Therapie der Lyme-Borreliose
- Autor(en): Carla Rosendahl
- Reviewer: Peter Herzer, Vera Preac-Mursic, Norbert Satz
- pharma-kritik-Jahrgang 12
, Nummer 19, PK580
Redaktionsschluss: 14. Oktober 1990 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Übersicht
Die erste Beschreibung der akuten Symptomatik einer Erkrankung, die heute als Lyme-Borreliose bezeichnet wird, stammt von Afzelius aus dem Jahre 1909.(1) Er stellte der «Dermatologischen Gesellschaft zu Stockholm» einen Patienten mit einem Erythema migrans vor. Es folgten weitere Beobachtungen dieser Hautaffektion, auch in Verbindung mit Meningitis und Radikulitis. 1977 beschrieb Steere eine ungewöhnliche Häufung von Arthritis-Fällen in Lyme (Connecticut/USA), die alle mit einem Erythema migrans in Verbindung standen und fortan Lyme-Arthritis genannt wurden.(2) Als man beobachtete, dass nicht nur die Gelenke, sondern auch Herz, Nervensystem und weitere Organe betroffen sein konnten, wurde von Lyme disease gesprochen. 1982 gelang es Burgdorfer, den Erreger aus Zecken zu isolieren;(3) es handelt sich um eine Spirochäte, die heute als Borrelia burgdorferi bezeichnet wird. Seitdem ist evident, dass durch eine Infektion mit diesem Erreger ein weites Spektrum klinischer Auffälligkeiten hervorgerufen werden kann, das nunmehr unter Lyme- Borreliose subsumiert wird.
Epidemiologie
Mit Borrelia burgdorferi infizierte Zecken gibt es weltweit, sie sind nicht an bestimmte Naturherde gebunden. In Europa fanden sich bei Personen, die stärker Zeckenexponiert sind (z.B. auf dem Land) in 13 bis 20% Antikörper gegen Borrelia burgdorferi.(4) Damit ist offensichtlich, dass die Infektion bei sehr vielen Personen zur Serokonversion führt, ohne Symptome zu verursachen. Weltweit sind über 100 Borrelien-Stämme bekannt und Antigen- Differenzen beschrieben worden, die möglicherweise die unterschiedlichen Krankheitsbilder erklären könnten.(5)
Manifestationsformen und Stadien
Die vielfältigen klinischen Manifestationen reichen von dem am häufigsten auftretenden Erythema migrans bis zu neurologischen, rheumatologischen und kardialen Symptomen. Ihre deskriptiven Bezeichnungen sind: Erythema chronicum migrans (Afzelius), Lymphadenosis benigna cutis (Lymphozytom), Acrodermatitis chronica atrophicans, zirkumskripte Sklerodermie (Morphaea), Meningo- Polyneuritis Garin-Bujadoux-Bannwarth (Bannwarth- Syndrom) und Lyme-Arthritis.
Analog der Stadieneinteilung bei der Syphilis wird inzwischen auch bei der Lyme-Borreliose in frühe und späte Infektionsphasen unterteilt, die sich zum Teil überlappen können.(6) Nach einem Zeckenbiss werden Antikörper erst Wochen später nachweisbar. Die Diagnose muss daher zunächst klinisch und anhand der Anamnese gestellt werden. Im weiteren Verlauf sind dann auch serologische Befunde zu berücksichtigen.
Stadium I -- lokalisierte frische Infektion:
Eine infektiöse Zecke überträgt mit ihrem Biss die Erreger in etwa 60 bis 80%. Kommt es zu einem symptomatischen Verlauf, so tritt meistens zunächst das charakteristische Erythem auf, das einer lokalisierten Ausbreitung in der Haut entspricht. Dies kann die einzige Manifestation bleiben oder sie wird begleitet von systemischen Zeichen wie Fieber, Kopfschmerzen, Müdigkeit und Arthralgien oder Myalgien.
