Statin-induzierte Probleme
- Autor(en): Etzel Gysling
- pharma-kritik-Jahrgang 33
, Nummer 10, PK868
Redaktionsschluss: 19. April 2012
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2011.868 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Statine (HMG-CoA-Reduktasehemmer) werden heute sehr häufig verschrieben; ihre Wirksamkeit bei verschiedenen Formen einer Hyperlipidämie kann als sehr gut dokumentiert bezeichnet werden. Im Vergleich mit den Daten aus den klinischen Studien sind jedoch im Praxisalltag häufiger unerwünschte Wirkungen zu beobachten; wir haben schon wiederholt darüber berichtet.(1,2) Im Folgenden werden Texte zusammengefasst, in denen über den aktuellen Wissensstand zu zwei bedeutsameren Nebenwirkungen berichtet wird.
Myopathie
In einer Übersichtsarbeit, die Mitte 2011 veröffentlicht wurde, finden sich die wichtigsten Punkte zu den Statin-induzierten Muskelproblemen.(3) Dabei wird zwischen Myalgie, Myositis und Rhabdomyolyse unterschieden (Definitionen siehe Tabelle 1). Die Häufigkeit einer Myopathie unter Statinen liegt gemäss verschiedenen Studien zwischen 9 und 20%.
Die Ursachen der Statin-induzierten Myopathie sind nicht völlig klar. Oft sind Personen betroffen, die verschiedene – meistens an sich geringfügige – metabolische Abnormitäten aufweisen. In diesen Fällen kann die Myopathie durch eine beliebige Intervention ausgelöst werden, die zu einer reduzierten Fettzufuhr zum Muskel führt.
Die muskuläre Toxizität der Statine ist in der Regel dosisabhängig, steht aber nicht in einer eindeutigen Relation zum Ausmass der LDL-Cholesterin-Senkung. Es gibt nicht viele Studien, in denen verschiedene Statine direkt miteinander verglichen wurden. Nach älteren Studien sollen Fluvastatin (Lescol® u.a.) und Pravastatin (Selipran® u.a.), nach neueren auch Rosuvastatin (Crestor®) vergleichsweise seltener Muskelprobleme verursachen. (Über die Risikofaktoren für eine Statin-Myopathie haben wir in einem früheren Text berichtet.)(1)
Die Autoren der vorliegenden Arbeit verfügen über Erfahrungen aus einer speziellen «Statin Myopathy Clinic». Sie haben festgestellt, dass die meisten Personen, die unter Statinen Muskelschmerzen oder eine Muskelschwäche entwickeln, keine erhöhten Kreatinkinase-Spiegel haben. Da die Muskelsymptome nicht selten innerhalb von 2 Wochen nach dem Beginn der Therapie verschwinden, soll bei Personen mit normalen Kreatinkinase-Werten initial versucht werden, die Behandlung weiterzuführen.
Die Muskelbeschwerden werden meistens als Schweregefühl, Steifigkeit oder Krämpfe beschrieben, seltener als Muskelschwäche. Intensivere muskuläre Aktivität kann ein auslösender Faktor sein, wie auch allgemein körperlich aktive Personen häufiger über eine Statin-Myopathie klagen als Personen mit sitzender Tätigkeit. Nicht zu vergessen ist auch, dass Statine ein vorbestehendes muskuläres Problem aufdecken oder verstärken können.
Bei der Untersuchung ist zu beachten, muskuläre Symptome (Atrophie, reduzierte Muskelkraft) von anderen Erkrankungen des Bewegungsapparates zu unterscheiden. Mittels einer quantitativen Dynamometrie (Hand- und Hüftmuskulatur) lassen sich allfällige Veränderungen der Muskelkraft dokumentieren. Drei Laboruntersuchungen werden als obligat angesehen: Kreatinkinase, 25-Hydroxy-Colecalciferol, TSH.
Bei den möglichen Massnahmen gilt es, individuell den Nutzen der lipidsenkenden Therapie gegen das Ausmass der muskulären Problematik abzuwägen. Zunächst soll aber der Zusammenhang zwischen Muskelbeschwerden und Statin überprüft werden. Verschwinden die Beschwerden innerhalb von zwei Wochen nach Absetzen des Statins und treten sie innerhalb von 2 Wochen nach erneuter Gabe (allenfalls eines anderen Statins) wieder auf, so muss angenommen werden, dass sie mit der Medikation zusammenhängen. In diesen Fällen ist eine längere Therapiepause («6-Wochen-Statin-Ferien») indiziert, während der eventuell zusätzlich Coenzym-Q10 oder ein Fischölpräparat verabreicht werden kann. (Diese beiden Mittel verfügen zwar nicht über einen überzeugenden Wirksamkeitsnachweis, sind jedoch als gut verträglich anzusehen.) Wenn die Beschwerden nach 6 Wochen nicht eindeutig verschwunden sind und sofern nicht eine bedrohliche koronare Problematik vorliegt, kann die Therapiepause nochmals um 6 Wochen verlängert werden. Bestehen nachher die Beschwerden weiterhin, so ist eine genauere Suche nach einer neurologischen Erkrankung indiziert.
