Zum Glück gibt es Ernährungsforschung
In einer renommierten Zeitschrift wird berichtet, dass Schokolade schlank macht. Zu schön, um wahr zu sein ...
- Zusammenfassung: Natalie Marty
- Kommentar: Paolo M. Suter
- infomed screen Jahrgang 24 (2020)
Publikationsdatum: 14. Juni 2020 - PDF-Download dieses Artikels (automatisch generiert)
20'125 Erwachsene aus der amerikanischen «National Health and Nutrition Examination Survey Study» wurden bezüglich ihres Body Mass Index (BMI), ihres Bauchumfangs und ihres Schokoladekonsums verglichen. Nach Ausschluss der Untergewichtigen, der Diabeteskranken und der Personen mit fehlenden Angaben konnten die Daten von 13'626 Studienteilehmenden ausgewertet werden. Bei den 11% Schokolade-Konsumenten war der BMI 0,92 m2 tiefer und der Bauchumfang 2 cm kleiner als jener der Nichtkonsumenten.
Natalie Marty
Kommentar
Schokolade senkt den Blutdruck, verbessert die endotheliale Funktion, die kognitive Funktion, reduziert sogar das Alzheimerrisiko und sei gut für «better sex». Nun, endlich, konnte gemäss einer 12-Autoren-Publikation auch gezeigt werden, dass Schokolade-Essen dünn macht. Auf diese gute Nachricht der modernen Ernährungsforschung haben wir seit Dekaden gewartet. In dieser (erstaunlicherweise in einer guten Zeitschrift publizierten) Studie wurde zwischen der schwersten und leichtesten BMI-Terzentile bei der täglichen Schokoladezufuhr kein signifikanter Unterschied gefunden; Einkommen und Schulbildung waren – erwartungsgemäss – bei der obersten Gewichts-Terzentile signifikant tiefer. Nach Ausschluss von knapp einem Drittel der initialen Studienpopulation (trotzdem sprechen die Studienverantwortlichen von einen repräsentativen Stichprobe) und verschiedensten Annahmen und statistischem Modeling erlangte die Schokolade (dem Heiligen Hubertus sei gedankt!) gewichtsreduzierende Eigenschaften. Verschiedenste Erklärungen für diesen Effekt werden vorgeschlagen oder vielmehr «an den Haaren» herangezogen, u.a. auch eine erhöhte (!) Sättigung durch Zuckerkonsum (ein schönes Beispiel für Citation-Bias). Es scheint, dass die Studienverantwortlichen nicht wissen, was eine ursprüngliche (klassische) Schokolade ist, denn sie erwähnen als u.a. schlankmachenden Effekt der Schokolade «for example, those who are overweight and obese may reduce their chocolate consumption if they believe that this is contributing to their weight problem». Schokolade-Konsumenten wissen, dass «weniger Schokolade-Essen» ein Ding der Unmöglichkeit ist. Die wissenschaftliche Evidenz des Abhängigkeitspotentials der Schokolade ist mittlerweile schon recht überzeugend. Flavonoide und andere nicht-nutritive Komponenten in der Schokolade haben u.U. positive Effekte. So kann eine hohe Konzentration an Bitterstoffen tatsächlich einen günstigen Effekt auf die Energiezufuhr haben, und zwar durch Stimulation der Bitterrezeptoren. Doch wer isst gerne bittere Schokolade (ohne Zucker und Zusatzstoffe)? Ausser die alten Mayas und Azteken kaum jemand. Bei den Azteken hatte die Schokolade einen hohen Stellenwert, galt als «Nahrungsmittel der Götter» und wurde lediglich für religiöse Zwecke und bestimmte Festivitäten ein paar Male pro Jahr konsumiert. So war Schokolade auch bei uns bis vor nicht allzu langer Zeit ein relativ teures Luxusprodukt ohne täglichen Konsum. Der «weisse Mann» hat die verbogenen Kräfte der Schokolade missbraucht und sucht nun – wie auch diese wissenschaftliche Arbeit zeigt – nach positiven Effekten, um einen täglichen Konsum zu rechtfertigen. Es bleibt nur zu hoffen, dass sich die Götter der Azteken und Mayas nicht an uns rächen.
Paolo Suter
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