Stadium II -- disseminiert-frische Infektion:
In Tagen bis Wochen nach der Inokulation kann es zu hämatogener oder auch lymphogener Borrelien-Ausbreitung kommen. Meist bestimmen neurologische Symptome, seltener auch eine Arthritis, dieses Stadium. In Europa wird am häufigsten das Bannwarth-Syndrom (lym- phozytäre Meningoradikulitis), daneben Meningitiden, erneute kutane Manifestationen (akut-enztündliches Stadium von Acrodermatitis chronica atrophicans, Morphaea bzw. Lichen sclerosus et atrophicus), Myelitiden und Fazialisparesen beobachtet. Bei 8 bis 10% der Patienten mit disseminierter Lyme-Borreliose wird eine kardiale Beteiligung beobachtet. Fast immer liegt ein AV-Block unterschiedlichen Grades vor.
Stadium III -- persistierende Infektion:
Bis zu zwei Jahren nach der Infektion können chronische rheumatische, neurologische oder kutane Symptome auftreten, die auf einem Persistieren der Borrelien in bradytrophen Geweben und auf immunologischen Reaktionen beruhen. Das Befallsmuster der Lyme-Arthritis ist typischerweise mono- oder oligoartikulär; häufig ist das Kniegelenk betroffen. Charakteristisch ist ein intermittierender Verlauf. Bei etwa 10% der Patienten kommt es zu einem chronischen, zum Teil erosiven Gelenkbefall.
Therapie der Lyme-Borreliose
Die im folgenden beschriebenen Therapiestudien stellen die Grundlage der heute empfohlenen Behandlung dar. Noch sind viele Fragen offen.
So kann zum Beispiel die Frage, ob nach einem Zeckenbiss eine prophylaktische Antibiotika-Therapie durchgeführt werden soll, mangels aussagekräftiger Untersuchungen bislang nicht eindeutig beantwortet werden. In der einzigen hierzu veröffentlichten Studie wurde bei 56 Personen nach einem Zeckenbiss Penicillin per os mit Placebo verglichen: ein Patient der Placebogruppe entwickelte ein Erythema migrans, ein Penicillin-behandelter Patient dagegen ein Arzneimittelexanthem.(7)
Penicillin, Tetrazykline, Erythromycin
In der ersten systematischen Untersuchung wurde retrospektiv geprüft, ob eine Antibiotikatherapie bei Patienten mit Erythema migrans (Stadium I) den Verlauf der Hauterkrankung abgekürzt und eine Lyme-Arthritis verhindert oder gemildert hatte. Von 58 Patienten, die während sieben bis zehn Tagen mit Penicillin, Erythromycin oder Tetracyclin per os behandelt worden waren, erkrankten 15 an Arthritis; von 55 ohne Antibiotika behandelten Patienten entwickelten dagegen 34 eine Arthritis.(8)
Eine prospektive, randomisierte Studie an 184 Patienten mit Erstmanifestation einer Lyme-Borreliose sollte die Wirkung einer 10tägigen Behandlung mit jeweils 4mal täglich 250 mg Phenoxymethylpenicillin (Penicillin V) mit der von Tetracyclin (Achromycin® u.a.) und Erythromycin (Erythrocin® u.a.) vergleichen.(9) Auf eine Patientengruppe ohne Antibiotikatherapie wurde verzichtet. Kein Patient aus der Tetracyclin-Gruppe (n = 39) entwickelte eine Folgmanifestation, wohl aber drei von den 40 Penicillinbehandelten und vier der 29 Erythromycin-Patienten. Bei den mit Tetracyclin behandelten Patienten klang auch das Erythem rascher ab. Dieses für Tetracyclin günstige Resultat wird allerdings insofern relativiert, als die verwendete Penicillindosis (1000 mg = rund 1,6 Mio. E/Tag) nach heutigen Massstäben als sehr niedrig bezeichnet werden muss. Jedenfalls entschieden die Autoren, im zweiten Teil dieser Studie alle Erwachsenen mit Tetracyclin (randomisiert über 10 oder 20 Tage) zu behandeln.
