Lithium in der Schwangerschaft
- Autor(en): Alexandra Röllin
- pharma-kritik-Jahrgang 41
, PK1092, Online-Artikel
Redaktionsschluss: 14. Mai 2020
Bipolare Erkrankungen betreffen häufig Frauen im gebärfähigen Alter. Dies stellt die Behandelnden vor ein grosses Dilemma – sowohl ein akuter Schub der Erkrankung als auch die stimmungsstabilisierende Therapie, mit der ein solcher verhindert werden soll, können negative Auswirkungen auf die Gesundheit des ungeborenen Kindes und der werdenden Mutter haben. Bei Lithium, einer der wirksamsten dieser Behandlungen, wird vor allem das Risiko von kardialen Missbildungen diskutiert, ein Umstand, über den wir in unseren Publikationen bereits berichtet haben (1). Eine aktuelle systematische Übersichtsarbeit aus dem «American Journal of Psychiatry» fasst die aktuelle wissenschaftliche Literatur zu Nutzen und Risiko einer Behandlung mit Lithium während der Schwangerschaft zusammen und versucht diese gegeneinander abzuwägen (2).
Die Studienverantwortlichen konnten insgesamt 29 Studien (Fall-Kontroll-, Kohorten- und interventionelle Studien) identifizieren, in denen Nutzen und Risiken einer Lithium-Therapie während der Schwangerschaft untersucht worden waren. Davon konnten 13 Studien (die gut 1,3 Millionen Schwangerschaften umfassten) quantitativ analysiert und in einer Meta-Analyse zusammengefasst werden. Voraussetzung dafür war das Vorhandensein einer geeigneten Kontrollgruppe (zum einen Schwangere mit einer bipolaren Erkrankung, aber ohne Lithiumbehandlung, zum anderen Schwangere aus der Allgemeinbevölkerung), und dass entweder das Risiko für jegliche kongenitale Missbildungen oder für einen Erkrankungsschub während der Schwangerschaft oder Postpartalzeit erfasst worden waren (primäre Endpunkte für Risiko und Nutzen). Durch die qualitative Auswertung der restlichen Studien wurde anschliessend versucht, diese nummerischen Resultate in einen breiteren Kontext zu stellen.
Frauen, die in der Schwangerschaft Lithium erhielten, hatten häufiger Kinder mit kongenitalen Missbildungen der verschiedensten Art als die Frauen in den Kontrollgruppen.
Für den Vergleich mit Frauen, die ebenfalls an einer bipolaren Erkrankung litten, aber nicht mit Lithium behandelt worden waren, fand sich eine «Number Needed to Harm» (NNH) von 38 – das heisst, dass auf 38 während der Schwangerschaft mit Lithium behandelte Frauen eine zusätzliche Missbildung beobachtet wurde.
Auch das spezifische Risiko für eine kardiale Missbildung war gegenüber der Allgemeinbevölkerung oder verschiedenen Vergleichsgruppen erhöht. Im Vergleich mit Frauen mit einer bipolaren Störung ergab sich aber nur dann ein erhöhtes Risiko kardialer Missbildungen, wenn die Lithiumexposition das erste Schwangerschaftsdrittel betraf (NNH 83). Aus den qualitativen Analysen der übrigen Studien ergab sich die Zusatzinformation, dass bei Müttern mit einer Lithiumdosis von <600 mg/Tag oder einem Lithiumspiegel von <0,64 mmol/L das Risiko für kardiale Fehlbildungen kaum erhöht ist.
Lithium erwies sich auch als äusserst wirksam, um postpartale Krankheitsschübe zu verhindern. Hier betrug die «Number Needed to Treat» (NNT) lediglich 3, es mussten also nur drei Frauen mit Lithium behandelt werden, um einen Schub zu verhindern. Eine Aussage zum Schutz vor einem Krankheitsschub während der Schwangerschaft konnte aufgrund von ungenügenden Daten nicht gemacht werden.
Die Studienverantwortlichen schliessen aus diesen Resultaten, dass die Einnahme von Lithium während der Schwangerschaft im Verhältnis zum Nutzen nur ein verhältnismässig gering erhöhtes Risiko mit sich bringt, das besonders ausserhalb des ersten Trimesters und bei niedrigen Tagesdosen sehr gering ist.
Kommentar
Auf die Frage, ob Lithium bei einer bipolar erkrankten Frau während der Schwangerschaft weiter verschrieben werden soll, gibt es keine allgemeingültige Antwort. Nutzen und Schaden müssen im Einzelfall vorsichtig gegeneinander abgewogen werden. Die unterschiedlichen Resultate je nach gewählter Vergleichsgruppe lassen darauf schliessen, dass das Risiko für Missbildungen nicht nur durch die Einnahme von Lithium, sondern bereits durch die bipolare Erkrankung selber erhöht ist, sei es aufgrund einer genetischen Vulnerabilität oder aufgrund von Verhaltensfaktoren (z.B. Suchtmittelkonsum oder mangelnde Selbstfürsorge während akuten Krankheitsschüben). Diese Erkenntnis zusammen mit dem doch sehr eindrücklichen Wirksamkeits-Nachweis lässt die Einnahme von Lithium während der Schwangerschaft in vielen Fällen als das kleinere Übel erscheinen, insbesondere da viele der anderen gängigen Stimmungsstabilisatoren (wie z.B. Carbamazepin oder Valproinsäure) in der Schwangerschaft mindestens ebenso problematisch sind. Dennoch sollten alle vertretbaren Anstrengungen unternommen werden, um die Exposition des Feten mit Lithium möglichst gering zu halten, beispielsweise Schwangerschaften während Remissionsphasen zu planen und insbesondere im ersten Schwangerschaftsdrittel eine möglichst kleine (aber noch wirksame) Lithiumdosis zu wählen, wie dies auch von den Studienverantwortlichen vorgeschlagen wird. Da die renale Elimination von Lithium während der Schwangerschaft aufgrund der erhöhten glomerulären Filtrationsrate rascher erfolgt, empfiehlt es sich, den Lithiumspiegel während der Schwangerschaft engmaschig zu kontrollieren (3).
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