Kein Interesse an Transparenz?
- Autor(en): Etzel Gysling
- pharma-kritik-Jahrgang 42
, Nummer 2, PK1110
Redaktionsschluss: 31. August 2020 - PDF-Download der Printversion dieses Artikels
Wir denken gern, wir seien in unseren therapeutischen Entscheiden durchaus unabhängig und würden uns ausschliesslich von wissenschaftlichen Überlegungen und den Interessen unserer Patientinnen und Patienten lenken lassen. Das ist zweifellos ein Irrtum. Alle Menschen, auch diejenigen mit den besten Intentionen, sind von Erfahrungen aller Art beeinflusst, ohne sich dessen notwendigerweise bewusst zu sein. Es ist deshalb nicht belanglos, welchen Erfahrungen wir ausgesetzt sind. Offensichtlich ist dabei zudem, dass nicht nur unsere persönlichen Erfahrungen und Erlebnisse in Klinik und Praxis bzw. in der Offizin wichtig sind, sondern ganz massgeblich die Inhalte, die uns im Rahmen der Aus- und Fortbildung angeboten werden. Damit erklärt sich die überragende Rolle, die in diesem Rahmen den Personen zukommt, die unsere Meinung beeinflussen.
«Lehrerinnen» und «Lehrer» - Professoren, Klinikchefs, Spezialisten aller Disziplinen – vermitteln uns im Idealfall Informationen, die positive und negative Aspekte gleichermassen berücksichtigen. Dies ist unter anderem auch bei der Vermittlung von Leitlinien unbedingt wünschenswert. Diese «Opinion Leaders» sind natürlich in der Regel auch diejenigen, die zu den jeweiligen Themen über die grösste klinische Erfahrung verfügen. Es ist klar, dass sie deshalb für die Lehre prädestiniert erscheinen. Aber auch die «führenden Köpfe» sind noch von anderen Erfahrungen beeinflusst – sie haben leitend an Studien teilgenommen, sind mit weiteren Aufgaben beauftragt gewesen und haben Vorträge gehalten, alles im Auftrag bzw. mit Honorierung durch die Industrie. So ist heute allgemein anerkannt, dass sich in manchen Fällen ein relevanter Interessenkonflikt ergibt.
In einer neuen Studie wurde das Ausmass der finanziellen Entschädigungen bei «Opinion Leaders» in den USA untersucht, wobei Disziplinen ausgesucht wurden, die zu hohen Kosten führen können. Von 2017 bis 2019 erhielten rund drei Viertel dieser Leute Geld von der Industrie, insgesamt etwa 130 Mio. US$ (1). Eine andere Studie befasste sich mit den finanziellen Interessenkonflikten der Personen, die für kanadische klinische Leitlinien verantwortlich zeichnen: Obwohl gewisse Interessenkonflikte auf den Websites der Herausgeber verzeichnet waren, enthielten die Leitlinien selbst keine Angaben zu den finanziellen Entschädigungen der Autoren und Autorinnen (2). Ein kurzer Blick in die via guidelines.fmh.ch empfohlenen Leitlinien lässt erkennen, dass sich dies in der Schweiz grösstenteils nicht anders verhält. Wäre es nicht an der Zeit, echte Transparenz zu schaffen und offen zu deklarieren, an wen oder an welche Institute die auch bei uns reichlich ausbezahlten Millionen gehen?
Literatur
- 1) Moynihan R, Albarqouni L, Nangla C Finacial ties between leaders of influential US professional medical associations and industry: cross sectional study. BMJ. 2020;369:m1505
- 2) Elder K, Turner KA, Cosgrove L, et al. Reporting of financial conflicts of interest by Canadian clinical practice guideline producers: a descriptive study. CMAJ. 2020;192(23):E617-E625
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