Verschwinden die Beschwerden aber, so sollte bei Personen mit einer koronaren oder anderen vaskulären Erkrankung nochmals nach einem verträglichen Statin gesucht werden. Fluvastatin und Pravastatin, bereits oben erwähnt, können versucht werden. Eine nur ein- bis dreimal wöchentlich verabreichte Rosuvastatin-Dosis kann zu einer guten Cholesterinsenkung führen; die Auswirkung auf klinische Endpunkte ist für diese Dosierung jedoch nicht dokumentiert. Muss definitiv auf eine Statin-Unverträglichkeit geschlossen werden, so bleibt Colestyramin (Quantalan® u.a.) eine mögliche Option. Dabei lassen sich jedoch nicht immer ideale Lipidwerte erreichen.
Typ-2-Diabetes
Schon 2010 haben wir über eine Meta-Analyse berichtet, wonach die Behandlung mit Statinen mit einem etwas erhöhten Risiko verbunden ist, dass ein Typ-2-Diabetes manifest wird.(4) Nun sind zwei weitere Arbeiten publiziert worden, die das bisherige Wissen bestätigen und vertiefen.
Gemäss einer neuen Meta-Analyse, in der fünf Studien mit über 32'000 Teilnehmenden berücksichtigt sind, geht eine Statin-Behandlung mit hochwirksamen Dosen mit einem höheren Diabetes-Risiko einher als eine solche mit moderaten Dosen. Auf 1000 Personenjahre gerechnet, treten mit intensiver Therapie zwei (2) Diabetesfälle mehr auf als mit moderater Therapie. Anderseits wurden in den intensiv behandelten Gruppen gesamthaft 6,5 kardiovaskuläre Ereignisse weniger beobachtet als in den moderat behandelten Gruppen. Aus diesen Zahlen lässt sich – trotz der erhöhten Diabetes-Inzidenz – ein höherer Nutzen der intensiven Therapie ablesen: 155 Personen müssen intensiver behandelt werden, um ein kardiovaskuläres Ereignis mehr als mit der moderaten Statindosis zu verhüten. Dagegen müssen 498 Personen intensiv behandelt werden, damit im Vergleich mit der moderaten Therapie ein zusätzlicher Diabetesfall auftritt («Number Needed to Harm»).(5)
Die zweite Arbeit berichtet über Resultate aus der «Women's Health Initiative»-Studie, in der eine Statin-Behandlung initial und nach drei Jahren erfasst wurde. Berücksichtigt wurden die Daten von 153'840 Frauen, die zu Studienbeginn keinen Diabetes hatten. Frauen, die zu diesem Zeitpunkt Statine einnahmen, hatten ein signifikant erhöhtes Risiko, an einem Typ-2-Diabetes zu erkranken: die entsprechende «Hazard Ratio» betrug 1,71 (95%-Vertrauensintervall 1,61-1,83). Dieser Zusammenhang liess auch noch zeigen, wenn verschiedene beeinflussende Faktoren mitberücksichtigt wurden. Es fanden sich keine nennenswerten Unterschiede zwischen verschiedenen Statinen.(6)
Kommentar
Bei Personen, die lediglich mässig erhöhte Lipidwerte, aber keine fassbare kardiovaskuläre Erkrankung aufweisen, lässt sich durchaus in Frage stellen, ob wir auf einer Statin-Therapie insistieren sollen, wenn unangenehme muskuläre Symptome auftreten. Etwas schwieriger wird es, wenn sowohl ein hohes kardiovaskuläres Risiko als auch eine Statin-Myopathie vorhanden sind; hier halte ich die oben zusammengefassten Empfehlungen für nützlich.
Was das erhöhte Diabetes-Risiko anbelangt, wird immer wieder betont, dass der Statin-Nutzen weit über dem entsprechenden möglichen Schaden liege. Hier muss man sich aber bewusst sein, dass die vergleichsweise kleine «Number Needed to Treat» (bezüglich des kardiovaskulären Nutzens) in der erwähnten Meta-Analyse ausschliesslich auf Daten beruht, die bei Personen mit einer klinisch manifesten koronaren Herzkrankheit gewonnen wurden.(5) Damit ist für mich noch nicht gesichert, dass der Nutzen auch bei Personen mit geringerem kardiovaskulärem Risiko wirklich so viel höher ist als das Diabetes-Risiko. Eine genauere Klärung wäre wünschenswert.
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