Schwierige Fragen
- Autor(en): Etzel Gysling
- pharma-kritik-Jahrgang 42
, Nummer 5, PK1134
Redaktionsschluss: 31. Januar 2021
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2020.1134 - PDF-Download der Printversion dieses Artikels
ceterum censeo -- Schwierige Fragen
In einer Zeit, die ganz und gar von einem Thema – COVID-19 – dominiert wird, tauchen schwierige Fragen auf, wenn man sich mit Pharma-Kritik befasst. Sind wir zu kritisch einer Industrie gegenüber, die uns so nützliche Dinge bringt wie zuverlässige Tests und vielversprechende Impfstoffe? Aber auch andere Aspekte müssen hinterfragt werden: Die Auseinandersetzung mit Nutzen und Risiken der Pharmakotherapie zielt ja wesentlich darauf ab, wie sich ein lebenswertes Leben erhalten liesse. Welcher diagnostische Aufwand, welche Arzneimittel-Kosten sind gerechtfertigt, um den Menschen das Leben zu verlängern, wenn dann plötzlich eine massive Übersterblichkeit alter Menschen als unvermeidlich hingenommen wird? Oder mit anderen Worten: Was ist der Wert des Lebens in unserer Welt? Ich habe mir zu diesen Fragen, die sich kaum definitiv beantworten lassen, ein paar Überlegungen gemacht und hoffe, damit weitere Gedanken anzuregen.
Wer die Kritik an der Pharma-Industrie als zu harsch beurteilt, verweist meistens auf die wichtige Rolle der Industrie als Innovatorin. Es ist jedoch so, dass die Firmen diese Rolle in der Regel nur spielen können, wenn sie auch die an den Hochschulen gewonnenen Erkenntnisse nutzen. So ist z.B. die heute so bedeutsame Polymerase-Kettenreaktion (PCR) zwar in einer Biotech-Firma entwickelt worden, beruht aber auf einem Prinzip, das an einer Universität «erfunden» wurde. Rigorose wissenschaftliche Kriterien, die an Hochschulen gelten, müssen zweifellos auch auf die Produkte der Industrie angewandt werden.
Was den Wert des Lebens anbelangt, hat sich in Grossbritannien durchgesetzt, die Kosten einer Therapie an den «Quality Adjusted Life Years» (QALYs) zu messen. Man kann selbstverständlich argumentieren, eine Gesellschaft oder ein Staat hätte nur eine beschränkte Menge Geld für die Gesundheit zur Verfügung und dieses Geld müsse sinnvoll verteilt werden. (Dass gerade die Schweiz, Schweden und Grossbritannien –Länder, die sich gern ihres Gesundheitssystems rühmen – eine besonders hohe COVID-19-Sterblichkeit aufweisen, stimmt nachdenklich.) Das Konzept der QALYs macht nicht nur mir grosse Mühe – es ist generell stark umstritten. Ich denke, dass wir sehr vorsichtig mit den Begriff der Wertigkeit (d.h. der Qualität) des Lebens umgehen müssen. Kriterien eines werten (oder unwerten?) Lebens lassen sich kaum allgemeingültig formulieren. Dies gilt selbstverständlich nicht nur, wenn es um Therapiekosten geht, sondern auch in der aktuellen Pandemie. Denkbar ist ja, dass es mit besseren, wohlüberlegten organisatorischen Massnahmen durchaus gelungen wäre, mehr alte Leute am Leben zu erhalten, ohne gesamthaft höhere Kosten zu verursachen.
Standpunkte und Meinungen
- Datum des Beitrags: 13. Februar 2021 (07:27:09)
- Verfasst von: Dr.med. Markus Gnädinger, Hausarzt (Steinach)
- Kosten pro Lebensjahr
In der jetzigen Pandemiesituation werden Milliarden von Franken eingesetzt, um das Leben von hochbetagten Menschen zu verlängern; diese sind häufig gebrechlich und dement, was den Nenner der qualitätsadjustierten Lebensjahrs verkleinert und somit die Geldsumme pro Jahr erhöht. Dies führt dazu, dass ein durch die Pandemiemassnahmen gewonnenes Lebensjahr grob gerechnet über eine Million Franken kosten dürfte. Man wird auf diese Summe zurückkommen, wenn es später einmal darum geht, die Kostenwirksamkeit z.B. onkologischer Therapien zu beurteilen. Klar, man kann nicht alles in Franken und Rappen messen, was man tut. Auch die Verhinderung des Zusammenbruchs der stationären Gesundheitsversorgung hat ihren Nutzen.
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