infomed-screen
Langwirksame Opioide bei nicht-tumor-bedingten Schmerzen problematisch
Vorsicht: das Sterberisiko ist besonders im ersten Behandlungsmonat erhöht!
- Zusammenfassung: Felix Tapernoux
- Kommentar: Renate Herren
- infomed screen Jahrgang 20 (2016)
, Nummer 5
Publikationsdatum: 5. Oktober 2016 - PDF-Download dieses Artikels (automatisch generiert)
Studienziele
Opioid-Analgetika werden zunehmend auch gegen chronische nicht-
tumorbedingte Schmerzen verschrieben. Parallel dazu nehmen die
Bedenken hinsichtlich der potentiellen Schäden zu. Neben einem
erhöhten Risiko für Überdosis-bedingte Hospitalisationen und
Todesfälle haben Opioide auch eine ungünstige Wirkung, da sie
nächtliche Atemstörungen, kardiovaskuläre Ereignisse und weitere
Gesundheitsprobleme verursachen. Neben der Gesamtmortalität im
Vergleich zu anderen analgetisch wirksamen Substanzen
interessierten in dieser Studie auch das Risiko für Todesfälle
ausserhalb des Spitals und dasjenige für Todesfälle, welche nicht
auf eine unbeabsichtigte Überdosis zurückzuführen waren.
Methoden
22'912 Medicaid-Versicherte aus dem amerikanischen Bundesstaat
Tennessee, denen im Zeitraum von 1999 bis 2012 zum ersten Mal
langwirksame Opioide gegen nicht-tumorbedingte Schmerzen
verschrieben worden waren, wurden mit einer gleichen Zahl Personen
vergleichen, die neu ein Antikonvulsivum bzw. ein tri- oder
tetrazyklisches Antidepressivum gegen chronische Schmerzen
einnahmen. Dabei wurde ein sogenanntes «propensity matching»
durchgeführt – das heisst, es wurde für jede Person unter Opioiden
eine Kontrollperson gewählt, welche mit dieser in Bezug auf 122
verschiedene Variablen möglichst vergleichbar war. Personen mit
Krebserkrankungen in einer palliativen Situation und Personen über
75 Jahre wurden nicht berücksichtigt. Primärer Studienendpunkt war
die Anzahl Todesfälle im weiteren Verlauf. Diese wurden zusätzlich
nach Todesfällen inner- und ausserhalb des Spitals und nach
Todesursachen aufgeschlüsselt.
Ergebnisse
Das Durchschnittsalter der untersuchten Personen betrug 48 Jahre,
60% davon waren Frauen und 75% litten unter chronischen lumbalen
Rückenschmerzen. Die am häufigsten verschriebenen Medikamente waren langwirksames Morphin (MST Continus® u.a.), Gabapentin (Neurontin®
u.a.) und Amitriptylin (Saroten®). Unter Opioiden kam es im Verlauf
von 11'070 Pesonenjahren zu 185 Todesfällen, was 167 Todesfällen
pro 10'000 Personenjahre entspricht. In der Kontrollgruppe waren es
87 Todesfälle während 8'066 Personenjahren, was 108 Todesfällen pro
10'000 Personenjahre entspricht. Die «Hazard Ratio» (HR) für die
Sterblichkeit unter Opioiden betrug 1,64 (95%-Vertrauensintervall
1,26-2,12). Auf 10'000 Personenjahre kam es so zu insgesamt 68
zusätzlichen Todesfällen (korrigierte Risiko-Differenz). Ausserhalb
des Spitals war das Sterblichkeitsrisiko deutlich erhöht (HR 1,90),
während es im Spitel unverändert war (HR 1,00). Für Todesfälle, die
nicht auf eine unabsichtliche Überdosis zurückgeführt werden
konnten, betrug die HR 1,72, dabei handelte es sich häufig um
kardiovaskuläre Todesfälle (HR 1,65). Am stärksten war die
Mortalität in den ersten 30 Tage erhöht (HR 4,16), nach mehr als
180 Tagen fand sich kein Unterschied mehr zwischen den beiden Gruppen.
Schlussfolgerungen
Bei chronischen Schmerzpatienten ist die Sterblichkeit unter
Opioiden deutlich erhöht. Die entsprechenden Todesfälle treten
meist im ersten Behandlungsmonat und ausserhalb des Spitals auf,
und sind nicht nur auf unbeabsichtigte Überdosierungen
zurückzuführen.
Zusammengefasst von Felix Tapernoux
Die Häufung von Todesfällen unter langwirksamen Opioiden ist
besorgniserregend. Die Mehrzahl der untersuchten Personen litt an
chronischen Rückenbeschwerden, obwohl für diese Indikation bei
fehlenden Hinweisen auf eine neuropathische Schmerzursache sowohl
die Wirksamkeit von Opioiden als auch von Co-Analgetika umstritten
ist. Die Studie eingebettet in die heutige Datenlage zwingt uns,
die Indikation zur medikamentösen Therapie chronischer Schmerzen
insbesondere mit Opioiden streng zu stellen. Die gegenseitige
Unterzeichnung eines Vertrages vor Start einer Opioidtherapie wird
international empfohlen. Da die Schlafapnoe eine mögliche Ursache
der gehäuften kardiovaskulären Todesfälle ist, liegt es nahe, die
Betroffenen vor Therapiebeginn entsprechend zu evaluieren. Vor
Beginn einer Therapie könnte es hilfreich sein, die Patientinnen
und Patienten u.a. über Gefahren und Warnsymptome einer
Überdosierung zu informieren und auf die Gefahr der Akkumulation
von retardierten Opioiden (insbesondere bei Verkürzung der
empfohlenen Zeitabstände zwischen zwei Dosen) hinzuweisen. Zu
Beginn der Therapie sind die Behandelten engmaschig zu begleiten,
da die Todesfälle vor allem in den ersten Wochen gehäuft auftreten.
Ob die hier übliche individuelle Titration mit kurzwirksamen
Opioiden zu Beginn der Opioidtherapie die Anzahl Todesfälle
vermindert, wird in der Studie nicht beantwortet. Den
Studienunterlagen ist auch nicht zu entnehmen, ob eine solche
durchgeführt worden war.
Renate Herren
Standpunkte und Meinungen
- Es gibt zu diesem Artikel keine Leserkommentare.
infomed-screen 20 -- No. 5
Copyright © 2025 Infomed-Verlags-AG
Copyright © 2025 Infomed-Verlags-AG
Langwirksame Opioide bei nicht-tumor-bedingten Schmerzen problematisch ( 2016)
Login
infomed-screen abonnieren
Aktueller infomed-screen-Jahrgang
pharma-kritik abonnieren
100 wichtige Medikamente
Passwort beantragen
infomed mailings
-
Jahrgang 2025
Jahrgang 2024
Jahrgang 2023
Jahrgang 2022
Jahrgang 2021
Jahrgang 2020
Jahrgang 2019
Jahrgang 2018
Jahrgang 2017
Jahrgang 2016
Jahrgang 2015
Jahrgang 2014
Jahrgang 2013
Jahrgang 2012
Jahrgang 2011
Jahrgang 2010
Jahrgang 2009
Jahrgang 2008
Jahrgang 2007
Jahrgang 2006
Jahrgang 2005
Jahrgang 2004
Jahrgang 2003
Jahrgang 2002
Jahrgang 2001
Jahrgang 2000
Jahrgang 1999
Jahrgang 1998
Jahrgang 1997