TNF-alpha-Hemmer bei Morbus Crohn
- Autor(en): Niklaus Löffel
- pharma-kritik-Jahrgang 36
, PK931, Online-Artikel
Redaktionsschluss: 27. Juni 2014
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2014.931
Mini-Update
Schon in der pharma-kritik-Übersicht, die vor rund 10 Jahren publiziert wurde, wurde Infliximab (Remicade®), ein Hemmer des Tumor-Nekrose-Faktors alpha (TNF-alpha-Hemmer), als mögliche Behandlung des Morbus Crohn besprochen.(1) Seither sind weitere TNF-alpha-Hemmer für diese Indikation zugelassen worden. In der Zeitschrift «The Medical Letter» vom 23. Dezember 2013 wurde die aktuelle Bedeutung dieser Medikamente genauer besprochen.(2) Hier folgt die Zusammenfassung des Textes.
Neben Infliximab (Remicade®) sind heute auch Adalimumab (Humira®) und Certolizumab-Pegol (Cimzia®) bei Morbus Crohn dokumentiert.(3) Für alle drei Substanzen wurde nachgewiesen, dass sie für die Behandlung einer mässig bis ausgeprägt aktiven Crohn‘schen Krankheit wirksam sind. Sie können bei Kranken, die nur ungenügend auf eine konventionelle Therapie ansprechen, eine Remission herbeiführen und die symptomfreie Zeit nach eingetretener Remission signifikant verlängern. Alle drei sind sowohl von der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA als auch von Swissmedic für diese Indikation für Erwachsene zugelassen, Infliximab zusätzlich für Kinder ab sechs Jahren. Als unerwünschte Wirkungen sind gehäufte Infektionen (oft virale Infekte mit relativ guter Prognose, aber auch Septikämie, Reaktivierung einer Tuberkulose usw.) und selten maligne Lymphome besonders zu erwähnen. Zudem sind die sehr hohen Kosten einer solchen Behandlung zu berücksichtigen (siehe Tabelle).Klinische Anwendung
Ausser bei Crohn-Kranken, die auf eine konventionelle Behandlung ungenügend ansprechen, wurden TNF-alpha-Hemmer «off-label» auch zur Induktionstherapie, zur Reduktion der Abhängigkeit von Kortikosteroiden oder nach einer chirurgischen Therapie zur Rückfallprophylaxe erfolgreich eingesetzt. Eine Kombination mit Immunmodulatoren wie Azathioprin (z.B. Imurek®) oder 6-Mercaptopurin (Puri-Nethol®) kann wirksamer als die Monotherapie mit einer dieser beiden Substanzklassen oder mit TNF-alpha-Hemmern allein sein und kann möglicherweise die Entwicklung von Antikörpern gegen die TNF-alpha-Hemmer verhindern oder verzögern.(4)
Wahl des Medikaments
Die drei TNF-alpha-Hemmer unterscheiden sich voneinander. Infliximab ist ein gemischter human-muriner monoklonaler Antikörper, Adalimumab ein rein humaner monoklonaler Antikörper und Certolizumab-Pegol ist das pegylierte Fab-Fragment eines humanisierten Anti-TNF-Antikörpers. Ob dieser Unterschied klinisch relevant ist, ist unbekannt. Alle drei sind bei mittelschwerer bis schwerer Erkrankung wirksam, sie wurden aber nie direkt miteinander verglichen. Die grösste Erfahrung hat man mit Infliximab. Adalimumab und Certolizumab-Pegol waren beide wirksam bei Patientinnen und Patienten, die Infliximab nicht vertragen hatten, oder deren Krankheit auf Infliximab refraktär war. Generell ist jedoch die Ansprechrate auf einen zweiten TNF-alpha-Hemmer geringer als auf eine Erstbehandlung.
