Behandlung von Migräneanfällen
- Autor(en): Etzel Gysling
- pharma-kritik-Jahrgang 32
, Nummer 10, PK798
Redaktionsschluss: 22. Februar 2011
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2010.798 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Wir haben in unserer Zeitschrift bereits zweimal über die Behandlung von Migräneanfällen berichtet, das letzte Mal vor rund 12 Jahren.(1) Seit dieser letzten Übersicht sind weitere Triptane eingeführt worden, die wir jeweils einzeln vorgestellt haben. Sumatriptan (Triptan-Markennamen: siehe Tabelle 1) ist in unserem Buch über «100 wichtige Medikamente» vertreten. Die neueste Ausgabe (Februar 2011) der «Treatment Guidelines from the Medical Letter» ist der Migränebehandlung gewidmet;(2) in die folgende Zusammenfassung der in dieser Arbeit enthaltenen Ausführungen zum akuten Migräneanfall sind Ergänzungen und Kommentare aus Schweizer Sicht eingewoben.
Schmerzmittel
Leichte bis mittelschwere Migräneanfälle können mit gewöhnlichen Schmerzmitteln behandelt werden. Sowohl Paracetamol wie auch Acetylsalicylsäure haben sich in der Migränebehandlung wirksam gezeigt. Während in den USA verschiedene «Migräne-spezifische» Kombinationspräparate mit einem dieser Mittel erhältlich sind, finden sich in der Schweiz nur gerade zwei solcher Kombinationen. Die eine ist Migpriv®, ein lösliches Pulver, das Lysin-Acetylsalicylat (entsprechend z.B. Aspégic®) und Metoclopramid (Paspertin®, Primpéran®) enthält. Die andere heisst Migräne-Kranit® und enthält neben Paracetamol (Dafalgan® u.a.) Coffein und Chlorphenamin, ein Antihistaminikum, das in der Schweiz nur noch in Kombinationspräparaten vorkommt.
Barbiturat-haltige Kombinationen, wie sie offenbar in den USA noch verfügbar sind, wurden in der Schweiz schon vor einigen Jahren verboten. Ob allerdings das erwähnte Antihistaminikum (Chlorphenamin) eine sinnvolle Komponente eines Migränemittels darstellt, erscheint fraglich.
Auch nicht-steroidale Entzündungshemmer werden zur Behandlung von Migräneanfällen empfohlen, in den USA in erster Linie Ibuprofen (Brufen® u.a.) und Naproxen (Proxen® u.a.). In der Schweiz werden ebenfalls spezifisch Migräne-Kopfschmerzen in der Fachinformation zu Ibuprofen sowie auch zu Diclofenac (Voltaren®) erwähnt. Die sogen. Voltaren®-Migräne-Dragées (Diclofenac-Kalium) sind allerdings vom Schweizer Markt verschwunden; die identischen Voltaren®-Rapid-Dragées sind weiterhin erhältlich.
Dass eine Paracetamol-Tramadol-Kombination (in der Schweiz: Zaldiar®) bei Migräneanfällen wirksamer als ein Placebo ist,(3) erscheint plausibel. Es handelt sich jedoch weder um eine offiziell zugelassene noch um eine sinnvolle Indikation, besonders da mit dieser Kombination der Migräne-assoziierte Brechreiz noch verstärkt werden kann.
Metoclopramid
Dank seiner Wirkung auf die Magenmotilität kann sich Metoclopramid auf die Resorption von Schmerzmitteln vorteilhaft auswirken. Zudem kann dieses Medikament auch der Übelkeit und dem Erbrechen bei Migräneanfällen vorbeugen, wenn es frühzeitig nach dem Auftreten von Migränesymptomen eingenommen wird.
Triptane
Allgemein kann festgestellt werden, dass die Anwendung von Triptanen erfolgreicher ist, wenn sich die Migränesymptome noch nicht voll entwickelt haben.
Sumatriptan, der Prototyp der Triptane, ist in mehr galenischen Formen erhältlich als andere Triptane. Das Medikament kann subkutan injiziert werden und oral, rektal oder via Nasalspray verabreicht werden. Mit der subkutanen Injektion wird bei etwa 80% der Behandelten innerhalb von zwei Stunden eine Schmerzlinderung erreicht. Die anderen Verabreichungsmodi sind nicht so erfolgreich; in derselben Zeit erreichen damit 50 bis 60% der Patientinnen und Patienten eine Besserung.
