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Primärprävention bei geringem kardiovaskulärem Risiko sinnvoll?
Mit Cholesterinsenker weniger kariovaskuläre Ereignisse, aber die Mortalität wird nicht beeinflusst.
- Zusammenfassung: Felix Schürch
- Kommentar: Etzel Gysling
- infomed screen Jahrgang 20 (2016)
, Nummer 4
Publikationsdatum: 26. Juli 2016 - PDF-Download dieses Artikels (automatisch generiert)
Das «New England Journal of Medicine» hat im Mai 2016 gleich drei Artikel zur kardiovaskulären Primärprävention publiziert. Es handelt sich dabei um drei verschiedene Auswertungen der «Heart Outcomes Prevention Evaluation-3»-Studie (HOPE-3), einer multizentrischen, doppelblinden Langzeitstudie, die an 228 Studienzentren in 21 Ländern und auf sechs Kontinenten durchgeführt worden war. Die Zielgruppe der Untersuchung waren Personen ohne manifeste Herzerkrankung und mit einem «mittleren» kardiovaskulären Risiko von rund 1% pro Jahr. Berücksichtigt wurden Männer ab 55 und Frauen ab 65 Jahren mit mindestens einem der folgenden Risikofaktoren: erhöhte «Waist-to-Hip Ratio», niedriges HDL-Cholesterin, leicht beeinträchtigter Zuckerstoffwechsel, Nikotinabusus, positive Familienanamnese bezüglich koronarer Herzerkrankungen oder leichte Niereninsuffizienz. Frauen ab 60 Jahren wurden ebenfalls berücksichtigt, wenn sie mindestens zwei der aufgeführten Risikofaktoren aufwiesen. Mit einem sogenannten «faktoriellen» Versuchsplan («factorial design») wurden zwei verschiedene Interventionen sowohl getrennt als auch in Kombination untersucht: Die untersuchten Personen erhielten nach dem Zufall entweder ein kombiniertes Antihypertensivum (Candesartan 16 mg/Hydrochlorothiazid 12,5 mg, Atacand plus® u.a.) plus Placebo, ein Statin (Rosuvastatin 10 mg, Crestor®) plus Placebo, beide Medikamente oder zweimal Placebo. Personen, deren Blutdruck- oder Lipidwerte so hoch waren, dass eine klare Indikation für den Einsatz eines entsprechenden Medikamentes bestand, wurden von der Studie ausgeschlossen. Ein erster Endpunkt entsprach der Kombination aus kardiovaskulärem Tod, Herzinfarkt und Hirnschlag. Für einen zweiten Endpunkt wurden zusätzlich mitberücksichtgt: Reanimation nach Herzstillstand, Herzinsuffizienz oder Notwendigkeit einer Revaskularisation.
r Lonn EM, Bosch J, López-Jaramillo P et al. Blood-pressure lowering in intermediate-risk persons without cardiovascular disease. N Engl J Med 2016 (26. Mai); 374: 2009-20
Für die erste Publikation wurde der Vergleich zwischen Personen mit und ohne Antihypertensivum ausgewertet. Von insgesamt 12'705 Teilnehmenden hatten 6'356 die Kombination Candesartan/Hydrochlorthiazid erhalten. Die Nachbeobachtungszeit betrug im Mittel 5,6 Jahre, das Durchschnittsalter 65,7 Jahre und der durchschnittliche Blutdruckwert bei Studienbeginn 138/82 mm Hg. Im Laufe der Studie wurden mit dem Antihypertensivum durchschnittlich 6/3 mm Hg niedrigere Blutdruckwerte als ohne erreicht. In Bezug auf die primären Endpunkte konnte jedoch kein Unterschied zwischen Antihypertensivum und Placebo festgestellt werden: Der erste primäre Endpunkt wurde bei 260 (4,1%) der aktiv behandelten Personen erreicht und bei 279 (4,4%) der Personen mit Placebo («Hazard Ratio» HR 0,93; 95% CI 0,79-1,10). Für den zweiten primären Endpunkt waren die Ergebnisse vergleichbar.