Behandlungsdauer
Wie lange die Behandlung von Personen, die sich in einer Remission befinden, fortgesetzt werden soll, ist nicht klar. Die Daten sind für eine verbindliche Empfehlung ungenügend. Aber aufgrund eines Positionspapiers einer internationalen Gruppe von Gastroenterologen soll eine relevante Anzahl von Kranken, die sich über ein Jahr lang in einer Remission mit abgeheilter Darmmukosa und einem normalen CRP befinden, im Jahr nach dem Behandlungsstopp in Remission bleiben.(5) Andere Fachleute erachteten es als angemessen, eine Anti-TNF-alpha-Behandlung zwei Jahre nach klinischer und endoskopischer Remission oder vier Jahre nach klinischer Remission zu stoppen. Eine Kombinationsbehandlung mit einem TNF-alpha-Hemmer und einem Immunmodulator (siehe oben) sollte zwei Jahre nach klinischer und/oder endoskopischer Remission beendet werden können.(6)
Rückfälle und Rezidivbehandlung
In einer Studie bei 115 Crohn-Kranken, die mehr als ein Jahr lang mit Infliximab und einem Immunmodulator behandelt worden waren und sich für mindestens sechs Monate ohne Kortikosteroide in einer Remission befanden, betrug die Rezidivrate ein Jahr nach Absetzen von Infliximab 44%. Bei denjenigen aber, die höchstens zwei Risikofaktoren für einen Rückfall hatten (männliches Geschlecht, keine chirurgische Resektion, Leukozyten > 6,0 x 109/l, Hämoglobin ≤ 14,5 g/100 ml, CRP ≥ 5,0 mg/l, fäkales Calprotectin ≥ 300 mcg/100 ml), war die Rezidivrate nur 15%. Kranke mit einem Rezidiv wurden wieder mit Infliximab behandelt. 88% von ihnen waren vor der dritten Infliximabinfusion wieder in Remission.(7)
Schlussfolgerungen
Der Konsens nimmt zu, dass ein TNF-alpha-Hemmer – mit oder ohne Kombination mit einem Immunmodulator wie Azathioprin oder 6-Mercaptopurin – als Primärbehandlung eines mittelschweren bis schweren M. Crohn eingesetzt werden kann. Am meisten Erfahrung hat man mit Infliximab. Solange jedoch die Datenlage begrenzt und die optimale Behandlungsdauer unklar ist, scheint es angemessen, bei Patientinnen und Patienten, die zwei Jahre klinisch und endoskopisch rezidivfrei sind, ein Absetzen des TNF-Hemmers in Betracht zu ziehen.
Kommentar
Die beschriebenen drei TNF-alpha-Hemmer bilden eine willkommene Ergänzung zur Behandlung eines Morbus Crohn, der auf die herkömmliche Therapie nicht oder ungenügend anspricht. Für diese Indikation sind alle drei Medikamente in der Schweiz zugelassen und werden von den Krankenkassen nach Kostengutsprache durch den Vertrauensarzt vergütet (Limitatio in der SL), Certolizumab-Pegol (Cimzia®) allerdings nur für eine Dauer von sechs Monaten. Wegen den zum Teil schweren infektiösen und neoplastischen Nebenwirkungen und den im Vergleich zur konventionellen Behandlung hohen Kosten sollte der Therapieentscheid sorgfältig abgewogen werden. Eine «off-label»-Anwendung bei Patientinnen und Patienten mit neu diagnostiziertem M. Crohn, die im Artikel recht positiv beurteilt wird, kann in der Schweiz zurzeit ausschliesslich im Rahmen von kontrollierten Studien empfohlen werden.
Literatur
- 1) Ritzmann P. pharma-kritik 2003; 25: 65-8 (PK119)
- 2) Anon. Med Lett Drugs Ther 2013; 55: 102-3
- 3) Nielsen OH, Ainsworth MA. N Engl J Med 2013; 369: 754-6
- 4) Colombel JF et al. N Engl J Med 2010; 362: 1383-95
- 5) D’Haens GR et al. Am J Gastroenterol 2011; 106: 199-212
- 6) Pittet V et al. J Crohns Colitis 2013; 7: 820-6
- 7) Louis E et al. Gastroenterology 2012; 142: 63-7
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