Probleme mit Vareniclin
- Autor(en): Etzel Gysling
- pharma-kritik-Jahrgang 33
, Nummer 5, PK854
Redaktionsschluss: 12. Dezember 2011
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2011.854 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Vareniclin (Champix®) wurde 2006 als Medikament zur Entwöhnung vom Rauchen in den Handel gebracht.(1) Über Probleme mit diesem Medikament haben wir schon vor einigen Jahren berichtet. Es ging dabei um neuropsychiatrische Nebenwirkungen (z.B. manische Episoden).(2) Seither sind weitere Probleme beobachtet worden, die die amerikanische Behörde (FDA) zu wiederholten Revisionen der Produkteinformation veranlasst haben.
So hat die FDA im Juni 2011 eine «Safety Communication» zu den Risiken einer Anwendung von Vareniclin bei Personen mit stabilen Herz-Kreislauferkrankungen veröffentlicht.(3) In der entsprechenden Doppelblindstudie hatte gezeigt werden können, dass auch solche Personen mit Vareniclin eine signifikant höhere Abstinenzrate als mit Placebo erreichen können.(4) Gemäss der FDA-Analyse traten in der Vareniclin-Gruppe jedoch rund doppelt soviele Herzinfarkte auf (bei 2%) als in der Placebo-Gruppe (0,9%).
Kurz darauf wurde eine systematische Übersicht zum Risiko von kardiovaskulären Ereignissen im Zusammenhang mit der Vareniclin-Einnahme veröffentlicht.(5) Diese Meta-Analyse von 14 Doppelblindstudien ergab unter Vareniclin im Vergleich mit Placebo ein signifikant erhöhtes Risiko für klinisch relevante kardiovaskuläre Ereignisse (Ischämien, Arrhythmien, Herzinsuffizienz, kardiovaskulär bedingte Todesfälle). Das absolute Risiko eines solchen Ereignisses war jedoch nur um 0,24% höher (Vareniclin: 1,06%, Placebo 0,82%).
Anderseits muss auch das Risiko neuropsychiatrischer Komplikationen berücksichtigt werden. In einer Publikation vom November 2011 wird über das Risiko einer Depression oder eines suizidalen Verhaltens unter Vareniclin, Bupropion (Zyban®) und Nikotinersatz-Präparaten berichtet. Diese Arbeit beruht auf den Ereignissen, die der FDA in den Jahren 1998 bis 2010 gemeldet wurden. Im Vergleich mit Bupropion oder Nikotinersatz-Präparaten zeigt sich unter Vareniclin ein signifikant höheres Depressions- oder Suizidrisiko; 2'925 Fälle wurden unter Vareniclin beobachtet, aber nur 229 unter Bupropion und 95 unter Nikotinersatz-Präparaten.(6)
Diese Daten werden von Fachleuten recht unterschiedlich interpretiert. Im Canadian Medical Association Journal erschien ein Kommentar, der darauf hinwies, dass das kardiovaskuläre Risiko nicht übermässig gut dokumentiert sei. Dieser Kommentar – der allerdings vor der Publikation zum Depressions- und Suizidrisiko erschien – hält in erster Linie fest, der Nutzen einer wirksamen Hilfe bei der Entwöhnung vom Rauchen sei so bedeutsam, dass Vareniclin weiterhin als «sicheres» Medikament bezeichnet werden könne.(7)
Die Revue Prescrire vertritt dagegen die Meinung, die mit Vareniclin verbundenen Risiken seien zu hoch – das Medikament sollte vom Markt verschwinden.(8) Dafür werden weniger die kardiovaskulären Probleme als die psychiatrischen Komplikationen ins Feld geführt. In den 46 Monaten, die der Markteinführung von Vareniclin in Frankreich folgten, wurden in diesem Land 373 gefährliche Ereignisse (wovon 23 Todesfälle: 13 Suizide, 8 kardiovaskuläre Todesfälle) mit dem Medikament in Verbindung gebracht. Als problematisch werden auch die mannigfachen anderen Nebenwirkungen (aggressives Verhalten, Halluzinationen, Schlafstörungen, Kopfschmerzen, gastro-intestinale Symptome) bezeichnet.
Kommentar
Wenn es sonnenklar wäre, dass Vareniclin bei der Entwöhnung vom Rauchen viel mehr leistet als andere Mittel, dann liesse sich das Medikament wohl gut verteidigen. Dies ist jedoch nicht der Fall. So fehlt insbesondere ein durch randomisierte Studien gestützter Nachweis, dass sich mit Vareniclin mehr erreichen liesse als mit einer adäquaten Nikotinersatz-Therapie.(9) Solange nicht bessere Studien vorliegen und ein akzeptables Nutzen/Risiko-Verhältnis dokumentiert ist, rate ich von der Anwendung von Vareniclin ab.
Literatur
- 1) Ritzmann P. pharma-kritik 2006; 28: 45-6
- 2) Masche UP. pharma-kritik 2007; 29: 55
- 3) http://www.fda.gov/Drugs/Drugsafety/ucm259161.htm
- 4) Rigotti NA et al. Circulation 2010; 121: 221-9
- 5) Singh S et al. CMAJ 2011; 183: 1359-66
- 6) Moore TJ et al. PLoS ONE 2011; 6: e27016
- 7) Hays JT. CMAJ 2011; 183: 1346-7
- 8) Anon. Rev Prescrire 2011; 31: 903
- 9) Cahill K et al. Cochrane Database Syst Rev 2011; (2): CD006103
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