Aripiprazol
- Autor(en): Andreas Frei
- pharma-kritik-Jahrgang 26
, Nummer 9, PK106
Redaktionsschluss: 17. Dezember 2004
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2004.106 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Aripiprazol (Abilify®), ein neues Neuroleptikum, wird zur Behandlung der Schizophrenie empfohlen.
Chemie/Pharmakologie
Aripiprazol ist ein Chinolinderivat, welches die Herstellerfirma als Vertreter einer neuen Generation atypischer Neuroleptika bezeichnet. Die verschiedenen Neuroleptika unterscheiden sich in ihrem Bindungsverhalten an den Dopamin- und Serotoninrezeptoren; sie haben in der Regel eine antagonistische Wirkung an diesen Rezeptoren. Gemäss verschiedenen Untersuchungen in vitro hat dagegen Aripiprazol eine partiell agonistische Wirkung an Dopamin-D2-Rezeptoren und an 5-HT1A-Serotonin- Rezeptoren.(1-3) An 5-HT2A-Rezeptoren dagegen wirkt auch Aripiprazol antagonistisch.
Als partieller Dopaminagonist sollte Aripiprazol eine übermässige Dopaminaktivität reduzieren, eine verminderte Aktivität dagegen verstärken. Aufgrund der verschiedenen Wirkungsmechanismen wird Aripiprazol auch als Dopamin-Serotonin-Stabilisator bezeichnet.
Bei gesunden Versuchspersonen konnte zudem mittels einer Positronen- Emissions-Tomographie eine lineare Beziehung zwischen den Aripiprazol-Plasmaspiegeln und der Besetzung der D2-und D3-Rezeptoren im Gehirn nachgewiesen werden. Obwohl unter hohen Dosen die D2-Rezeptoren im Striatum zu über 90% besetzt waren, traten keine extrapyramidale Symptome auf.(4)
Pharmakokinetik
Aripiprazol wird gastro-intestinal gut resorbiert; maximale Plasmakonzentrationen werden nach 3 bis 5 Stunden erreicht. Die orale Bioverfügbarkeit beträgt 87%. Diese wird durch gleichzeitig eingenommene Nahrung nicht beeinflusst. Aripiprazol wird in der Leber metabolisiert; es ist Substrat der Zytochrom-Isoenzyme CYP2D6 und CYP3A4.(5) Ein aktiver Metabolit, Dehydro-Aripiprazol, ist von Bedeutung; im Fliessgleichgewicht entsprechen etwa 40% der «area under the curve» diesem Metaboliten. Die Plasmahalbwertszeit von Aripiprazol beträgt etwa 60 Stunden,(6) diejenige des aktiven Metaboliten 94 Stunden. Etwa 25% einer Dosis werden mit dem Urin und 55% mit dem Stuhl ausgeschieden, grösstenteils in inaktiver Form. Die bei Personen mit Leberzirrhose bzw. mit einer Niereninsuffizienz beobachteten kinetischen Veränderungen sind nicht so ausgeprägt, dass in diesen Fällen eine Dosisanpassung nötig wäre.
Klinische Studien
Obwohl Aripiprazol in den USA bereits seit 2002 zugelassen ist, sind bisher erst verhältnismässig wenige Studien in den Einzelheiten veröffentlicht worden.
