Soll man Blutdruckmedikamente immer abends einnehmen?

  • r -- Hermida RC, Crespo JJ, Domínguez-Sardina M et al. Bedtime hypertension treatment improves cardiovascular risk reduction: the Hygia Chronotherapy Trial. Eur Heart J. 2019 Oct 22 [Epub ahead of print]. [Link]
  • Zusammenfassung: Peter Ritzmann
  • Kommentar: Markus Diethelm
  • infomed screen Jahrgang 23 (2019) , Nummer 6
    Publikationsdatum: 4. Dezember 2019
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Warum diese Studie?

Der «Hygia Chronotherapy Trial» wurde als prospektive, kon­trolierte Studie in einem spanischen Forschungsnetzwerk durchgeführt. Die Studienverantwortlichen wollten prüfen, ob die Einnahme der ganzen Tagesdosis eines oder mehrerer Blutdruckmedikamente vor dem Schlafengehen zu besserer Blutdruckkontrolle und zu grösserer Reduktion kardiovasku­lärer Risiken führt als die Einnahme am Morgen.

Was hat man gefunden?

19’084 Personen mit Hypertonie wurden nach dem Zufall entweder der Gruppe mit morgendlicher oder mit abendli­cher Einnahme der ganzen Tagesdosis zugeteilt. Zu Studien­beginn und danach mindestens einmal jährlich wurde eine ambulante 48-Stunden-Blutdruckmessung durchgeführt. In der letzten dieser Messungen fand man unter den Studien­teilnehmenden, die ihre Medikamente abends einnahmen, signifikant tiefere mittlere Blutdruckwerte in der Nacht (nicht aber am Tag), ein stärkeres nächtliches Absinken des Blut­drucks und weniger Personen mit dem risikoreicheren «Non-dipper»-Blutdruckmuster (nächtliches Absinken des systoli­schen Blutdrucks <10%). Während einer mittleren Beobach­tungszeit von 6,3 Jahren trat der kombinierte kardiovaskuläre Endpunkt (kardiovaskulärer Tod, Herzinfarkt, koronare Re­vaskularisation, Herzinsuffizienz oder Schlaganfall) bei 1‘752 Teilnehmenden ein. Personen aus der Gruppe mit abendli­cher Einnahme hatten hierfür ein signifikant kleineres Risiko: Die Hazard Ratio für den kombinierten Endpunkt lag bei ihnen bei 0,55. Auch für die einzelnen Komponenten wur­den signifikante Senkungen gefunden: Hazard Ratio für kar­diovaskulären Tod 0,44, Herzinfarkt 0,66, koronare Revasku­larisa­tion 0,60, Herzinsuffizienz 0,58, Schlaganfall 0,51.

Wie wird es gedeutet?

Die Studienverantwortlichen schliessen, dass die abendliche Einnahme der Blutdruckmedikamente zu einer besseren Blutdruckkontrolle führt und das kardiovaskuläre Risiko mar­kant senkt.

Zusammengefasst von Natalie Marty

Gast-Kommentar

In dieser sehr grossen spanischen Studie führte die abendliche statt morgendliche Einnahme von mindestens einem Anti­hypertensivum zu einer 45-prozentigen Reduktion des kombi­nierten kardiovaskulären Endpunktes (Myokardinfarkt, koro­nare Re­vaskularisation, Herzinsuffizienz, Schlaganfall, kardio­vaskulä­rer Tod). Über welchen Weg diese Reduktion zu er­klä­ren wäre, muss offen bleiben. Die klinisch geringe, statistisch hoch signifikante Blutdrucksenkung (grösster der vielen aufge­zählten Blutdruck-Unterschiede: nachts 3,3 mm Hg) kann das in diesem Ausmass nur teilweise. Spielt die ungleiche Vertei­lung der Antihypertensiva-Klassen (deutlich weniger Beta­blocker und Diuretika), die grössere Anzahl Dipper, die dis­krete Verbesserung des Lipidprofils oder der minim tiefere Kre­atininspiegel in der Gruppe mit der abendlichen Einnahme eine Rolle? Der hier postulierte, unerwartete, dramatische Er­folg (in der Grössenordnung einer Blutdruckbehandlung über­haupt) dieser einfachen, kostenlosen und wohl auch fast ne­benwirkungsfreien Intervention kann leider nur so kommen­tiert werden: zu schön, um wahr zu sein. Gegen eine Ein­nahme der antihypertensiven Medikation am Abend ist – wegen wohl fehlender Nebenwirkungen – nichts einzuwen­den, ausser bei einem Diuretikum, das zu nächtlichen Toilet­tengängen und damit einer vermehrten Sturzgefahr führen könnte.

Markus Diethelm, Klinik für Allgemeine Innere Medi­zin/Hausarztmedizin, Kantonsspital St. Gallen

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Soll man Blutdruckmedikamente immer abends einnehmen? ( 2019)