Psychopharmaka für nicht-psychotische Kinder
- Reviewer: Dieter Bürgin, Hans-Ulrich Fisch, Kiem Tho Liem-Loo
- pharma-kritik-Jahrgang 11
, Nummer 21, PK607
Redaktionsschluss: 14. November 1989 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Übersicht
Leichte psychische Störungen kommen bei 25 bis 30% der Schulkinder vor; schwerwiegende Verhaltensanomalien sind aber deutlich seltener (1 bis 1,5%).(1) Bei Kleinkindern findet man hauptsächlich psychosomatische Erkrankungen und Angstsyndrome; später treten auch Depressions-, Zwangs- und Konversionssyndrome auf. Enuresis und Enkopresis können psychische Ursachen haben. Im späten Kleinkindesalter und im frühen Schulalter fallen Kinder mit minimaler zerebraler Dysfunktion, mit Teilleistungsschwächen und mit hyperkinetischem Syndrom auf. Fremd- und Autoaggressivität, Schulverweigerung und neurotische Fehlentwicklungen findet man zusätzlich im Schulalter. Essstörungen kommen im Säuglings- und Kleinkindesalter sowie ab der Vorpubertät als Anorexia nervosa und Bulimia nervosa vor.(1)
Eigentliche affektive Psychosen findet man im Vorschulund frühen Schulalter selten. Schizophrenie und Autismus können bereits im frühen Kindesalter auftreten.
Im Rahmen der Gesamttherapie ist die Pharmakotherapie nur ein kleiner Teil neben Elternberatung und -therapie, Milieu- und Soziotherapie, Heilpädagogik und Psychotherapie. Im folgendem werden die Kind-spezifischen Indikationen für psychotrope Medikamente näher beleuchtet.
Depressionssyndrome
Im Gegensatz zu den affektiven Psychosen, die im Kindesalter praktisch nicht vorkommen, sind psychogene und somatogene Depressionen häufig (2-4% bei Kindern, 5- 10% in der Adoleszenz).(2) Stellt man die Diagnose nach deskriptiv-phänomenologischen Kriterien (Diagnostic and Statistical Manual, DSM III-R), so wird das Bild der «Major Depression» auch bei Kindern beobachtet. Das Hauptmanifestationsalter liegt zwischen dem 11. und 14. Lebensjahr, Mädchen sind doppelt so häufig betroffen. Psychogene Depressionen -- sie machen 75% der kindlichen Depressionen aus -- werden primär mit psychotherapeutischen Methoden angegangen, die in der Regel eine Behandlung der Eltern einschliessen. Antidepressiva gelten nur bei schweren Formen und bei Suizidgefahr als indiziert. Von den verschiedenen Antidepressiva ist bei Kindern nur Imipramin etwas genauer untersucht worden.
In einer 5 Wochen dauernden, doppelblinden Studie mit 38 depressiven Kindern wurde die Wirkung von Imipramin (Tofranil®) und Placebo verglichen. Die Imipramin-Dosis betrug bis zu 5 mg/kg/Tag, auf drei Gaben verteilt. Die Beurteilung erfolgte durch zwei unabhängige Psychiater mittels für Kinder adaptierter Depressions-Symptom- Skalen. In keinem der untersuchten Kriterien ergaben sich signifikante Unterschiede zwischen Imipramin und Placebo.