In einer Doppelblindstudie über 4 Wochen wurde Aripiprazol in einer Dosis von 15 bzw. 30 mg/Tag mit Placebo und Haloperidol (10 mg/Tag) verglichen. 414 Erwachsene, welche unter einem akuten Rückfall einer Schizophrenie oder einer schizoaffektiven Störung gemäss DSM-IV litten, wurden in die Studie aufgenommen. Der Behandlungserfolg wurde anhand verschiedener psychiatrischer Skalen beurteilt (Übersicht und Abkürzungen: siehe Tabelle 1). Überwacht wurden ferner extrapyramidale Symptome, Gewichtsveränderungen, die Prolaktin-Plasmaspiegel und das QTc-Intervall im EKG. Beide Aripiprazol-Dosierungen und Haloperidol ergaben im Vergleich mit Placebo signifikant bessere Resultate auf der PANSS, der PANSS-Unterskala für positive Symptome, der CGI sowie der BPRS. Aripiprazol (15 mg/Tag) und Haloperidol waren auch in Bezug auf negative Symptome (PANNSNegativskala) signifikant besser als Placebo. Für die höhere Aripiprazol-Dosis (30 mg/Tag) konnte jedoch auf der Negativskala kein signifikanter Unterschied zu Placebo gezeigt werden. Die Wirkung der aktiven Medikamente liess sich von der zweiten Behandlungswoche an nachweisen.(7)
In einer weiteren 4-wöchigen Doppelblindstudie wurde Aripiprazol (20 bzw. 30 mg/Tag) mit Risperidon (Risperdal®, 6 mg pro Tag) und Placebo verglichen. Die Einschlusskriterien waren dieselben wie in der oben genannten Studie; es wurden auch dieselben Erfolgskriterien verwendet. Insgesamt wurden 404 Personen in die Studie aufgenommen, nur 242 beendeten dieselbe. Beide Aripiprazol-Dosierungen und Risperidon zeitigten im Vergleich mit Placebo signifikant bessere Resultate im Gesamt-PANSS und in den PANSS-Unterskalen für positive bzw. negative Symptome, in der BPRS sowie in der CGI.(8)
In zwei fast identischen Doppelblindstudien, die gemeinsam rapportiert wurden, sollten 1294 Personen mit einer chronischen Schizophrenie während 52 Wochen Aripiprazol oder Haloperidol erhalten. Die anfänglich verabreichte Dosis konnte bei gutem Ansprechen reduziert werden (Aripiprazol: von 30 auf 20 mg/Tag; Haloperidol: von 10 auf 7 mg/Tag). In dieser Studie wurde neben der PANSS auch MADRS verwendet. In den beiden Behandlungsgruppen sprachen ungefähr gleich viele auf die Therapie an. Gesamthaft brachen über 60% der Teilnehmenden die Studie vorzeitig ab. Im Durchschnitt blieben aber die mit Aripiprazol Behandelten signifikant länger in der Studie als diejenigen, die Haloperidol erhielten. Aripiprazol ergab zudem gemäss der PANSS-Negativ-Subskala und der MADRS signifikant bessere Resultate als Haloperidol.(9)
In einer offenen, jedoch randomisierten Studie wurden während 8 Wochen drei verschiedene Verfahren der Umstellung von einem anderen Neuroleptikum auf Aripiprazol geprüft. Entweder wurde das bisherige Mittel sofort vollständig durch Aripiprazol (30 mg/Tag) ersetzt oder das bisherige Mittel wurde während 2 Wochen allmählich reduziert und dazu überschneidend eine allmählich steigende oder gleich die volle Aripiprazol- Dosis gegeben. Die verschiedenen Verfahren erwiesen sich als gleichwertig.(10)
In keiner der bisher veröffentlichten Studien konnte dokumentiert werden, dass eine Tagesdosis von 30 mg wirksamer wäre als eine Tagesdosis von 15 oder 20 mg.