In einer weiteren Studie wurde die Wirkung von hochdosierter intravenöser Penicillin-Therapie (6mal täglich 3,5 Mio. E intravenös über 10 Tage) bei 12 Patienten mit Neuroborreliose (Stadium II-Patienten) geprüft.(10) Alle 12 hatten bei Aufnahme pathologische Liquorbefunde: eine mässige lymphozytäre Pleozytose und erhöhte Eiweisswerte. Drei der 12 Patienten bekamen während der ersten 18 Stunden der Therapie eine Jarisch-Herxheimer-Reaktion: die Neuralgien wurden heftiger und die Körpertemperatur stieg. Diese Patienten erhielten für sechs bis acht Wochen Prednison, zuerst 30 bis 60 mg/Tag, später noch 5 bis 30 mg/Tag. Am dritten Tag waren bei allen Patienten (mit und ohne Prednison) die Schmerzen deutlich rückläufig und nach sieben bis zehn Tagen abgeklungen. Die neuromotorischen Ausfälle erforderten im Mittel acht (zwischen 1 und 24) Wochen zur kompletten Rückbildung. In fünf Fällen (davon alle drei mit Prednison-Gabe) blieben nach Beendigung der Therapie intermittierende Kopfschmerzen bestehen. Liquoruntersuchungen nach Therapie, die über die Elimination des Erregers informiert hätten, wurden leider nicht durchgeführt.
Die Wirksamkeit einer parenteralen Penicillinbehandlung wurde auch in der ersten doppelblinden Therapiestudie bei Lyme-Borreliose untersucht.(11) Je 20 Erwachsene mit chronischer Arthritis (Stadium III) erhielten drei Wochen lang entweder Benzylpenicillin (Penicillin G, einmal wöchentlich 2,4 Mio. E intramuskulär) oder 2 ml physiologische Kochsalzlösung i.m. als Placebo. Nach den ersten intramuskulären Injektionen lehnten vier Patienten der Penicillin-Gruppe die weitere Therapie ab. Es wurden daraufhin 20 weitere vergleichbare Patienten mit Penicillin G, täglich 6mal 3,3 Mio. E intravenös über 10 Tage, behandelt. Die mit Penicillin behandelten Patienten waren rascher schmerzfrei als solche, die nur Placebo erhielten. Die Hälfte der aktiv behandelten Patienten (18 der 36 Personen in der Penicillingruppe) sprachen jedoch überhaupt nicht auf die Behandlung an! Penicillin-resistente Borrelien-Stämme sind bekannt und könnten hierfür ursächlich gewesen sein.
Bei 22 Patienten mit Arthritis (Stadium III) wurde eine parenterale mit einer oralen Penicillinbehandlung verglichen: Je elf Patienten erhielten Penicillin G intravenös (4mal täglich 5 Mio. E über 3 Wochen) und Penicillin V oral (4mal täglich 1,5 Mio. E über 6 bis 10 Wochen).(12) Bei sieben der parenteral Behandelten kam es innerhalb von wenigen Tagen zur Besserung, während nur vier der oral Behandelten beschwerdefrei wurden. Die Nachbeobachtungszeit betrug 16 bis 24 Monate. Vier weitere Patienten wurden mit oralem Doxycyclin (Vibramycin® u.a., 200 mg/Tag, über drei Wochen) behandelt und drei Patienten erhielten Ceftriaxon (Rocephin®) intravenös. Bei allen sieben blieb die Therapie unwirksam.
In einer randomisierten Studie bei 75 Patienten mit neurologischen Symptomen der Lyme-Borreliose (Stadium II), wurde Penicillin G mit Doxycyclin verglichen.(13) 39 Patien- ten erhielten 10 Tage Doxycyclin per os (an den ersten zwei Tagen 200 mg/Tag, nachher 100 mg/Tag), 36 erhielten Penicillin G intravenös (10 Tage lang täglich 20 Mio. E per infusionem). Nach zwei Wochen sowie nach sechs und zwölf Monaten wurden alle Patienten nachuntersucht und bei Residualsymptomen bis zu drei Jahren weiterbetreut. Zur Beurteilung des Behandlungserfolgs wurden das klinische Bild, die Liquorbefunde und spezifische Antikörpertiter herangezogen. In beiden Gruppen gingen in den ersten fünf Tagen Nervenschmerzen, meningitische Symptome und Hirnnervenlähmungen deutlich zurück. Motorische und sensorische Defizite brauchten allerdings mehrere Monate bis zur völligen Restitution. Nach zwei Wochen hatten sieben der 36 Penicillin-Behandelten und sechs der 39 Doxycyclin-Patienten nicht auf die Therapie angesprochen. Die vor und nach der Therapie durchgeführten Liquoruntersuchungen unterschieden sich nicht: Bei keinem der 65 klinisch symptomlosen Patienten war nach einem Jahr Zellzahl, Proteingehalt oder IgM-Index pathologisch erhöht. Sechs Patienten aus der Doxycyclin- Gruppe und vier Patienten aus der Penicillin-Gruppe mussten sich einer erneuten Behandlung unterziehen. 22 wurden mit Teilremissionen als «chronische Verläufe» weiterbeobachtet. Nach drei Jahren waren aus beiden Gruppen je drei Patienten nicht völlig wiederhergestellt.