Anschliessend wurde bei 30 Kindern untersucht, ob die Wirkung von Imipramin mit den erreichten Plasmaspiegeln korreliert. (Plasmaspiegel entsprechen der Summe der Werte von Imipramin plus dem aktiven Metaboliten Desipramin.) Lag diese Plasmakonzentration unter 150 ng/ml, so fand sich kaum eine erwünschte Wirkung. Von den 20 Kindern, die einen Plasmaspiegel von mehr als 150 ng/ml aufwiesen, zeigten dagegen nur drei keine Besserung.(3)
In einer Studie mit 22 depressiven Kindern im Alter von sieben bis zwölf Jahren wurden die Plasmaspiegel und die unerwünschten Wirkungen nach Verabreichung von Imipramin (75 mg/Tag) untersucht. Traten nach drei Wochen keine unerwünschten Wirkungen auf, so wurde die Dosis erhöht bis zu einem Maximum von 5 mg/kg/Tag. Wenn sich unerwünschte Wirkungen zeigten, so wurde die Dosis reduziert. Bei identischer Tagesdosis ergab sich eine sehr grosse interindividuelle Variation der Plasmaspiegel (wie dies auch bei Erwachsenen beobachtet wird). Es liess sich keine Korrelation zwischen subjektiven unerwünschten Wirkungen und Plasmaspiegel feststellen. Kardiale Nebenwirkungen wurden ebenfalls erfasst; Pulsbeschleunigung, Erhöhung des diastolischen Blutdruckes und EKGVeränderungen liessen sich ab 225 ng/ml zunehmend feststellen. Ein Kind war verwirrt und hatte EEG-Veränderungen bei einem Plasmaspiegel von 481 ng/ml.(4)
Enuresis
Im vierten bis fünften Altersjahr nässen noch etwa 10% der Kinder ein. Knaben sind häufiger betroffen, meist besteht nur nächtliches Einnässen. Bei primärer Enuresis, d.h. wenn das Kind nie trocken war, müssen urologische Ursachen ausgeschlossen werden. Besonders bei sekundärem Einnässen sollte an einen Urininfekt gedacht werden. Neben genetischer Belastung und milieureaktiven Faktoren kommen Entwicklungsverzögerung, geistige Behinderung und nächtliche epileptische Anfälle als Ursache in Frage. Als nicht-medikamentöse Therapie werden heilpädagogische Massnahmen und Konditionierungstherapie angewandt. Heilpädagogische Massnahmen sollen eine Veränderung der Einstellung zum Einnässen bei Kind und Eltern bewirken. Empfohlen werden Verzicht auf Bestrafung, Blasentraining tagsüber sowie kontrollierte Bla-senentleerung vor dem Zubettgehen. Die Kinder sollten abends nicht übermässig trinken. Die Konditionierungstherapie wird mit einer sog. Bettnässmatte durchgeführt. Wird die Matte feucht, so wird ein Wecksignal ausgelöst.
Antidepressiva
Medikamente werden zur Ergänzung und Verstärkung der Grundtherapie eingesetzt. Imipramin gilt als das Medikament der Wahl zur Behandlung der Enuresis. Die Wirkung von Imipramin (25 mg/Tag, bzw. 50 mg/Tag für Kinder älter als 12 Jahre) wurde in einer doppelblinden Studie mit 47 Kindern untersucht. Nach den acht Studienwochen zeigte sich eine Reduktion der «nassen Nächte» von sechs auf fünf mit Placebo bzw. von sechs auf drei unter Imipramin. Durch den partiellen Crossover-Aufbau der Studie erhielten insgesamt 36 Kinder zumindest während vier Wochen Imipramin. Sechs von diesen waren bei Studienende vollständig «trocken».(5)
In einer Studie mit 40 Kindern verglich man während 14 Wochen die Enuresishäufigkeit unter folgenden drei Therapieschemata: (1) Imipramin (25 mg/Tag für Kinder unter 32 kg, 50 mg für schwerere), (2) Konditionierungstherapie mit Enuresis-Alarm-Matte oder (3) Aufnahme der Kinder in eine Warteliste zwecks späterer Behandlung. Zu Beginn lag das Einnässrisiko pro Nacht bei ungefähr 70%. Unter Imipramin reduzierte sich das Einnässen auf rund 40%, was gegenüber der Warte-Gruppe (60%) keinen signifikanten Unterschied darstellt. Die Konditionierungstherapie mit der Enuresis-Alarm-Matte war sowohl der Imipramin- Therapie sowie der Warte-Gruppe signifikant überlegen; sie reduzierte das Einnässen auf etwa 8%. Alle mit Imipramin erfolgreich behandelten Kinder nässten wieder ein, während unter Enuresis-Alarm nur die Hälfte rückfällig wurde.(6)
Desmopressin
Desmopressin (Vasopressin Sandoz®) wird ebenfalls zur Therapie der Enuresis empfohlen. Im Vergleich mit der Enuresis-Alarm-Matte sind ein ähnlicher Erfolg und deutlich mehr Rückfälle zu erwarten.(7)
Hyperkinetisches Syndrom
Das hyperkinetische Syndrom entspricht ungefähr dem mit dem englischen Ausdruck «Attention Deficit Disorder » bezeichneten Bild.
