 719, 1986
- 15) J.P. Feighner: J. Clin. Psychiatry 46 (12, Suppl.): 3, 1987
- 16) R.E. Newton et at.: Am. J. Med. 80 (Suppl. 3B): 17. 1986
- 17) E.C. Ritchie et at.: J. Clin. Psychiatry 49: 242, 1988
- 18) J.F. Patterson: J. Clin. Psychopharamcol. 8: 296, 1988
- 19) A. Strauss: J. Clin. Psychiatry 49: 322, 1988
- 20) N.E. Liegghio et at.: J. Clin. Psychiatry 49: 165, 1988
- 21) N.E. Liegghio und V.K. Yeragani: J. Clin. Psychopharmacol. 8: 226,1988
- 22) J.D. Griffith et at.: Am. J. Med 80 (Suppl. 3B): 30, 1986
Standpunkte und Meinungen
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