Cephalosporine
Borrelien sind in vitro und im Tierversuch sehr empfindlich auf Ceftriaxon (Rocephin®) und Cefotaxim (Claforan®). Zudem sind diese Antibiotika liquorgängig, auch wenn die Meningen nicht entzündlich verändert sind. Damit schien ihr Einsatz bei der disseminierten und der persistierenden Form vielversprechend.
1987 wurde zunächst an sieben Patienten mit diesen Manifestationen der Lyme-Borreliose (Stadium II oder III) die Wirkung von Ceftriaxon getestet.(14) Alle waren initial hochdosiert mit Penicillin behandelt worden, was die Folgesymptome nicht verhindert hatte. Die Patienten erhielten nun während 14 Tagen intravenös oder intramuskulär Ceftriaxon (2mal täglich 2 g, in einem Fall nur 2mal täglich 1 g). Nur ein Patient mit neurologischen Symptomen zeigte keine Besserung. Bei allen anderen besserten sich Gelenk- und neurologische Symptome rasch; gleichzeitig ging die extreme Müdigkeit, die immer wieder als Leitsymptom des Stadiums II angegeben wird, zurück.
Dieselbe Arbeitsgruppe behandelte 23 Patienten mit unterschiedlichen Organmanifestationen des Stadiums III während 10 bis 14 Tagen entweder mit Penicillin G (täglich 6mal 4 Mio. E intravenös) oder mit Ceftriaxon (täglich 2mal 2 g intravenös).(15) Drei Monate nach Behandlungsende hatten 5 der 10 mit Penicillin behandelten Patienten, jedoch nur einer der 13 Patienten der Ceftriaxongruppe nicht auf die Therapie angesprochen. Die Aussagekraft dieser Studie ist allerdings reduziert, da die Diagnosen heterogen, die Behandlungsdauer unterschiedlich und die Beobachtungsdauer nach Behandlung zu kurz waren.
In einer weiteren Untersuchung wurde der Therapieerfolg von Cefotaxim mit dem von Penicillin bei 21 Patienten mit Bannwarth-Syndrom (Stadium II) verglichen.(16) Zehn Patienten erhielten Penicillin G (4mal täglich 5 Mio. E), elf bekamen Cefotaxim (3mal täglich 2 g); alle Patienten erhielten die Behandlung intravenös während 10 Tagen. Die akute klinische Besserung einschliesslich des Abklingens der Schmerzen war in beiden Gruppen gleich. Mit Penicillin konnte aber bei keinem einzigen Patienten eine ausreichende Borrelien-hemmende Konzentration im Liquor erreicht werden, wohl dagegen aber bei sämtlichen Patienten, die mit Cefotaxim behandelt wurden. Obwohl bei einer mittleren Nachbeobachtungzeit von knapp acht Monaten in beiden Gruppen kein klinischer Unterschied und keine Rückfälle aufgetreten waren, folgern die Autoren, dass die bessere Liquorgängigkeit des Cephalosporins für den langfristigen Verlauf von Vorteil sei.
