Entzündungshemmer für Herzkranke
- Autor(en): Etzel Gysling
- pharma-kritik-Jahrgang 31
, Nummer 16, PK704
Redaktionsschluss: 10. Mai 2010
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2009.704 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Die nicht-steroidalen Entzündungshemmer («Antirheumatika») sind in Verruf geraten, weil sie nicht nur gastro intestinale, sondern auch kardiovaskuläre und renale Probleme verursachen können. Deshalb werden heute oft Schmerzmittel ohne entzündungshemmende Eigenschaften verschrieben, obwohl diese in vielen Fällen den Antirheumatika unterlegen sind. (1)
Eine aktuelle Übersicht zum Thema
Im britischen «Drug and Therapeutics Bulletin» ist im März 2010 eine Übersicht erschienen zur Frage, ob und wie bei Personen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen Antirheumatika eingesetzt werden können. (2) Einleitend wird rekapituliert, dass nicht-steroidale Entzündungshemmer Zyklooxygenase-Hemmern (COX-Hemmern) entsprechen und dass angenommen werden kann, dass die ungünstigen Wirkungen auf Magen und Darm durch die Hemmung von COX-1 verursacht sind.
Im Kreislaufsystem existiert idealerweise ein Gleichgewicht zwischen der thrombosefördernden Wirkung von Thromboxan-A2 (das mithilfe von COX-1 gebildet wird) und der antithrombotischen Wirkung von Prostacyclin (das mithilfe von COX-2 gebildet wird). Acetylsalicylsäure hemmt COX 1 in den Blutplättchen irreversibel – für die Lebensdauer der betroffenen Plättchen –, aber auch COX-2 in den Endothel zellen, in denen Prostacyclin jederzeit neu gebildet werden kann. Damit verschiebt die Acetylsalicylsäure das Gleichgewicht in die «antithrombotische» Richtung. Dagegen ist die Wirkung der Antirheumatika auf die COX-1 der Blutplättchen reversibel und betrifft damit stärker die COX-2, was zu einer thrombosefördernden Wirkung führen kann.
Auswirkungen auf Herz und Kreislauf
Rofecoxib (Vioxx®) wurde bekanntlich zurückgezogen, weil es im Vergleich mit Placebo häufiger zu Herzinfarkten und Schlaganfällen führte. Die heute zur Verfügung stehenden Daten betreffen in erster Linie Celecoxib (Celebrex®), Diclofenac (Voltaren® u.a.), Ibuprofen (Brufen® u.a.) und Naproxen (Proxen® u.a.). Zu anderen Antirheumatika ist nur wenig bekannt.
Gemäss einer Meta-Analyse von 138 kontrollierten Studien, in denen COX-2-Hemmer mit Placebo oder nicht-selektiven Antirheumatika verglichen wurden, sind insbesondere Herzinfarkte unter COX-2-Hemmern signifikant häufiger als in den Vergleichsgruppen. Kardiovaskuläre Ereignisse kommen jedoch ähnlich häufig auch unter anderen Antirheumatika vor. Sie sind z.B. unter Diclofenac ebenfalls signifikant häufiger als unter Placebo. (3) Celecoxib verursacht gemäss einer Meta-Analyse nicht mehr kardiovaskuläre Komplikationen als andere Antirheumatika; (4) eine andere Meta-Analyse lässt jedoch für Celecoxib auf ein erhöhtes Herzinfarkt-Risiko schliessen. (5) Dass Etoricoxib (Arcoxia ®) zu einem Blutdruckanstieg führen kann und mehr kardiovaskuläre Probleme als Naproxen verursacht, haben wir vor kurzem berichtet. (6)
Meta-Analysen, die neben randomisierten Studien noch weitere Daten verwerten, ergeben ungefähr dieselben Schlussfolgerungen. Obwohl die Datenbasis schmal ist, lässt sich annehmen, dass Naproxen – im Gegensatz zu Diclofenac und Ibuprofen – eine etwas bessere kardiovaskuläre Verträglich keit hat als die COX-2-Hemmer. (7)
Anwendung bei Herz-Kreislauf-Kranken
Die Anwendung von Antirheumatika ist spezifisch bei P(9)ersonen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen nur wenig untersucht worden. In einer Doppelblindstudie fand sich bei Kranken mit Arthrose und Hypertonie ein Anstieg oder eine Destabilisierung des Blutdrucks sowohl unter Rofecoxib als auch unter Celecoxib und Naproxen. (8)
In einer grossen dänischen Beobachtungsstudie zeigte sich bei Personen nach einem Herzinfarkt ein erhöhtes Mortalitätsrisiko, wenn sie einen COX-2-Hemmer, Diclofenac (>100 mg/Tag) oder Ibuprofen (>1200 mg/Tag) einnahmen. (9) Gemäss verschiedenen Studien müssen Kranke mit einer Herzinsuffizienz häufiger wegen einer Zunahme der Herzinsuffizienz behandelt oder hospitalisiert werden, wenn sie Antirheumatika erhalten. (10,11)
Schlussfolgerungen
COX-2-Hemmer und nicht-selektive Antirheumatika erhöhen das Risiko kardiovaskulärer Ereignisse in variablem Ausmass. Wahrscheinlich wirken sie sich besonders dann ungünstig aus, wenn sie längere Zeit in höheren Dosen verabreicht werden.
Lässt sich die Verabreichung von Antirheumatika nicht vermeiden, so soll deshalb auf eine möglichst niedrige Dosis und eine kurze Verabreichungsdauer geachtet werden. Die aktuell vorliegenden Daten lassen vermuten, dass unter den gebräuchlichen Antirheumatika Naproxen das kleinste, Diclofenac das grösste kardiovaskuläre Risiko darstellt. Problematisch ist die Antirheumatika-Gabe insbesondere bei Personen mit einer Herzinsuffizienz-Anamnese. Das Magenrisiko darf nicht vernachlässigt werden und erfordert oft die Verabreichung einer magenschützenden Therapie.
Literatur
- 1) Towheed TE et al. Cochrane Database Syst Rev 2006; (1): CD004257
- 2) Anon. Drug Ther Bull 2010; 48: 26-9
- 3) Kearney PM et al. BMJ 2006; 332: 1302-9
- 4) White WB et al. Am J Cardiol 2007; 99: 91-8
- 5) Chen YF et al. Health Technol Assess 2008; 12: 1-278
- 6) Gysling E. pharma-kritik 2009; 31: 22-4
- 7) http://compare-analgesics.notlong.com/
- 8) Sowers JR et al. Arch Intern Med 2005; 165: 161-9
- 9) Gislason GH et al. Circulation 2006; 113: 2906-12
- 10) Feenstra J et al. Arch Intern Med 2002; 162: 265-70
- 11) Mamdani M et al. Lancet 2004; 363: 1751-6
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