Schützen Antikoagulantien vor Krebs?
- a -- Schulman S, Lindmarker P. Incidence of cancer after prophylaxis with warfarin against recurrent venous thromboembolism. N Engl J Med 2000 (29. Juni); 342: 1953-8 [Link]
- Kommentar: Renato L. Galeazzi
- infomed screen Jahrgang 4 (2000)
, Nummer 7
Publikationsdatum: 1. August 2000 - PDF-Download dieses Artikels (automatisch generiert)
Studienziele
Venöse Thromboembolien unbekannter Ursache sind vermutlich mit einer höheren Krebsinzidenz verbunden als Thromboembolien mit einem klaren auslösenden Faktor. Es gibt Hinweise, dass orale Antikoagulantien einen gewissen Schutz vor einer Krebserkrankung darstellen. In dieser Studie wurde den Fragen nachgegangen, inwieweit nach einer Thromboembolie mit einer erhöhten Krebsinzidenz zu rechnen ist und ob sich der protektive Effekt von Antikoagulantien bestätigen lässt.
Methoden
Es handelt sich um eine zusätzliche Analyse einer schwedischen Studie, in der man primär die optimale Dauer einer Antikoagulantientherapie nach venöser Thromboembolie zu ermitteln versucht hatte. 897 Personen, die erstmalig eine Beinvenenthrombose oder eine Lungenembolie erlitten hatten, waren entweder während sechs Wochen oder während sechs Monaten mit einem oralen Antikoagulans – mehrheitlich mit Warfarin – behandelt worden. Für die Zweitanalyse wurden diese Personen jährlich aufgeboten, um zu evaluieren, ob bei ihnen inzwischen ein bösartiger Tumor diagnostiziert worden war. Falls jemand gestorben war, wurden Autopsieberichte oder Informationen aus dem Todesregister herbeigezogen.
Ergebnisse
Bei 43 Personen hatte bereits vor Studienbeginn ein bösartiger Tumor bestanden, so dass für diese Auswertung 854 Personen zur Verfügung standen. Im Laufe der durchschnittlichen Beobachtungszeit von gut 8 Jahren diagnostizierte man bei 111 Personen einen bösartigen Tumor, wobei Karzinome des Gastrointestinal- und Urogenitaltraktes fast die Hälfte ausmachten. In der Gruppe, die sechs Wochen lang mit Antikoagulantien behandelt worden waren, betrug die Krebsinzidenz 15,8%, in der Gruppe, bei der die Therapie sechs Monate gedauert hatte, 10,3%. Die Wahrscheinlichkeit, an Krebs zu erkranken, unterschied sich in den beiden Gruppen um so stärker, je mehr Jahre verstrichen waren. Bei der Krebsmortalität wurde Gegensatz zur Inzidenz keine Differenz beobachtet. Gegenüber der Allgemeinbevölkerung war die Krebsinzidenz nur bei den Personen signifikant erhöht, bei denen die Thromboembolie ohne auslösendes Moment aufgetreten war.
Schlussfolgerungen
Die Studie bestätigt, dass sich in einem Kollektiv mit der Diagnose einer idiopathischen venösen Thromboembolie eine erhöhte Krebsinzidenz findet. Sie lässt zudem vermuten, dass orale Antikoagulantien einen antineoplastischen Effekt haben, was durch weitere Studien gezielter abgeklärt werden sollte.
Die Studie hat zwei Schlussfolgerungen: 1. In den zwei Jahren nach Auftreten einer ersten tiefen Beinvenenthrombose oder Lungenembolie werden häufiger Karzinome entdeckt als in der Normalpopulation. 2. In der Gruppe der Patienten, die nur sechs Wochen mit einem Vitamin-K-Antagonisten antikoaguliert worden waren, werden ab dem vierten bis sechsten Jahr signifikant mehr Malignome gefunden als in der Gruppe, welche sechs Monate antikoaguliert worden war. Die erste Schlussfolgerung ist nachvollziehbar. Seit langem ist bekannt, dass Malignome einen – wenn auch verschiedenartigen – prokoagulatorischen Effekt ausüben. Die zweite Schlussfolgerung ist schwer nachvollziehbar. Es fehlt eine biochemische oder physiologische Erklärung für diesen Effekt. Er könnte durch Warfarin (das verwendete Antikoagulans) direkt verursacht werden, durch die Antikoagulation als solche oder aber durch die Hemmung eines anderen, noch unbekannten, Vitamin-K-abhängigen Faktors bedingt sein. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass der Unterschied rein zufällig entstanden ist. Bei einer so kleinen a priori-Wahrscheinlichkeit für den Nutzen von Warfarin müsste der p-Wert sehr klein sein, um die a posteriori-Wahrscheinlichkeit für diesen positiven Effekt stark zu erhöhen. Er liegt aber nur bei 0,02 und hängt einzig von der Anzahl der in der länger antikoagulierten Gruppe vermindert aufgetretenen Urogenitalkarzinome ab.
Dass das Resultat nur wegen einer Gruppe von Malignomen beeinflusst wird, schmälert die Aussagekraft dieser Studie massiv. Es wäre daher sicher verfrüht, eine Antikoagulation als Karzinomprävention anzusehen.
Renato Galeazzi
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