Die beiden Cephalosporine Ceftriaxon und Cefotaxim wurden bei 33 Patienten mit Lyme-Neuroborreliose (Stadium II) prospektiv und randomisiert gegeneinander getestet.(17) 17 Patienten erhielten Ceftriaxon in einer einzelnen Tagesdosis von 2 g intravenös, 16 Patienten Cefotaxim 3mal täglich 2 g intravenös, jeweils über 10 Tage. Bei 29 Patienten konnten Liquorspiegel des Antibiotikums gemessen werden; fast alle lagen im wirksamen Bereich gegen Borrelia burgdorferi. 26 von 30 Patienten besserten sich klinisch während der Behandlung. Bei Nachuntersuchungen nach durchschnittlich acht Monaten waren aber nur 17 von 27 Patienten völlig symptomlos. Bei einem Patienten der Ceftriaxon-Gruppe konnte Borrelia burgdorferi noch sieben Monate nach der Therapie aus dem Liquor isoliert werden. Die Autoren folgern aus ihren Ergebnissen, dass die beiden Cephalosporine ähnlich gut wirken, dass diese Medikamente aber in höherer Dosis oder während längerer Zeit gegeben werden sollten.
Schliesslich wurden in einer multizentrischen Studie 73 Patienten mit früher Lyme-Borreliose (Stadium I und II) verglichen, die entweder Ceftriaxon (täglich 1 g intramuskulär über 5 Tage) oder Penicillin V (dreimal täglich 1 Mio. E per os über 12 Tage) erhielten.(18) Diese kurze Ceftriaxon- Therapie war der Penicillin-Therapie bei solchen Patienten überlegen, die neben dem Erythema migrans Hinweise auf Disseminierung des Erregers (Stadium II-Symptome) aufwiesen. Die Autoren empfehlen deshalb die orale Penicillin- Therapie nur bei Patienten, die ausschliesslich ein Erythema migrans aufweisen, und die Gabe des Cephalosporins in den Fällen mit Hinweisen auf Dissemination der Erreger, also mit zusätzlichen systemischen Symptomen.
Schlussfolgerungen
Es besteht Einigkeit darüber, dass grundsätzlich jedes klinische Stadium der Lyme-Borreliose antibiotisch behandelt werden sollte. Kontrovers diskutiert wird jedoch die Wirksamkeit der einzelnen Antibiotika bei den verschiedenen Manifestationsformen und Stadien der Borreliose. Eine kritische Analyse der vorliegenden Studien zeigt, dass noch Wissenslücken vorhanden sind. So fehlen noch vergleichende Untersuchungen bei Patienten mit Arthritis zwischen parenteralen Cephalosporinen und oralem Doxycyclin bei adäquater Therapiedauer und methodisch einwandfreie Vergleiche mit grösseren Patientenzahlen zwischen parenteralem Penicillin und Cephalosporinen. Zweifellos muss bei der vielfältigen Symptomatik der Lyme-Borreliose mit ihren unterschiedlichen Schweregraden und der Möglichkeit «nur» lokalisierter oder disseminierter und schliesslich chronischer Verlaufsformen die Therapie auch nach der Verhältnismässigkeit ausgewählt werden.
So empfehlen amerikanische Autoren für wenig symptomatische Formen aller Stadien eine orale Doxycyclin-Behandlung. Demgegenüber wird Penicillin (per os) für frühe Stadien (I und II) von einigen europäischen Autoren als gleich gut eingestuft, sofern es hoch genug dosiert und lange genug gegeben wird. Einige Autoren bevorzugen wegen der inzwischen beobachteten Penicillin-resistenten Borrelien-Stämme jetzt Amoxicillin (Clamoxyl® u.a.).
In Europa empfehlen anderseits die meisten Experten für alle Manifestationen der Stadien der Dissemination, also der akut-entzündlichen artikulären, neurologischen, kutanen und/oder kardialen Manifestationen, eine parenterale Behandlung (siehe unten).
Es scheint heute auch evident zu sein, dass der Therapiedauer für den Behandlungserfolg ein entscheidender Stellenwert zukommt. Patienten mit den Stadien I und II einer Lyme-Borreliose sollten auf keinen Fall weniger als 14 Tage behandelt werden. Für Stadium III-Patienten ist auch dies noch zu kurz. So besserten sich in einer soeben erschienenen Arbeit nur 17 von 27 Patienten (63%) mit chronisch-neurologischen Manifestationen einer Lyme- Borreliose nach 14tägiger Gabe von Ceftriaxon in einer Tagesdosis von 2 g.(19) Bei diesen Patienten kann möglicherweise nur mit hoher Dosierung und langer Therapiedauer (z.B. drei bis vier Wochen) eine Besserung erzielt werden.