In der zweiten Auswertung wurden die Teilnehmenden, die ein Statin erhalten hatten mit denjenigen ohne Statin verglichen. Dass im Rahmen der HOPE-3-Studie Menschen mit ethnisch sehr gemischter Herkunft (20% Weisse, 49% Asiaten, 28% Latinos und 3% afrikanischer Herkunft) untersucht worden waren, ist insbesondere deshalb von Bedeutung, weil der Nutzen von Statinen in der Primärprävention bislang hauptsächlich bei Männern mit weisser Hautfarbe belegt werden konnte. Von den 12'705 Studienteilnehmenden (46% Frauen) hatten 6'361 Rosuvastatin erhalten. Das durchschnittliche LDL-Cholesterin bei Studienbeginn betrug 3,31 mmol/L. Mit dem Lipidsenker konnte eine Reduktion der kardiovaskulären Ereignisse erzielt werden: Nur 235 (3,7%) der Personen unter Rosuvastatin erreichten den ersten primären Endpunkt, mit Placebo waren es 304 (4,8%), dies entspricht einer HR von 0,76 (95% CI 0,64-0,91). Auch hier waren die Resultate für den zweiten primären Endpunkt vergleichbar.
Im Rahmen der letzten der drei Analysen wurden die 3'180 Personen, die sowohl das Antihypertensivum wie auch das Statin erhalten hatten, mit denjenigen verglichen, die keines von beiden erhalten hatten. Bei den Studienteilnehmenden mit Kombinationstherapie erreichten 113 (3,6%) den ersten primären Endpunkt, bei denjenigen, die zweimal Placebo erhalten hatten, waren es 157 (5,0%), was einer HR von 0,71 entsprach (95% CI 0,56- 0,90). Daraus errechnet sich eine Senkung des relativen Risikos um 29% und eine «Number Needed to Treat» von 72 über 5,6 Jahre. Die Studienverantwortlichen erachten die Kombinationsbehandlung insbesondere bei höheren Blutdruckwerten als sinnvoll, da aufgrund einer nachträglichen Subgruppen-Analyse, die Antihypertensiva-Komponente bei Personen mit höheren Blutdruckwerten mehr zum Gesamtnutzen beiträgt als bei denjenigen mit niedrigen Blutdruckwerten.
Zusammengefasst von Felix Schürch
Studien wie die vorliegende HOPE-3-Studie tragen dazu bei, dass wir mehr und mehr in einer «medikalisierten» Welt leben. Mit der Kombination verschiedener Ereignisse zu einem einzigen Endpunkt gelingt es, durch Verabreichung von Arzneimitteln mit bekannter Wirksamkeit auch in Populationen mit geringem Krankheitsrisiko statistisch signifikante Resultate zu erreichen. So werden die Guidelines der entsprechenden (gesponserten) Fachgremien gestützt, die einen extensiven Medikamenten-Einsatz befürworten. Dabei ist häufig nicht klar, ob der «signifikante» Unterschied auch einem klinisch bedeutsamen Nutzen entspricht. Jedenfalls konnte in HOPE-3 nur für den kombinierten Endpunkt bei denjenigen Teilnehmenden, die ein Statin erhielten, ein Vorteil gezeigt werden. Dagegen wurde in keiner Gruppe eine nennenswerte Beeinflussung der gesamten oder der kardiovaskulären Mortalität erreicht. Ob sich ein ähnliches oder besseres Resultat auch mit nicht-medikamentösen Massnahmen erreichen liesse, bleibt offen. Die Personen, die an HOPE-3 teilnahmen, waren im Mittel leicht übergewichtig (BMI von 27). Denkbar wäre beispielsweise, dass eine durchschnittliche Gewichtsabnahme um 1 kg ein ähnlich «signifikantes» Resultat ergäbe.
Etzel Gysling
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