ABCB1
- Autor(en): Etzel Gysling
- pharma-kritik-Jahrgang 39
, Nummer 5, PK1024
Redaktionsschluss: 25. September 2017
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2017.1024 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Unter der Bezeichnung «ABCB1-Bestimmung» wird neuerdings die Genotypisierung des ABCB1-Gens empfohlen, die eine Optimierung der Antidepressiva-Therapie ermöglichen soll.
Antidepressiva und P-Glykoprotein
Nur ein Teil der Personen, die mit einem Antidepressivum behandelt werden, profitieren von dieser Therapie.(1) Es ist daher naheliegend, dass man nach Verfahren sucht, die den Therapieerfolg verbessern und das Risiko unerwünschter Wirkungen reduzieren könnten. Dafür bieten sich unter anderem pharmakogenetische Analysen an. Verschiedene Proteine könnten von Bedeutung sein: Die polymorph vererbten Zytochrome CYP2C19 und CYP2D6 sind am Stoffwechsel sehr vieler Antidepressiva beteiligt. Es ist denkbar, dass die entsprechende Genotypisierung in absehbarer Zeit dazu beitragen wird, das individuell geeignetste Antidepressivum zu finden.(2) Aktuell ist die Datenbasis allerdings noch zu gering, als dass solche Untersuchungen für die Praxis empfohlen werden könnten.(3)
P-Glykoprotein (P-gp, siehe auch Tabelle 1) hat dagegen nicht nur für den Metabolismus, sondern auch für die Verteilung vieler Antidepressiva Bedeutung. Insbesondere lässt sich annehmen, dass P-gp als Efflux-Transportprotein an der Blut-Hirn-Schranke im Endothel der hirnversorgenden Kapillaren funktioniert und so die Konzentration und Wirkung von Medikamenten im Zentralnervensystem reduziert.(4) Aufgrund von Tierversuchen kann angenommen werden, dass dieser Mechanismus unter anderem für Amitriptylin (Saroten®), Citalopram (Seropram® u.a.), Doxepin (Sinquan®), Sertralin (Zoloft® u.a.) und Venlafaxin (Efexor® u.a.) von Bedeutung ist. Andere wie z.B. Fluoxetin (Fluctine® u.a.) und Mirtazapin (Remeron® u.a.) sind dagegen nicht Substrat von P-gp.
Das Gen ABCB1, welches P-gp enkodiert, existiert in verschiedenen Allelen. Darauf beruht die Annahme, dass bestimmte Polymorphismen («single nucleotide polymorphisms», SNP) die Wirksamkeit von Antidepressiva beeinflussen. Die SNP werden in einer Datenbank (SNP Databse) katalogisiert und sind mit Nummern (SNP reference cluster identity = rs) bezeichnet.
Studien
Zahlreiche ABCB1-Polymorphismen sind hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die antidepressive Wirkung untersucht worden. Prospektive randomisiert-kontrollierte Studien liegen allerdings noch kaum vor; vielmehr wurden überwiegend Fall-Kontroll-Studien und Kohortenstudien publiziert. Diese Studien, die in der Regel zahlreiche ABCB1-Polymorphismen berücksichtigten und meistens zwischen P-gp-Substraten und Nicht-P-gp-Substraten unterschieden, haben recht unterschiedliche Resultate ergeben. So fand sich in einer frühen Studie für die Polymorphismen rs2032583, rs2235040 und rs2235015 eine Assoziation mit einer günstigeren Wirkung (Remission), wenn P-gp-Substrate eingesetzt wurden.(5) Andere Studien führten aber zu abweichenden Ergebnissen: in einer randomisierten Studie (iSPOT-D), die 10 verschiedene Polymorphismen berücksichtigte, zeigte sich nur für rs10245483 ein Zusammenhang mit positiven und negativen Antidepressiva-Wirkungen.(6) Nochmals andere Polymorphismen wurden auch in anderen neueren Studien als möglicherweise relevant gefunden.(7,8)
Der ABCB1-Test
Mit dem aktuell in der Schweiz verwendeten, von verschiedenen Fachgesellschaften empfohlenen «ABCB1-Gentest»(9) werden die Polymorphismen rs2032583 und rs2235015 bestimmt. Personen, die bezüglich dieser Gene homozygot sind, sollen frühzeitig mit höheren Dosen oder einer Augmentationstherapie behandelt werden oder eine Behandlung mit einem Antidepressivum erhalten, das nicht P-gp-Substrat ist. Die vorliegenden Daten zu dieser Strategie sind jedoch nicht überzeugend. Eine Pilotstudie zeigte zwar bei Homozygoten (rs2032583 und rs2235015) bezüglich Hospitalisationsdauer eine günstige Wirkung, wenn höhere Dosen von P-gp-Substraten gegeben wurden.(10) In einer grösseren neueren Studie konnte ein entsprechender Zusammenhang jedoch nur gezeigt werden, wenn zusätzlich die Antidepressiva-Plasmaspiegel berücksichtigt wurden.(11) Die für diese Studien und Guidelines verantwortlichen Personen sind wesentlich am Unternehmen, das den Gentest herstellt, beteiligt. Unabhängige Studien liegen bisher nicht vor.
Schlussfolgerungen
Wie auch in verschiedenen aktuellen Meta-Analysen und Übersichten bestätigt wird, gibt es zurzeit keinen ABCB1-Test, mit dem die antidepressive Pharmakotherapie zuverlässig gesteuert werden könnte.(3,12,13) Pharmakogenetische Analysen haben aber zweifellos das Potential, zukünftig eine bessere, «individuellere» Therapie zu realisieren. Zuvor gilt es jedoch, sinnvolle Testverfahren zu entwickeln und adäquat auszutesten.
Literatur
- 1) Huhn M et al. JAMA Psychiatry 2014; 71: 706-15
- 2) Nassan M et al. Mayo Clin Proc 2015; 91: 897-907
- 3) Bschor T et al. Nervenarzt 2017; 88: 495-9
- 4) Zheng Y et al. Clin Pharmacokinet 2016; 55: 143-67
- 5) Uhr M et al. Neuron 2008; 57: 203-9
- 6) Schatzberg AF et al. Am J Psychiatry 2015; 172: 751-9
- 7) Ray A et al. Pharmacogenomics J 2015; 15: 332-9
- 8) Bet P et al. Pharmacogenomics J 2016; 16: 202-8
- 9) Holsboer-Trachsler E et al. Schweiz Med Forum 2016; 16: 716-24
- 10) Breitenstein B et al. CNS Spectrums 2014; 19: 165-75
- 11) Breitenstein B et al. J Psychiatr Res 2016; 73: 86-95
- 12) Peterson K et al. Psychopharmacology 2017; 234: 1649-61
- 13) Bousman CA et al. BMC Psychiatry 2017; 17: 60
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