Die Angaben über seine Häufigkeit schwanken zwischen 3 und 15%. Knaben sind häufiger betroffen als Mädchen. Als Ursachen vermutet man organische Läsionen und/oder Funktionsbeeinträchtigung des ZNS, genetische Faktoren sowie exogene (z.B. nutritive) Faktoren. Die Klassifikation (nach DSM-III-R-Symptomliste) orientiert sich an drei Hauptmerkmalen: Aufmerksamkeitsstörungen, Impulsivität und motorische Hyperaktivität. Zudem wird ein Krankheitsbeginn vor dem siebenten Altersjahr sowie eine Krankheitsdauer von mindestens sechs Monaten gefordert.
Stimulantien
Nur ein Teil der Kinder spricht auf die Behandlung mit Stimulantien an. Nach einer Übersicht liegt die Erfolgsrate von Amphetamin, Methylphenidat (Ritalin®) und Pemolin (Stimul®) bei rund 75%, diejenige von Placebo bei 40%.(8) Stimulantien verlängern die Konzentrationsspanne, verbessern das Konzentrationsvermögen, verringern die Impulsivität und verändern das Verhalten, sodass es im sozialen Rahmen erträglich wird. Allerdings ist ein Langzeiterfolg durch Stimulantien allein nicht zu erreichen.
Amphetamin (0,1-0,5 mg/kg/Tag) wurde bereits Ende der dreissiger Jahre zur Behandlung der Hyperaktivität angewandt. Es wird glomerulär filtriert und pH-abhängig rückresorbiert. Dadurch wird seine Kinetik zum grossen Teil von der Azidität des Urins bestimmt, was das Festlegen der Dosis erschwert.
Methylphenidat gilt als Medikament der Wahl. Es wird in Dosen von 0,3 bis 1,0 mg/kg/Tag gegeben. Die Tagesdosis kann auf zwei Dosen verteilt werden (z.B. 10 mg morgens und 5 mg mittags). Die Wirkung einer 10 mg-Tablette (unmittelbar nach dem Frühstück eingenommen) beginnt nach einer halben Stunde und hält für vier Stunden an.
