Beratungsresistente Ärztinnen und Ärzte?

  • r -- Hemkens LG, Saccilotto R, Reyes SL et al. Personalized prescription feedback using routinely collected data to reduce antibiotic use in primary care. A randomized clinical trial. JAMA Intern Med 2017; 177: 176-183 [Link]
  • Zusammenfassung: Renato L. Galeazzi
  • infomed screen Jahrgang 21 (2017) , Nummer 2
    Publikationsdatum: 4. April 2017
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Da im Allgemeinen die Resistenzlage in einem Land parallel zur Antibiotika-Verschreibung verläuft, ist es eine wichtige Forderung, Antibiotika angemessen zu verordnen. Wie dieser Forderung Nachdruck verschafft werden kann, ist Gegenstand weltweiter Forschung. Eine Schweizer Gruppe hat untersucht, ob eine vierteljährliche Rückmeldung zu den individuellen Verschreibungsgewohnheiten eine verminderte Verschreibungsrate bewirken kann. Die 2'900 Ärztinnen und Ärzte aus der Grundversorgung mit den höchsten Antibiotika-Verschreibungsraten wurden nach dem Zufall in zwei gleich grosse Gruppen aufgeteilt: Eine Gruppe erhielt evidenzbasierte Informationen zur Antibiotikaverschreibung in der Allgemeinpraxis sowie alle drei Monate eine individuelle Rückmeldung zur eigenen Antibiotika-Verschreibungsrate des vorherigen Quartals im Quervergleich mit den Kolleginnen und Kollegen, wusste aber nicht, dass diese Informationen Teil einer randomisierten Studie waren. Alle Daten stammten aus der Statistik der Santésuisse. Als primärer Endpunkt galt die Veränderung der Verschreibungshäufigkeit über zwei Jahre, die als Anzahl «Defined Daily Dosis» (DDD) Antibiotika pro 100 Konsultationen gemessen wurde. Die DDD ist definiert als die gängige Menge eines spezifischen Medikaments, welches einem Erwachsenen pro Tag verordnet wird.

Die 2'900 Ärztinnen und Ärzte verschrieben während den untersuchten zwei Jahren insgesamt etwas über 10 Millionen DDD in etwas mehr als 10 Millionen Konsultationen. Im Kontrolljahr (zu Studienbeginn) wurden 101, im ersten Jahr der Studie 90 und im zweiten Jahr 92 DDD pro 100 Konsultationen verschrieben. Während der beiden Studienjahre wurde kein Unterschied zwischen der Interventionsgruppe und der Kontrollgruppe gefunden. Subgruppenanalysen ergaben eine leicht verminderte Verschreibungsrate in der Interventionsgruppe bei Kindern und Jugendlichen im ersten Jahr und bei Erwachsenen im Alter von 19 bis 65 Jahren im zweiten Jahr. Verschiedene Praxis-Charakteristika wie beispielsweise die Möglichkeit der Selbstdispensation oder Anzahl Konsultationen hatten keinen Einfluss auf die Resultate.

Über die Resultate dieser exzellent durchgeführten und von den Verantwortlichen adäquat und auch selbstkritisch diskutierten Studie wurde in der Tagespresse unter dem Titel «Beratungsresistente Ärzte» berichtet. Bei der Interpretation der Ergebnisse ist allerdings zu bedenken, dass die Schweiz das Land mit der weitaus geringsten Antibiotika-Verschreibungsrate Europas ist. Zudem zeigte sie eine abnehmende Tendenz, sowohl in der Interventions- als auch in der Kontrollgruppe, ein Umstand, der vielleicht keine zusätzliche Verbesserung erlaubt. Ausserdem stellt die Verschreibungsrate nur eine Art «Surrogatmarker» dar; einem aussagekräftigen «klinischen» Endpunkt würde die individuelle Verschreibungsindikation entsprechen, welche anhand der verwendeten Datenbank nicht erhoben werden kann. Studien mit Surrogatmarkern sind aber primär hypothesenbildend, nicht hypothesenbestätigend. Somit ist die Aussage von den «beratungsresistenten Ärzten» eher Ausdruck der ärztekritischen Haltung der Presse als der Realität.

Zusammengefasst und kommentiert von Renato L. Galeazzi

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infomed-screen 21 -- No. 2
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Beratungsresistente Ärztinnen und Ärzte? ( 2017)