Gross sind die Unterschiede zwischen den verschiedenen Triptanen nicht; Angaben zur Wirkungskinetik – wie auch zu den Markennamen und zu der Dosierung – der verschiedenen Medikamente finden sich in der Tabelle 1. Der Wirkungseintritt von Frovatriptan und Naratriptan erfolgt gegenüber den anderen Triptanen verzögert; dagegen hält die Wirkung dieser beiden Triptane möglicherweise etwas länger an.
Zwischen 20 und 40% der Personen mit einer mittelschweren bis schweren Migräne erleiden innerhalb von 24 Stunden nach einer Triptanbehandlung einen Rückfall, der mit einer zweiten Triptan-Dosis behandelt werden kann.
Unerwünschte Wirkungen der Triptane
Alle Triptane können zu Hitzewallungen, Schwindel und Thoraxdruck führen. Subkutan verabreichtes Sumatriptan verursacht lokal oft ein Brennen. Müdigkeit und Schwächegefühl können Migräne- oder Arzneimittel-bedingt sein. In seltenen Fällen ist es nach einer Triptan-Anwendung zu koronaren oder zerebrovaskulären Durchblutungsstörungen – im Extremfall zum Tode – gekommen; bei einer entsprechenden Anamnese sind diese Medikamente kontraindiziert. Dass auch die Triptane Ursache von Kopfschmerzen infolge übermässigen Medikamentenkonsums («medication overuse headache») sein können,(4) wird in der vorliegenden Übersicht erstaunlicherweise nicht erwähnt.
Interaktionen der Triptane
Um eine additive Vasokonstriktion zu vermeiden, soll innerhalb von 24 Stunden nach der Anwendung weder ein anderes Triptan noch ein Ergotamin-Derivat eingenommen werden. Da Rizatriptan, Sumatriptan und Zolmitriptan via MAO-A metabolisiert werden, sollen sie nicht mit dem MAO-A-Hemmer Moclobemid (Aurorix® u.a.) kombiniert werden. Propranolol (Inderal®) kann zum Anstieg der Plasmaspiegel von Eletriptan, Rizatriptan und Zolmitriptan führen; bei gleichzeitiger Verabreichung muss insbesondere die Dosis von Rizatriptan reduziert werden. CYP3A4-Hemmer (Beispiel: Clarithromycin = Klacid® u.a.) können einen starken Anstieg der Eletriptan-Spiegel verursachen. Selten hat die gleichzeitige Verabreichung von Triptanen und selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern zu einem Serotonin-Syndrom geführt.
Ergotamin-Derivate
Die Bedeutung der Ergotamin-Derivate in der Migränebehandlung ist stark zurückgegangen; so ist z.B. eine oral verabreichte Ergotamin-Coffein-Kombination (Cafergot®) weniger wirksam als Almotriptan.(5) Dihydroergotamin-Mesylat (Dihydergot®), das besser verträgliche Ergotamin-Derivat, ist in der Schweiz noch als Tabletten, Tropfen und Nasalspray erhältlich. Der Nasalspray kann offenbar gelegentlich wirksam sein, wenn die Triptane versagen.
Ergotamin-Derivate können Übelkeit und Erbrechen verursachen. Gefährlichere Nebenwirkungen (koronare und andere Gefässverschlüsse) sind selten; gemäss einer grossen Fall-Kontroll-Studie ist jedoch ein übermässiger Konsum dieser Medikamente mit einem höheren Risiko ischämischer Komplikationen verbunden als eine zu häufige Triptan-Anwendung.(6)
Literatur
- 1) Spanaus K. pharma-kritik 1998; 20: 45-8
- 2) Anon. Treat Guidel Med Lett 2011; 9: 7-12
- 3) Silberstein SD et al. Headache 2005; 45: 1317-27
- 4) Evers S, Marziniak M. Lancet Neurol 2010; 9: 391-401
- 5) Láinez MJ et al. Eur J Neurol 2007; 14: 269-75
- 6) Wammes-van der Heijden EA et al. Neurology 2006; 67: 1128-34
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