Die bisher bekannten Aripiprazol-Studien bei Schizophrenie sind in einer systematischen Übersicht der Cochrane Library zusammengefasst worden. Gemäss dieser Übersicht kann angenommen werden, dass Aripiprazol bei Schizophrenie ähnlich wirksam ist wie ältere (typische) oder atypische Neuroleptika; die Autoren der Arbeit weisen jedoch auf den Mangel an klinisch relevanten Daten hin.(11)
In den USA ist Aripiprazol auch zur Behandlung akuter manischer oder gemischt manisch-depressiver Zustände bei einer bipolaren Störung zugelassen. In drei 3-wöchigen Studien wurde Aripiprazol als Monotherapie bei manischen Zuständen gegen Placebo getestet. In einer weiteren Studie, die 12 Wochen dauerte, erfolgte ein Vergleich mit Haloperidol.(12) Einzelheiten sind bisher erst von einer Studie veröffentlicht: 262 Personen, die wegen einer akuten manischen oder gemischt manisch- depressiven Phase im Rahmen einer Bipolar-I-Störung hospitalisiert werden mussten, erhielten während 3 Wochen doppelblind entweder Aripiprazol (30 mg, eventuell auf 15 mg pro Tag reduziert) oder Placebo. Gemessen wurde die Wirkung mit der «Young Mania Rating Scale» und anderen Skalen. Mit dem Neuroleptikum wurde im Vergleich mit dem Placebo eine signifikante Besserung erreicht. In sehr vielen Fällen wurde die Studie aus den verschiedensten Gründen vorzeitig abgebrochen; dies war unter Aripiprazol bei 58%, unter Placebo bei 79% der Behandelten der Fall.(13)
Unerwünschte Wirkungen
Einige Symptome treten bei mehr als 10% der mit Aripiprazol Behandelten auf; besonders Obstipation, Brechreiz/Erbrechen, Schlafstörungen (Somnolenz oder Schlaflosigkeit) und Akathisie sind häufiger als unter Placebo. Häufig sind auch Kopfschmerzen, Dyspepsie, Angst und Schwindel (zum Teil orthostatische Beschwerden). Brechreiz und Somnolenz werden vor allem zu Beginn der Therapie beobachtet. Bei der Behandlung manischer Phasen waren unfallbedingte Verletzungen unter Aripiprazol häufiger als unter Placebo.
Andere unerwünschte Wirkungen sind seltener. Extrapyramidale Symptome sind gesamthaft ähnlich häufig wie unter Risperidon, aber deutlich seltener als unter Haloperidol. Die Prolaktinspiegel werden von Aripiprazol kaum beeinflusst oder gesenkt, während Haloperidol und Risperidon zu einem Anstieg führen. Aripiprazol führt nicht zu relevanten EKG-Veränderungen, das QTc-Intervall wird eher verkürzt.
Ähnlich wie Risperidon führt Aripiprazol im Durchschnitt nur zu einer geringen Gewichtszunahme. Längerfristig kommt es jedoch auch unter Aripiprazol häufiger als unter Placebo zu einem Anstieg von mehr als 7% des Körpergewichts.
Eine Zunahme der psychotischen Symptome ist unter Aripiprazol wiederholt beobachtet worden und scheint ebenso häufig oder häufiger vorzukommen wie unter anderen Neuroleptika. In einzelnen Fällen besserte sich der Zustand nach Absetzen von Aripiprazol wieder.(14)
«Verschwommenes Sehen» ist ein Symptom, über das unter Aripiprazol bei 3%, häufiger als unter Placebo, geklagt wurde. Hohe Aripiprazol-Dosen führten in Versuchen mit Albino- Ratten zu degenerativen Veränderungen der Retina. Die Bedeutung dieser Beobachtung ist unklar.
Aripiprazol kann wie andere Neuroleptika zu einem malignen neuroleptischen Syndrom führen; Publikationen zu einzelnen Fällen liegen vor. Atypische Neuroleptika können zu Störungen des Glukosestoffwechsels führen; einzelne Fälle von Hyperglykämie unter Aripiprazol sind bekannt. Obwohl keine entsprechenden Beobachtungen vorliegen, ist auch bei Aripiprazol mit der Möglichkeit von Spätdyskinesien zu rechnen.