Therapieempfehlungen
Für Patienten mit lokalisierter Manifestation (Stadium I) kommt somit eine der folgenden oralen Therapien in Frage:
-- Penicillin V (3mal 1,5 Mio. E/Tag, 14 Tage), oder
-- Amoxicillin (3 g/Tag, in 3 bis 4 Dosen, 14 Tage), oder
-- Doxycyclin (1mal 200 mg/Tag, 14 Tage). Gegenüber der Verabreichung anderer Tetrazykline (die auch möglich ist) hat die Gabe von Doxycyclin in einer Tagesdosis den Vorteil der vereinfachten Einnahme und damit einer besseren Compliance. Zudem gibt es Hinweise in vitro, dass eine hohe Spitzenkonzentration des Antibiotikums einem gleichmässigeren niedrigeren Spiegel überlegen ist (Preac-Mursic V, persönliche Mitteilung).
Bei Kindern, für die sich bis zur kompletten Zahnentwicklung Tetrazykline verbieten, sind Penicillin V (200 000 E pro kg Körpergewicht pro Tag, auf 3 Gaben verteilt, 14-21 Tage) oder Amoxicillin (80 mg pro kg Körpergewicht pro Tag, auf 3 Gaben verteilt, 14-21 Tage) die Mittel der Wahl. Bei Unverträglichkeit müsste auf Erythromycin ausgewichen werden, das allerdings in den vergleichenden Studien die geringste Wirkung zeigte. Die Dosierung von Erythromycin wird nach dem Alter der Kinder gestaffelt:
Drei- bis achtjährige erhalten täglich 3 bis 4 Dosen zu 250 mg; neun- bis zwölfjährige 3 bis 4 Dosen zu 500 mg. Bei Kindern über 12 Jahren kann wie bei Erwachsenen zwischen Tetrazyklinen und Penicillin gewählt werden.
Für die parenterale Behandlung von fortgeschrittenen Stadien kommt Penicillin G (4mal täglich 5 Mio. E intravenös, über 2 bis 4 Wochen) oder Ceftriaxon (1- oder 2mal 2 g intravenös, über 2 bis 3 Wochen) in Frage. Bei chronischneurologischen Krankheitsformen ist zu beachten, dass die Blut-Liquorschranke von Penicillin und Tetrazyklinen nur bei entzündeten Meningen und hohen Dosen gut passiert wird; bei nicht-entzündeten Meningen ist die Passage jedoch ungenügend. In den vorliegenden Studien, bei denen Liquorspiegel bestimmt wurden, konnten mit Penicillin keine adäquaten Konzentrationen erreicht werden, wohl aber mit den Cephalosporinen. Somit ist bei chronischer Lyme-Neuroborreliose die Verabreichung des (vergleichsweise sehr kostspieligen) Cephalosporins gerechtfertigt.
Literatur
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- 2) Steere AC et al. Arthritis Rheum 1977; 20: 7-17
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- 5) Wilske B et al. Lancet 1985; 1: 1099
- 6) Asbrink E, Hovmark A. Ann NY Acad Sci 1988; 539: 4-15
- 7) Costello CM et al. J Infect Dis 1989; 159: 136-9
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- 11) Steere AC et al. N Engl J Med 1985; 312: 869-74
- 12) Herzer P. Klin Wochenschr 1988; 66 (Suppl XIII): 119
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- 16) Pfister HW et al. Arch Neurol 1989; 46: 1190-4
- 17) Pfister HW et al. Fourth International Conference on Lyme- Borreliosis, Stockholm, June 18-21, 1990 (Abstract M/TU-P-118)
- 18) Weber K et al. Infection 1990; 18: 91-6
- 19) Logigian EL et al. N Engl J Med 1990; 323: 1438-44
Standpunkte und Meinungen
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