Wiedereingliederung von psychisch Kranken
- k -- Trieman N, Leff J, Glover G. Outcome of long stay psychiatric patients resettled in the community: prospective cohort study. BMJ 1999 (3. Juli); 319: 13-6 [Link]
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- infomed screen Jahrgang 3 (1999)
, Nummer 7
Datum der Ausgabe: August 1999
Studienziele
In Grossbritannien bemüht man sich seit den 80er Jahren intensiv um eine gesellschaftliche Wiedereingliederung psychiatrischer Langzeitkranker. Schwere Tötungsdelikte durch psychisch Erkrankte veranlassten die Regierung aber zu einem Überdenken dieser Politik. In dieser Studie wurde die soziale und klinische Entwicklung von Personen untersucht, die ehemals langfristig in zwei grossen, heute aufgehobenen psychiatrischen Kliniken hospitalisiert waren.
Methoden
Ehemals langfristig in einer psychiatrischen Klinik hospitalisierte Personen wurden bis 5 Jahre nach ihrer Entlassung besucht und befragt. Das Einschlusskriterium war eine kontinuierliche Hospitalisation von mehr als einem Jahr. Demente Kranke wurden nicht aufgenommen. Ursprünglich genügten 770 Personen diesen Kriterien. Infolge von Spitalwechseln, Todesfällen und Neuaufnahmen ergab sich schliesslich eine Zahl von 670 Patientinnen und Patienten. Eine Befragung erfolgte bei Austritt, nach einem und nach 5 Jahren. Erhoben wurden Daten bezüglich Wiedereintritt in eine psychiatrische Klinik, Tod, Obdachlosigkeit, Kriminalität.
Ergebnisse
670 Erkrankte im Alter von 19 bis 97 Jahren (Durchschnittsalter: 54 Jahre) konnten in die Studie aufgenommen werden. Die durchschnittliche Hospitalisationsdauer betrug über 20 Jahre. 53% waren Männer, 80% waren chronisch Schizophrene. 80% der Entlassenen wechselten in ein Heim mit Betreuung. 523 der 670 Kranken konnten über 5 Jahre nachkontrolliert werden: 126 starben, 12 zogen weg, bei 9 verloren sich die Spuren, wobei in 3 Fällen Obdachlosigkeit vermutet wurde. Von den 523 Personen lebten 5 Jahre nach Entlassung 90% ausserhalb der Klinik, 60% immer noch am erstbestimmten Ort. 201 Kranke (38%) mussten mindestens einmal, 124 davon mehrmals psychiatrisch hospitalisiert werden. 18 Entlassene begingen kriminelle Taten und mussten inhaftiert oder in eine geschlossene Abteilung eingewiesen werden.
Schlussfolgerungen
Die Wiedereingliederung psychisch Erkrankter stellt für die Öffentlichkeit ein minimales Risiko dar. Die Arbeit widerspricht den diesbezüglich oft vorgebrachten Bedenken.
Man sollte sich vor einer allzu optimistischen Interpretation dieser Untersuchung hüten: Einerseits bestätigt sie zwar, dass nach wie vor auf sozialpsychiatrische Betreuungsansätze gesetzt werden darf und soll, allerdings nicht ohne stationären Hintergrund (fast 40% Rehospitalisationen). Andererseits bezieht sich die Studie auf eine doch eher selektive Population in einer vermutlich privilegierten Betreuungssituation (vgl. die mit 96% sehr hohe Follow-up-Rate); die Personen leben mehrheitlich in geschützten bzw. heimartigen Wohnsituationen. Für eine Population mit (wesentlich) jüngeren Leuten, kürzeren Hospitalisationsanamnesen oder Dualdiagnosen dürfte das Ergebnis weniger günstig ausfallen. Gerade diese Personen aber stellen in der klinischen Realität eine zunehmende Herausforderung dar.
Peter Zingg-Müller
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