Eine Übersicht über die Therapie von 872 mit Stimulantien (Amphetamin, Methylphenidat) behandelten hyperaktiven Kindern ergab, dass die Behandlungsdauer für Knaben bei 3 bis 5, die für Mädchen bei 2 bis 3 Jahren lag. Wenn nach Monaten oder Jahren die Wirkung eines Medikamentes nachliess bzw. die Nebenwirkungen zunahmen, wurde jeweils auf das andere Stimulans umgestellt, was wieder zur vollen Wirkung führte. Eine solche Toleranzentwicklung wurde bei 37 von 100 Kindern beobachtet.(9)
Pemolin ist ein Stimulans, dass nur einmal täglich gegeben werden muss. Nach längerer Verabreichung liegt die Halbwertszeit bei 25 Stunden, mit einer starken individuellen Variabilität von plus/minus 10 Stunden.(10)
In einer acht Wochen dauernden doppelblinden Studie mit 60 hyperaktiven Kindern wurde Pemolin mit Methylphenidat und Placebo verglichen. Beurteilt wurde der Therapieeffekt anhand von Fragebogen (Eltern, Lehrer), psychologischen Tests und psychiatrischen Interviews. In der Gesamtbeurteilung wurde eine Verbesserung durch Pemolin in 88%, durch Methylphenidat in 90% und durch Placebo in 34% der Fälle erreicht. Dabei fiel auf, dass Pemolin seine volle Wirkung nicht vor der vierten bis achten Woche erreicht.(11)
Wichtige unerwünschte Wirkungen der Stimulantien sind Schlafstörungen, Appetitverminderung und Gewichtsverlust. Ferner kommen Kopfschmerzen, Müdigkeit, Schwindel, Übelkeit und Verstimmung bis zur Depression vor. Ob Kinder durch die Wachstumsverzögerung unter Stimulantien kleiner bleiben, ist umstritten. Nach Absetzen des Medikamentes kommt es zu einem verstärkten Wachstumsschub, der zumindest einen Teil des verpassten Wachstums kompensiert. Stimulantien können einen reversiblen psychotischen Schub auslösen. Ein Tourette-Syndrom kann sich ebenfalls entwickeln. Daher gelten Tics beim Kind oder in seiner Familie als Kontraindikation für Stimulantien. Die Suchtgefahr spielt bei hyperaktiven Kindern keine Rolle.
Antidepressiva
Die Wirksamkeit von Antidepressiva bei hyperaktiven Kindern wurde in verschiedenen Studien untersucht. Neben methodischen Problemen erschweren die uneinheitlichen Diagnosekriterien eine Beurteilung. In einer placebokontrollierten Doppelblindstudie mit 76 Knaben wurde Imipramin mit Methylphenidat verglichen. Einschlusskriterien waren seit mindestens 2 Jahren bestehende Symptome wie Ablenkbarkeit, Ruhelosigkeit, Impulsivität. Folgende Methoden wurden angewandt, um den Therapieerfolg zu quantifizieren: Gesamteindruck von Arzt, Lehrer und Psychologen; Urteil der Eltern und Lehrer mittels Symptomlisten; psychologische Tests und Messung der kognitiven Leistung. Beide Medikamente waren dem Placebo überlegen, wobei mit Methylphenidat eine stärkere Verbesserung erreicht wurde. Unter Imipramin traten unerwünschte Wirkungen (Schwindel, Verstopfung, Hypertonie) signifikant häufiger auf. Die Kinder, die unter Imipramin die deutlichste Steigerung in den kognitiven Tests zeigten, waren zu Studienbeginn als besonders ängstlich und gehemmt aufgefallen.(12) Die Nachuntersuchung ein Jahr nach Studienabschluss zeigte, dass Imipramin bei vielen Kindern wegen Nachlassen des Therapieerfolges abgesetzt werden musste.
In einer nur zwei Wochen dauernden Studie mit 22 Kindern wurde die Wirkung von Amitriptylin (Saroten® u.a.) und Methylphenidat verglichen, und als gleich wirksam befunden. Amitriptylin war stark sedierend, zeigte aber sonst nur geringe unerwünschte Wirkungen.(13)
Aggressivität, Autoaggressivität
Als medikamentöse Unterstützung einer Grundtherapie werden Lithium (Quilonorm® u.a.) sowie, bei schwerer raptusartiger Aggression, Neuroleptika (z.B. Haloperidol = Haldol® oder Sigaperidol®; Pipamperon = Dipiperon®) empfohlen. Steht die Aggression in Zusammenhang mit Depression oder hyperkinetischem Syndrom, so kann die medikamentöse Behandlung entsprechend ausgerichtet werden.