Interaktionen
Da Aripiprazol Substrat von CYP2D6 und CYP3A4 ist, kann sein Metabolismus von entsprechenden Hemmern bzw. Induktoren beeinflusst werden. CYP2D6-Hemmer, z.B. verschiedene Serotonin-Wiederaufnahmehemmer wie Citalopram (Seropram ® u.a.) und CYP3A4-Hemmer wie Azol-Antimykotika können zu einem starken Anstieg der Aripiprazol-Spiegel führen. CYP3A4-Induktoren wie Carbamazepin (Tegretol® u.a.), Johanniskraut u.a. ergeben dagegen eine Abnahme der Aripiprazol- Spiegel. Eine entsprechende Anpassung der Aripiprazol- Dosis ist angezeigt, ebenso auch in umgekehrter Richtung beim Absetzen des Interaktionspartners.
Dosierung, Verabreichung, Kosten
Aripiprazol (Abilify®) wird als Tabletten zu 10 mg und zu 15 mg angeboten; diese Tabletten sind kassenzulässig. Die im Arzneimittelkompendium erwähnten Tabletten zu 30 mg sind zur Zeit nicht erhältlich. Die Herstellerfirma empfiehlt eine Tagesdosis von 15 mg. Bei Kindern und Jugendlichen sowie bei schwangeren und stillenden Frauen soll Aripiprazol nicht verwendet werden.
Die Tagesdosis von 15 mg verursacht monatliche Kosten von 265 Franken. Risperidon (6 mg/Tag) kostet ungefähr gleich viel. Die anderen atypischen Neuroleptika sind mit Ausnahme von Clozapin (Leponex®) eher teurer.
Kommentar
Aripiprazol weckt Interesse aufgrund seines neuartigen Wirkungsmechanismus. Die bisher vorliegenden Daten lassen annehmen, dass es ähnlich wirksam ist wie andere Neuroleptika. Dass es nicht zu einer Hyperprolaktinämie und auch nicht zu EKG-Veränderungen führt, kann als Vorteil gewertet werden. Das Konzept der partiell agonistischen Wirkung an D2- Rezeptoren ist jedoch nicht ganz unproblematisch: Unruhe und Angst als unerwünschte Wirkungen bei einem als Neuroleptikum eingesetzten Arzneimittel erscheinen paradox. Berichte über Einzelfälle der Exazerbation einer Psychose unter Aripiprazol mahnen zu besonderer Vorsicht gerade im ambulanten Bereich. Der Stellenwert des neuen Medikamentes dürfte sich erst festlegen lassen, wenn auch überzeugende Daten zu klinisch bedeutsamen Resultaten (Todesfälle, Langzeitverträglichkeit, Lebensqualität, Auswirkungen auf kognitive Funktionen u.a.) vorliegen.
Literatur
- 1) Liebermann JA. CNS Drugs 2004; 18: 251-67
- 2) Burris KD et al. J Pharmacol Exp Therap 2002; 302: 381-9
- 3) Jordan S et al. Eur J Pharmacol 2002; 441: 137-40
- 4) Yokoi F et al. Neuropsychopharmacology 2002; 27: 248-59
- 5) McGavin JK, Goa KL. CNS Drugs 2002; 16: 779-86
- 6) Mallikaarjun S et al. J Clin Pharmacol 2004; 44: 179-87
- 7) Kane JM et al. J Clin Psychiatry 2002; 63: 763-71
- 8) Potkin SG et al. Arch Gen Psychiatry 2003; 60: 681-90
- 9) Kasper S et al. Int J Neuropsychopharmacol 2003; 6:325-37
- 10) Casey DE et al. Psychopharmacology 2002; 166: 391-99
- 11) El-Sayeh HG, Morgnati C. Cochrane Database Syst Rev 2004; (2): CD004578
- 12) Lyseng-Williamson KA, Perry CM. CNS Drugs 2004; 18: 367-76
- 13) Keck PE et al. Am J Psychiatry 2003; 160: 1651-8
- 14) Ramaswamy S et. al. Int Clin Psychopharmacol 2004; 19: 45-48
Standpunkte und Meinungen
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