In einer randomisierten doppelblinden Studie mit 61 hospitalisierten, aggressiven Kindern wurde die Wirksamkeit von Lithium und Haloperidol untersucht. Die nur 6 Wochen dauernde Studie hatte folgende Einschlusskriterien: kein Ansprechen auf andere Behandlung inkl. Psychopharmaka, keine Psychose sowie keine geistige Behinderung. Haloperidol wurde einschleichend von 1 mg/Tag bis maximal 16 mg/Tag gegeben, falls die unerwünschten Wirkungen nicht eine Reduktion erforderten. Initial wurden täglich 250 mg Lithium verabreicht und die genaue Dosierung nach Speichelkonzentrationsbestimmung titriert. Aggressivität, Hyperaktivität und feindseliges Verhalten wurden von beiden Medikamenten gegenüber Placebo signifikant verbessert. Die Nebenwirkungen von Haloperidol (Sedation, akute dystone Reaktion, Tremor) schienen die Kinder im Alltag stärker zu behindern als diejenigen von Lithium (Bauchschmerzen, Kopfschmerzen, Tremor).(14)
Schul- und Lern-Schwierigkeiten
Störungen der Aufmerksamkeit, des Lernverhaltens und der Motivation führen zu unspezifischen Leistungsschwächen. Viele Ursachen sind möglich: Milieubedingte Verwahrlosung, psychoreaktive Depression, schizophrene Psychosen, hyperkinetisches Syndrom, sowie organisch bedingte Hirnschädigung. In einzelnen Fällen (z.B. Hypothyreose, Phenylketonurie) ist eine kausale Therapie möglich.
Piracetam (Nootropil®) ist ein sogenanntes Nootropikum, welches besonders zur Behandlung der Legasthenie empfohlen wird. Einige Studien mit vielfältigen Test-Batterien konnten für einzelne der untersuchten Kriterien (deren Praxisrelevanz nicht immer ganz klar ist) einen signifikanten Erfolg zeigen.
In einer 12 Wochen dauernden Multizenter-Studie (doppelblind und placebokontrolliert) mit 244 normal intelligenten, legasthenischen Knaben wurde der Effekt von Piracetam untersucht. Die Lesegeschwindigkeit in der Piracetam- Gruppe verbesserte sich um 7 Worte pro Minute, während die Placebo-Gruppe nur um 3,2 Worte pro Minute schneller las. Kein signifikanter Unterschied war bei anderen Kriterien wie Lese-Genauigkeit und Verständnis des Gelesenen zu finden. Eine Verbesserung des auditiven Kurzzeitgedächtnisses war nur bei Kindern mit relativ schlechten Ausgangswerten zu finden.(15)
Zwangssyndrome
Zwangsphänomene sind im Kindesalter häufig und keinesfalls generell krankhafter Natur. Als krankhaft gilt ein Gedanke oder eine Handlung erst, wenn sich das Kind erfolglos dagegen wehrt. Bei schweren Fällen kann erst durch Medikamente eine Psychotherapie ermöglicht werden.
Antidepressiva
Besonders Clomipramin (Anafranil®) soll bei Zwangssymptomen hilfreich sein. In einer randomisierten doppelblinden Studie mit 19 zwangshaften Kindern wurde die Wirkung von Clomipramin mit derjenigen von Placebo verglichen. Clomipramin (50 mg/Tag, allmählich gesteigert bis auf maximal 200 mg/Tag) zeigte in ungefähr 75% der Fälle eine Verbesserung der Zwangssymptome und war damit dem Placebo signifikant überlegen. Keine signifikanten Unterschiede wurden in bezug auf Depression, Angst und allgemeine Symptomatologie festgestellt. Neben cholinergischen unerwünschten Wirkungen kam es zu einem Grand-Mal-Anfall und zu Entzugssymptomen bei einigen Kindern.(16)
Mittels einer doppelblinden Crossover-Studie bei 21 zwangshaften Kindern wurde Clomipramin mit Desipramin (Pertofran®) verglichen. Nach einer zweiwöchigen Beobachtungsphase wurden zwei fünfwöchige Therapie- Blöcke durchgeführt. Die Dosis der Medikamente wurde bis zum Auftreten von unerwünschten Wirkungen bzw. bis maximal 3 mg/kg/Tag erhöht. Unter Clomipramin war das zwangshafte Verhalten signifikant stärker reduziert als unter Desipramin. Interessanterweise war Clomipramin als zweites Medikament nach Desipramin deutlich wirksamer, als wenn es zuerst gegeben wurde.(17)
Schlussfolgerungen
Kinder mit depressiven Syndromen benötigen selten Medikamente. Entschliesst man sich doch einmal zu einer Behandlung mit trizyklischen Antidepressiva, so sind die grossen interindividuellen Unterschiede in der Kinetik dieser Medikamente zu berücksichtigen. Um einen Therapieerfolg zu sichern und um gefährliche Nebenwirkungen zu vermeiden, sollten die Plasmaspiegel überwacht werden.
Trizyklische Antidepressiva (besonders Imipramin) werden auch bei Enuresis eingesetzt. Da sie allein nicht sehr wirkungsvoll sind, sollten sie nur zusammen mit geeigneten psychotherapeutischen Massnahmen angewandt werden. Nach Absetzen des Medikamentes kommt es oft zu einem Rückfall. Für «Notsituationen» (z.B. Schulausflug) ist möglicherweise das rasch wirksame Desmopressin geeignet. Sehr gute Resultate haben sich mit der aufwendigen Konditionierungstherapie mittels Enuresis-Alarmmatte ergeben.
Beim hyperkinetischen Syndrom kann in einzelnen Fällen eine medikamentöse Unterstützung der Behandlung unumgänglich sein. Hier kommt primär Methylphenidat in Frage. Antidepressiva gelten wegen geringer Wirkung und erheblichen unerwünschten Wirkungen sowie wegen einer möglichen Toleranzentwicklung nicht als Therapie erster Wahl. Sie können aber bei ängstlich-gehemmten Kindern besonders hilfreich sein.
Wieweit der Einsatz von psychotropen Medikamenten bei Aggressivität über längere Zeit oder für nicht-hospitalisierte Kinder in Frage kommt, ist nicht klar.
Schul- und Lern-Schwierigkeiten haben sehr verschiedene Ursachen. Ob die teilweise Verbesserung des Kurzzeitgedächtnisses und die Erhöhung der Lesegeschwindigkeit durch Nootropika den Patienten wirklich nützt, ist äusserst fraglich.
Zwangssyndrome sind kaum je eine Indikation für Medikamente. Am ehesten steht Clomipramin zur Diskussion.
Literatur
- 1) G. Nissen et al.: Kinder- und jugendpsychiatrische Pharmakotherapie in Klinik und Praxis, Springer Berlin, 1984
- 2) J. Shaw: Med. Clin. N. Am. 72: 831, 1988
- 3) J. Puig-Antich et al.: Arch. Gen. Psychiatry 44: 81, 1987
- 4) S.H. Preskorn et al.: Am. J. Psychiatry 140: 1332, 1983
- 5) A.F. Poussaint und K.S. Ditman: J. Pediatr. 67: 283, 1965
- 6) W. Wagner et al.: J. Pediat. 101: 302, 1982
- 7) S. Wille: Arch. Dis. Childh. 61: 30, 1986
- 8) R.A. Barkley: J. Child Psychol. Psychiatry 18: 137, 1977
- 9) W. Eichlseder: Pediatrics 76: 176, 1985
- 10) F. Sallee et al.: Clin. Pharmacol. Ther. 37: 606, 1985
- 11) C.K. Conners und E. Taylor: Arch. Gen. Psychiatry 37: 922, 1980
- 12) J. Rapoport et al.: Arch. Gen. Psychiatry 30: 789, 1974
- 13) L.E. Yepes et al.: J. Child Psychol. Psychiatry 18: 39, 1976
- 14) M. Campbell et al.: Psychopharmacol. Bull. 18: 126, 1982
- 15) M. di Ianni et al.: J. Clin. Psychopharmacol. 5: 272, 1985
- 16) M.F. Flament et al.: Arch. Gen. Psychiatry 42: 977, 1985
- 17) H. Leonard et al.: Psychopharmacol. Bull. 24: 93, 1988
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